Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift

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Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten - Jonathan Swift

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es sei schändlich, den höchsten Grad des Verbrechens verteidigen zu wollen. Hierauf konnte ich auch wirklich keine andere Antwort geben als das allgemeine Sprichwort: Andere Länder, andere Sitten. Ich muß gestehen, daß ich mich herzlich schämte.

      Obgleich wir Belohnung und Strafe die zwei Angeln zu nennen pflegen, auf denen sich jede Regierung bewegt, so habe ich doch diesen Grundsatz bei keiner Nation, mit Ausnahme der liliputanischen, ausüben sehen. Jeder, der den Beweis erbringen kann, daß er die Landesgesetze dreiundsiebzig Monate lang mit größter Gewissenhaftigkeit befolgt hat, erhält einen Anspruch auf gewisse Privilegien, je nach seinem Stande und Lebensverhältnis, zugleich eine besondere Geldsumme, die aus einem besonderen Fonds genommen wird. Ferner erhält er den Titel Frillnall oder der Gesetzliche, der seinem Namen vorgesetzt, jedoch auf seine Deszendenten nicht vererbt wird. Die Liliputaner hielten es auch für einen außerordentlichen Mangel unserer Staatsverfassung, als ich ihnen sagte, die Befolgung unserer Gesetze werde allein durch Strafen erzwungen, ohne daß von irgendeiner Belohnung die Rede sei. Mit Rücksicht auf die erwähnte Sitte wird die Gerechtigkeit in ihren Gerichtshöfen mit sechs Augen abgebildet, zwei vorne und hinten und einem an jeder Seite, um die Vorsicht anzudeuten; sie hält ferner einen Beutel voll Gold mit der rechten und ein Schwert in der Scheide mit der linken Hand, um anzudeuten, sie sei mehr zur Belohnung als zur Strafe geneigt.

      Bei der Besetzung der Ämter nehmen sie mehr Rücksicht auf gute Sitten als auf Fähigkeiten. Sie glauben, da eine Regierung für die Menschen nun einmal notwendig sei, eigne sich auch das gewöhnliche Maß von Verstand für eine oder die andere Stellung im Leben; die Vorsehung habe die Behandlung der Staatsangelegenheiten zu keinem Geheimnis gemacht, das nur von wenigen Personen mit höheren Geistesgaben verstanden werden könne; von solchen Menschen würden außerdem immer nur wenige in jedem Menschenalter geboren. Dagegen hegen sie die Meinung, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und andere Tugenden könnten von jedem Menschen ausgeübt werden. Sei Erfahrung und gute Absicht damit verbunden, so eigne sich ein jeder für den Dienst seines Vaterlandes, mit Ausnahme derjenigen Geschäfte, bei denen eine gewisse Übung erforderlich ist. Dagegen könne der Mangel moralischer Tugenden durch überlegene Geistesgaben so wenig ersetzt werden, daß kein Amt so gefährlichen Händen anvertraut werden dürfe; die durch Unwissenheit bewirkten Versehen würden bei tugendhaftem Charakter im allgemeinen nie so gefährlich sein wie die Schliche derjenigen, die durch böse Neigungen zur Verderbnis geführt werden und Geisteskräfte besitzen, diese zu vervielfachen, zu benutzen und zu beschönigen.

      In gleicher Weise wird durch den Unglauben an eine göttliche Vorsehung Unfähigkeit bewirkt, ein öffentliches Amt zu verwalten. Die Liliputaner glauben nämlich, nichts könne abgeschmackter sein, als daß Fürsten, die sich für die Repräsentanten der Gottheit halten, Leute zu ihrem Dienste verwenden, welche die Macht in Zweifel ziehen, worauf ihre eigene beruht.

      Indem ich diese und die folgenden Gesetze anführe, habe ich nur die ursprünglichen Einrichtungen im Auge, nicht aber die schmählichste Verdorbenheit, in welche dieses Volk wegen der so leicht entartenden Natur der Menschen versunken ist. Denn was jene schmachvolle Sitte betrifft, die höchsten Staatsämter durch Seiltanzen oder Gunstbezeigungen und Auszeichnungen, durch das Springen über den Stock und durch Untendurchkriechen zu erwerben, so muß der Leser im Auge haben, daß sie zuerst von dem Großvater des jetzt regierenden Kaisers eingeführt wurde und durch das allmähliche Steigen des Parteigeistes zur jetzigen Höhe gediehen ist.

      Undankbarkeit wird für ein Verbrechen gehalten, das den Tod verdient. Die Liliputaner begründen dieses Verfahren durch folgende Schlußfolge: Wer sich gegen seine Wohltäter undankbar erweist, muß ein allgemeiner Feind der übrigen Menschen sein, von denen er keine Wohltaten erlangt hat; deshalb ist es nicht zweckmäßig, ihn am Leben zu lassen.

      Die Begriffe von den gegenseitigen Pflichten der Eltern und Kinder sind gänzlich von den unsrigen verschieden. Da nämlich die Verbindung der Männer und Frauen, wie bei allen Tierarten, auf Naturgesetzen beruht, behaupten sie durchaus, daß Männer und Frauen sich nur deshalb vereinigen; die Zärtlichkeit gegen die Jungen folge aus demselben Grundsatz; deshalb wollen sie nicht zugestehen, ein Kind sei den Eltern für sein Dasein verpflichtet, das ohnedies wegen des menschlichen Elends keine Wohltat sei; auch bezweckten die Eltern keine Wohltat, sondern dächten bei ihren verliebten Zusammenkünften an ganz andere Dinge. Wegen dieser und anderer Schlußfolgerungen sind sie der Meinung, Eltern dürfe man am wenigsten unter allen Menschen die Erziehung der Kinder anvertrauen. Deshalb befinden sich in jeder Stadt öffentliche Erziehungsanstalten, wohin alle Eltern, mit Ausnahme der ärmeren Bauern und Tagelöhner, ihre Kinder senden müssen, damit diese dort von dem Alter von zwanzig Monaten an erzogen werden; denn es wird angenommen, daß sie um diese Zeit bereits Anlagen zum Lernen besitzen. Die Schulen sind verschiedener Art und nach den Eigenschaften und Geschlechtern der Zöglinge geschieden. Geschickte Lehrer erziehen die Kinder zu dem Lebensverhältnis, zu dem sie sich durch den Stand ihrer Eltern, durch ihre Fähigkeiten und Neigungen eignen. Zuerst werde ich hier einiges über die männlichen und dann über die weiblichen Erziehungsanstalten berichten.

      Die Unterrichtsanstalten für Knaben von hoher und ausgezeichneter Geburt sind mit berühmten und gelehrten Professoren und Unterlehrern ausgestattet. Kleidung sowie Nahrung der Kinder sind höchst einfach. Sie werden in den Grundsätzen der Ehre und Gerechtigkeit, des Mutes, der Keuschheit, Milde, Religion und Vaterlandsliebe erzogen. Sie sind stets beschäftigt, nur nicht während des Essens und Schlafens, wofür jedoch nur eine knappe Zeit bestimmt ist, und während zweier Erholungsstunden, die zu körperlichen Übungen verwendet werden. Bis sie das vierte Jahr erreicht haben, werden sie von Männern angekleidet, müssen aber nach dieser Zeit ihre Kleider selbst anlegen, wie hohen Standes sie auch sein mögen. Das weibliche Gesinde, das in einem Alter ist, das dem unsrigen von fünfzig Jahren entspricht, verrichtet allein die niedersten Dienste. Die Knaben dürfen sich mit den Dienern nicht unterhalten; sie dürfen ferner nur in kleinerer oder größerer Anzahl unter der Aufsicht eines Lehrers zu ihren Vergnügungen ausgehen, die in körperlichen Übungen bestehen. Deshalb erhalten sie nie so früh die schlimmen Eindrücke der Torheit und des Lasters, denen unsere Kinder ausgesetzt sind. Die Eltern dürfen ihre Söhne nur zweimal im Jahre sehen; der Besuch dauert dann nur eine Stunde; es ist ihnen erlaubt, ihre Kinder bei der Begrüßung und beim Abschiednehmen zu küssen; allein ein Lehrer, der immer bei diesen Gelegenheiten gegenwärtig ist, leidet nicht, daß sie flüstern oder zärtliche Ausdrücke gebrauchen und Geschenke in Gestalt von Spielzeug, Zuckerwerk und dergleichen überbringen.

      Die für die Erziehung und Ernährung eines Kindes schuldige Summe wird, sobald die Zahlung ausbleibt, von den Beamten des Kaisers bei den Eltern erhoben.

      Die Erziehungsanstalten für Kinder aus mittleren Ständen, von Kaufleuten, Kleinhändlern, Handwerkern, sind ungefähr in derselben Art eingerichtet. Nur werden diejenigen, die sich solchen Berufen widmen wollen, schon mit elf Jahren in die Lehre gegeben, während die Kinder aus höheren Ständen ihre Studien bis zum fünfzehnten Jahre fortsetzen, was nach unseren Verhältnissen dem einundzwanzigsten entspricht. In den letzten drei Jahren wird jedoch die Abgeschlossenheit allmählich vermindert.

      In den weiblichen Erziehungsanstalten werden die jungen Mädchen von Stande in ähnlicher Weise wie die Knaben erzogen; nur haben sie zum Ankleiden weibliche Dienerschaft, die jedoch stets im Beisein eines Lehrers ihre Tätigkeit ausübt. Mit dem fünften Jahre müssen die Mädchen sich selbst ankleiden. Bemerkt man, daß die Mägde jemals wagen, die Mädchen mit furchterregenden oder albernen Geschichten oder mit den bei uns gewöhnlichen Torheiten der Kammermädchen zu unterhalten, so werden sie dreimal öffentlich durch die Stadt gepeitscht, ein Jahr ins Gefängnis gesperrt und dann in den entferntesten und ödesten Teil des Landes verbannt. Aus diesem Grunde verachten es die jungen Damen, ebenso wie die Männer, feig und albern zu erscheinen; sie verschmähen persönlichen Schmuck, der über Anstand und Reinlichkeit hinausgeht. Auch habe ich keinen großen Unterschied der Erziehung bei den verschiedenen Geschlechtern bemerkt, nur daß bei den körperlichen Übungen der Mädchen nicht auf dieselbe Körperkraft gerechnet wird wie bei den Knaben, daß ihnen besondere Lehren für das häusliche Leben erteilt werden und daß man an sie

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