Schweres Blut. Aho Juhani
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Juhani Aho
Schweres Blut
Impressum
Covergestaltung: Gunter Pirntke
Digitalisierung: Gunter Pirntke
2017 andersseitig.de
ISBN
9783961185351 (ePub)
9783961185368 (mobi)
andersseitig Verlag
Dresden
www.andersseitig.de
(mehr unter Impressum-Kontakt)
I
Ein Mann – langrückig, in hedeleinenem Hemd und groben Rindenschuhen – fällt Bäume zum Schwenden auf dem Abhang eines hohen Hügels. Wenn die eine Birke niedersinkt, erbebt schon das Laub der anderen, und die Späne fliegen umher. Er haut Stämme um so dick wie sein Schenkel, wie wenn er Weidengestrüpp lichtete, ohne den Rücken zu strecken.
Der Hügel, dessen Abhang er rodet, liegt inmitten einer grenzenlosen Einöde, in der sich hier und da andere ähnliche Anhöhen erheben, wie Grashöcker auf einer überfluteten Schwemmwiese. All die anderen Hügel sind bis zur Spitze mit Wald bedeckt, nur dieser ist teilweise abgeschwendet; von unten nach oben ansteigend, vom südlichen Hang nach dem Scheitel hinauf strebt die Lichtung, doch ist sie noch nicht bis in die Mitte vorgedrungen. Indes ist da doch schon ein freier Fleck in der Wüstenei der Einöde, eine Kerbe im Urwald: ein grünendes Roggenfeld, weiter unten alte Rodungen, und noch weiter weg hinter einer Senkung ein Häuflein Gebäude, davor eine lange Landzunge, um die sich schmale Gewässer: kleine Seen, enge Straßen und Stromschnellen ziehen.
Soweit sieht man von da, wo der Mann den Wald fällt. Er macht eine Pause, blickt hinunter, sieht sein Feld, sein Gehöft, die Landzunge und die Stromschnelle. Er schwingt seine Axt, wie um in einen Baumstumpf zu schlagen, will aufatmen, senkt aber die Axt in einen neuen Stamm und schwankt von dem Schlag – der mit dem langen Rücken, dem hedeleinenen Hemd und den groben Rindenschuhen.
Die Axt hebt sich und senkt sich, löst sich los und schneidet ein; wenn ein Baum erkracht, bebt schon ein zweiter – und im Takt der Arbeit regen sich die Gedanken des Arbeitenden. Die einen kommen, die anderen gehen, indem sie eingreifen, wo sie haltgemacht, und haltmachen, wo sie angefangen hatten; immer ist es gleich schwer darüber hinwegzukommen und sich damit abzufinden.
– Mußte denn wieder im Unfrieden auseinandergegangen sein – mußten denn wieder die bitterbösen Worte gesagt werden! Daß sie es sagen konnte, wenn es ja auch wahr ist – aber daß sie es sagen konnte: »altes Gerippe, Krummbein, Hakenkinn!« Denn was kann ich dazu, was kann ich denn dazu, daß ich den Leibschaden habe? Das hast du ja gesehen, als du mich nahmst, du wußtest es ja, als du zu mir kamst, daß ich mit dem linken Beine hinke – aber daß du mir das sagen konntest?
Er hielt doch mit dem Fällen inne, legte die Axt auf den Boden und setzte sich.
– Ich bin ja schon alt, und ich habe ja auch nie mit meinem Aeußeren geprahlt. Aber brauchte ihr Auge denn darüber aufzublitzen wie bei einem bissigen, tückiscken Hund. Und wenn ich ihr da auch ein bißchen die Schultern streichelte, brauchte sie da aufzubrausen: »weg, pack dick, du!« – und nicht viel fehlte, so hätte sie mit dem Kochlöffel zugeschlagen. Ich wollte sie ja nur besänftigen, damit das Maulen aufhörte – damit wir uns wieder gut würden. – Ich habe sie ja immer in Ruhe gelassen .. wann habe ich mich denn an ihr vergriffen?
Wenn sie früher dann und wann ein heftiges Wort gesagt hat, bereute sie es gleich und vertrug sich wieder. – Hätte sie mir jetzt nur das Essen hergebracht, dann wäre es damit wieder gut gewesen. Wenn ich gehört hätte, daß sie kam, hätte ich ihr schon von fern gezeigt, daß ich nicht mehr daran denke. Wäre sie heute gekommen, wie sie früher kam, mit Singen, so daß der Wald vor ihr widerhallte, dann hätte ich ihr von hier entgegengebrüllt, ihr zugebrummt wie ein Bär, zum Zeichen, daß ich nicht mehr daran denke, darum solle sie es auch nicht.
Er wollte glauben, daß Maria noch komme. Das Laubholz zischelte in dem warmen Wind, die Ruhe tat dem Blute wohl. Wenn sie es aber auch gesagt hatte! Es mochte ihr nur in der Hitze entfahren sein, im Aerger über irgend etwas, nicht über mich. Dort in die Gabel zwischen den beiden Birken hebe ich sie hinauf wie einst als kleines Mädchen. Da sitzt sie dann wie der Kuckuck im Baum, ich rede hier von dem Sumpf zu ihr wie zum Kuckuck, heiße sie eine Waldjungfrau, eine blaugekleidete Fee der Forsten, das hört sie gern, obwohl sie tut, als hörte sie es nicht; aber wenn sie auf den Viehpfaden hingeht, singt sie es selbst von sich. »Hilf mir, Juha«, ruft sie dann, »ich kann nicht herunter, wenn du nicht hilfst!« – und die Zarte springt mir an den Hals und läßt sich über die Schwende tragen und sich erst auf der glatten Rodung niedersetzen.
Und es sah Juha, wie er da mitten auf der Schwende saß, die Hände im Schoß des Arbeitskittels zwischen den Knien, wie er matt über die gefällten Stämme blickte – er sah Marja, mit bloßem Kopf, das Tuch in den Nacken geglitten, auf ihrer gemeinschaftlichen Schwende gehen mit der kleinen Hippe, die er geschmiedet, der kleinen, flinken, wie sie Laubzweige und Büschel abhieb, während er selbst große Stämme krachend niedersinken ließ. Und so kam sie noch in manchem Jahr auf die Schwende, voller Freude, voller Lieder, als junge Wirtin, und brachte Glück über die Saaten ihres alten Gatten, die die Hitze nicht austrocknete, der Frost nicht verheerte, kaum, daß man's sah, und Juha wußte wohl, weshalb: weil ihm eine Waldfee zur Seite stand – aus welchem Versteck sie auch gekommen sein mochte –, die Schöne aus Karelien, fernher jenseits der fremden Höhen.
Jetzt kommt sie nicht mehr, läßt sich nicht auf den Ast heben, nicht auf die alte Rodung tragen, kommt nicht, um zu singen, mit der Hippe zu helfen, nicht einmal mehr, um das Essen zu bringen. Ist unfreundlich gegen den alten Mann vom Morgen bis zum Abend.
Und doch horchte Juha immer noch, horchte, während er einhieb, auch dann, wenn ein Span gar boshaft pfeifend vom Maserholz abflog. – Rief da jemand? Er heftete den über die gefällten Bäume hin gerichteten Blick scharf auf den unteren Rand der Schwende, sprang auf den Stein, auf dem er gesessen hatte. Es war niemand dort. Ob es wohl weiter unten gewesen war, bis wohin man nicht sehen konnte? Dort vom anderen Rande mußte man sehen, ob jemand kam. Von dort sah man bis zum Hof, den Weg über die alte Rodung, die Wiese und den Feldrain bis zum Hofe. Wenn er ihr nicht schon so viele, viele Male umsonst entgegengegangen wäre, auf die er dort umsonst wartete, dann wäre er auch jetzt gegangen. Doch statt dessen griff Juha wieder nach seiner Axt und hieb, hieb drein, daß er mit jedem Baume, den er fällte, dem unteren Rand der Schwende näher kam, von wo man zum Hof sehen konnte. Er schlug nur die ganz außen stehenden nieder, um schneller hinzugelangen. Die Bäume heulten auf im Fall, als hätten sie über mehr als ihr eigenes Niederbrechen geheult.
Dort kam niemand. Die Kühe lagen weiter unten auf der alten Rodung in der Sonne. Auf dem See bewegten sich zwei Boote unter trägen Ruderschlägen vorwärts. Ein drittes wurde weiter hinten im Schutz des Ufers gerudert, als ob es den anderen nachspürte. Juha erkannte sofort, daß die beiden ersten Boote von russisch-karelischen Händlern waren, und er schloß aus ihrem Kurs, daß sie nicht die Landzunge umfahren und auf diesem Weg die Stromschnellen erreichen, sondern, um sie zu vermeiden, an seinem Ufer anlegen und die Boote mit ihrer Last über die Landenge ziehen lassen wollten. Die mochten ein Pferd brauchen. Sollte er hingehen? Aber mochten sie selbst es mit Marjas Erlaubnis aus der Hürde holen, sie wußten wohl Bescheid. Das dritte Boot schien der Espenholzkahn der Kohlenbrenner zu sein.
Er wandte sich ab, schlug wieder eine Front bis zum oberen Rand der Schwende und von da