Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner

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Der Schreckenswald des Hoia Baciu - Marie Kastner

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ihr jetzt zum Verhängnis.

      *

      Anna Ionescu trat aus dem Gartentürchen, formte ihre Hände zu einem Trichter. »Marta! Komm endlich, es gibt heute deine Lieblingsnudeln!«

      Keine Antwort.

      ›Ach, dass dieses lebhafte Kind über dem Spielen aber auch immer völlig die Zeit vergessen muss!‹, dachte die junge Mutter schmunzelnd. Die Sonne ging schon unter, schickte die letzten Strahlen über den kleinen Hügel. Es wurde allmählich höchste Zeit, dass Marta zurückkehrte. Kopfschüttelnd erklomm Anna die sanfte Anhöhe, die einen weiten Rundumblick zuließ. Ein kühles Lüftchen ließ sie frösteln.

      Sie erwartete eigentlich, ihre Tochter inmitten der Wiese sitzen zu sehen, versunken einen bunten Blumenkranz flechtend. Das Mädchen war geschickt in solchen Dingen. Manchmal suchte sie nach vierblättrigen Kleeblättern, die sie hinterher in einem dicken Buch presste um das Glück für die Ewigkeit zu konservieren. Oder sie rupfte mit Feuereifer einen Strauß Wiesenblumen, verschenkte ihn mit einem Küsschen. Besonders die dottergelben Schlüsselblumen hatten es ihr schwer angetan.

      Anna erstarrte vor Schreck. Die Wiese lag still und verlassen in der hereinbrechenden Dämmerung, kein Kind war weit und breit zu sehen! Sie schrie, so laut sie nur konnte. »Martha! Bitte mein Schatz, tu mir das nicht an. Komm heraus, zum Versteckspielen ist es zu spät. Es wird bald dunkel!«

      Doch kein schokoladenbrauner Haarschopf tauchte zwischen den Gräsern auf, kein Kinderlachen erklang. Immer hysterischer rief die Näherin nach ihrer Kleinen – vergebens. Ein Schwarm Krähen ließ sich lärmend am Waldrand nieder, als wäre es ein böses Omen.

      Die letzten Sonnenstrahlen verblassten gerade am Horizont, als die besorgte Mutter wie von Sinnen Richtung Wald hastete. Erste Nebelschwaden quollen daraus hervor. Sie färbten sich im Zwielicht graugelblich, was der Szenerie einen schaurigen Anstrich verlieh.

      Anna schickte in Gedanken ein Stoßgebet zum Himmel, obwohl sie nur pro forma dem katholischen Glauben angehörte.

      ›Oh Gott, lieber Gott, bitte hilf uns! Mach, dass sie nicht da drin ist!‹ Aber wo hätte sie sonst nach ihrer Marta suchen sollen? Sie verspürte keine Angst um ihr eigenes Leben, wollte einfach nur ihr geliebtes Kind wieder in die Arme schließen. So betrat Anna das vermaledeite Waldstück, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern.

      »Marta, bist du da irgendwo? Hast du dich verirrt, mein Liebling? Falls du mich hören kannst, bleib bitte stehen und antworte mir. Dann weiß ich, wo du bist und kann dich sofort holen kommen. Du musst keine Angst haben, ich werde nicht mit dir schimpfen! Wir gehen heim und essen Nudeln mit Tomatensoße«, schrie die aufgelöste Mutter zwischen die Bäume.

      Nichts. Keuchend bahnte sich Anna einen Weg durch Sträucher, über moosige Wurzeln und am Boden liegendes Totholz. Da sich niemand freiwillig in diesem Waldstück aufhielt, gab es darin natürlich keine angelegten Spazierwege. Mehrfach schlug die Fünfundzwanzigjährige hin, riss sich dabei die Knie auf, zerkratzte sich Gesicht, Arme und Beine. Sie bemerkte es kaum. Schluchzend arbeitete sie sich Meter für Meter voran, ziellos und verzweifelt.

      Da! Ein helles Kinderlachen … nein, mehr ein Kichern! Anna stoppte abrupt, ihr blieb schier die Luft weg. »Marta!!! Wo bist du? So sag doch was!«

      Es kam keine Antwort. Immer wieder rief Anna den Namen ihrer Tochter in die grauschwarze Dunkelheit, doch der Wald schien ihre Stimme zu dämpfen. Es war vollkommen windstill, ein fahler Vollmond ging über den Baumwipfeln auf; außer dem Knistern und Knacken der Zweige, auf die Anna beim Gehen trat, war überhaupt kein Geräusch mehr zu hören. Längst hatte sie die Orientierung verloren.

      Jäh schoss der jungen Frau ein schrecklicher Gedanke durchs Gehirn. Ihr Ehemann musste inzwischen zu Hause eingetroffen sein und sie hatte es vor dem Losgehen versäumt, einen Zettel zu hinterlegen! Anstatt sie beide zu suchen oder die Polizei zu alarmieren, würde er bestimmt annehmen, dass sie mit Marta irgendwo hingefahren sei und lediglich vergessen hätte, ihn zu informieren. Außerdem hatte sie vorhin in der Annahme, gleich zurückzukehren, die Herdplatte angelassen … wie lange mochte das her sein? Zwei Stunden vielleicht? Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Himmel, hoffentlich brannte das Haus nicht ab!

      Weinend irrte sie weiter durch die Dunkelheit. Ihre Stimme wurde heiser, das stetige Rufen nach Marta klang nun eher wie ein hysterisches Kreischen. Das Waldstück wollte einfach kein Ende nehmen. Es gab keinerlei Landmarken, an denen man sich hätte orientieren können. Womöglich ging sie im Kreis.

      Nach einer weiteren halben Stunde rutschte Anna auf morastigem Boden aus, klatschte rücklings in den eiskalten Schlamm.

      Für einige Minuten blieb sie dort entkräftet liegen, lauschte in die bleierne Dunkelheit. Falls dieser verfluchte Wald ihre Tochter geholt hatte, konnte sie ebenso gut gleich hier liegen bleiben und allmählich im Boden versinken, dachte sie resigniert. Sie fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers – hier stimmte etwas nicht! Falls es so etwas wie eine Hölle tatsächlich gab, so war sie sicher hier zu finden.

      Gerade als sie sich wieder aufrappeln wollte, bemerkte sie ein schwaches, grünliches Glimmen, in etwa hundert Metern Entfernung. Das Leuchten irisierte zwischen einem zarten Lindgrün, mehreren Weißund Graustufen sowie einem kräftigeren Apfelgrün. Worum konnte es sich dabei handeln – Sumpfgase, die an die Oberfläche stiegen? Oder spielte ihr jemand einen üblen Streich?

      Anna rann Schlamm in die Augen, während sie sich japsend in Richtung des Phänomens voran arbeitete. Der Wald schien sie mit aller Macht zurückhalten zu wollen. Ständig verfing sich ihre Kleidung in Ästen und Zweigen. Dornige Schlingpflanzen griffen nach ihren Fesseln, rissen tiefe, blutende Wunden. Sie spürte es nicht.

      »Marta, bist du dort vorne?« Es war mehr ein Röcheln, das der Geschundenen über die trockenen Lippen kam. Die letzten Meter kroch sie bäuchlings über den Boden, immer auf die kleine, illuminierte Stelle zu. Eine kreisrunde Lichtung! Kaum hatte Anna sie entdeckt, erstarb das mysteriöse Leuchten so plötzlich wie es aufgetaucht war. Zurück blieb nichts als undurchdringliche Schwärze, denn der Vollmond wurde zur Gänze von einer anthrazitfarbenen Wolkenbank verdeckt.

      Anna schrie panisch auf, trommelte mit beiden Fäusten auf den Waldboden ein und weinte hemmungslos. Ihr Kind hatte sie nicht finden können und nun verschluckte dieser grausame Moloch sie ebenfalls mit Haut und Haar. Sie bibberte vor Kälte, die schlammverschmierte Kleidung klebte ihr eng am Körper.

      Endlich lugte das blasse Mondlicht wieder hinter den Wolken hervor. Es verbesserte die Sichtverhältnisse allerdings nur unwesentlich, weil mausgraue Nebelschwaden zäh über den Waldboden krochen. Sie verhüllten Bäume, Gräser und Blaubeersträucher, hinterließen ein kühlfeuchtes Nichts.

      Anna hockte sich mitten auf der Lichtung hin, umschlang ihre Knie mit beiden Armen, barg ihr nasses Gesicht dazwischen. Hier gab es keinerlei Bewuchs, der Boden fühlte sich eben und ein wenig wärmer an als die Umgebung. Nur festgetretene Erde schien diese Stelle zu bedecken. Jetzt verspürte Anna auf einmal starke Schmerzen, die im Rhythmus ihres Herzschlags in Fußgelenken, Schläfen und im unteren Rücken pochten. Ihre Zähne klapperten, die Kopfhaut fühlte sich taub an.

      Noch erheblich schlimmer als Annas beklagenswerter körperlicher Zustand war gleichwohl der psychische. Sie glaubte, jeden Augenblick wahnsinnig zu werden. Die Tränen waren allesamt vergossen, sie starrte nur noch mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin. Des rationalen Denkens nicht mehr fähig, jagten wirre Gedankenfetzen einander wie kopflose Rinder in einer Stampede. Hatte sie vor einer Ewigkeit wirklich Kinderlachen gehört – oder war das Einbildung gewesen? Unzusammenhängende Bilder von Margeriten, grinsenden Unholden und einem grünlichen Höllenschlund zogen in unsinniger

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