Voll verliebt im Tor. Ulrike Bliefert

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Voll verliebt im Tor - Ulrike Bliefert

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leer gefutterten Teller zusammenzusuchen, als die Tür aufflog und Hotte – gefolgt von Oma Helga – hereingestürzt kam.

      »Wir müssen in die Klinik! Irgendeine Komplikation! Tut mir leid, ich kann keine von euch nach Hause fahren, wir müssen sofort los!«

      »Was? Wo ist Mama?« Paula war aufgesprungen und Carlotta drehte erschrocken die Musik leise.

      »Gesine ist auf der Lucullus«, antwortete Oma Helga und hob hilflos die Schultern. »Sie hat das Handy abgestellt, weil doch heute der Besitzer mit dem Pachtvertrag …«

      »Wir rufen dich an, wenn wir Genaueres wissen!«, unterbrach Hotte und war schon wieder halb die Treppe herunter. Dilara schaute Paula fragend an und Carlotta legte ihr den Arm um die Schultern: »Dein Bruder?«

      Paula nickte beklommen.

      Kichernd kamen Madeleine und Jessica zurück ins Zimmer. »Ey, wer von euch hat denn die Musik abgewürgt?« Ganz offensichtlich hatten sie von dem Zwischenfall nichts mitgekriegt.

      An die nächsten beiden Stunden erinnerte sich Paula nur noch bruchstückhaft: Dilara rief ihren Vater an, der sich sofort bereit erklärte, auch Madeleine und Jessica nach Hause zu fahren. Alina räumte das Party-Chaos auf und entsorgte den Müll.

      Und Carlotta war nach gegenüber gerannt und hatte ihre Mutter alarmiert. Sibylle Prinz stellte keine langen Fragen, lud Paula ins Auto, holte Paulas Mutter an der Lucullus ab und fuhr die beiden anschließend in die Klinik.

      Oma Helga und Hotte saßen im Gang vor dem OP-Trakt. Und obwohl Hotte seine Hände beschützend über Oma Helgas Hände gelegt hatte, merkte Paula, dass sie zitterten. »Sie mussten sofort operieren«, flüsterte er.

      Hotte nahm Paula in den Arm und Oma Helga zog ihre Tochter neben sich auf die triste braune Kunstlederbank.

      Gesine Schmidtke sah aus, als könne sie sich keine Sekunde mehr auf den Beinen halten.

      »Die Ärzte hatten doch gesagt, es wäre alles kein Problem«, flüsterte sie.

      »So was passiert heutzutage eigentlich nur noch in Kriegsgebieten, wo es keine ausreichende medizinische Versorgung gibt«, murmelte Hotte. »Gasbrand! Daran sind zuletzt massenhaft die Soldaten im Ersten Weltkrieg gestor…«

      Erschrocken hielt er inne.

      Eine OP-Schwester kam den Gang herunter und schüttelte stumm den Kopf, als sie die fragenden Gesichter sah. »Sie operieren noch.«

      Nach und nach rückte Hotte mit der ganzen Geschichte heraus: Auf der Unfallstation hatten sie bei Pauls Einlieferung eine winzige, aber tief ins Gewebe dringende Stichwunde übersehen; vermutlich von einem Metallteil. Der Gipsverband hatte wie ein Brutkasten dafür gesorgt, dass sich die Bakterien in der verschmutzten Wunde in rasendem Tempo vermehrten. Innerhalb weniger Stunden war daraus eine lebensgefährliche Infektion entstanden. Als Hotte und Oma eintrafen, war von Amputation die Rede gewesen und davon, dass es im Wortsinne um Sekunden ging.

      »Heißt das, sie müssen ihm das Bein abnehmen?« Gesine Schmidtke umklammerte die Hand ihrer Mutter und starrte Hotte mit weit aufgerissenen Augen an. Hotte strich ihr übers Haar und hob hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht.« Paula sandte ein Stoßgebet zum Himmel: »Bitte, lieber Gott, mach, dass Paul gesund wird und sein Bein behalten kann. Dann will ich auch …«

      Doch bevor Paula ihr Abkommen mit Gott besiegeln konnte, tauchte am Ende des Flurs eine Ärztin auf. Sie sah müde aus.

      »Wir mussten großflächig Gewebe entfernen …«

      »Also keine Amputation?«, fragte Gesine Schmidtke erleichtert. Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Er bekommt jetzt Antibiotika und wir sollten eine Druckkammertherapie in Betracht ziehen.«

      »Wann kann ich zu ihm?«, unterbrach Paula die Aufzählung der weiteren medizinischen Details.

      »Im Moment sowieso nicht. Vielleicht morgen. Es sei denn, deine Eltern stimmen einer Druckkammertherapie zu.« Sie wandte sich Oma Helga und Hotte zu. »Wenn Sie einverstanden sind«, fuhr sie fort, »dann würden wir Paul, sobald es möglich ist, in das Behandlungszentrum nach Jena fliegen.«

      Energisch ging Gesine Schmidtke dazwischen: »Ich bin Pauls Mutter. Und diese Druckkammer-Sache …«

      Die Ärztin schaute ein wenig irritiert von Paula zu Gesine Schmidtke und zurück: Sie hatte Paula und ihre Mutter für Geschwister gehalten. Aber die Situation war zu angespannt, um darüber einen der sonst üblichen Sprüche abzulassen.

      »Die Forschungsergebnisse liefern leider noch keine hundertprozentige Gewissheit, was den therapeutischen Nutzen einer hyperbaren Therapie angeht«, fuhr die Ärztin fort, »aber im Fall einer clostridialen Myonekrose …« Vielleicht glaubte sie ernsthaft, irgendeiner der Anwesenden würde verstehen, wovon sie da redete. Paulas Gedanken schweiften ab. Jena. Sie würden Paul mit einem von diesen feuerroten Hubschraubern nach Jena fliegen. Sie hatte nicht mal eine Ahnung, wo das lag.

      Zu Hause schaute Paula sofort im Internet nach. Jena. Das lag in Thüringen. Mehr als zweihundertfünfzig Kilometer von Berlin entfernt! Nach der Druckkammertherapie würden sie Paul in der dortigen Uniklinik weiterbehandeln. Keine Chance, ihn einfach mal kurz zu besuchen.

      Püppi kam zu Paula an den Schreibtisch getrottet und legte ihr den Kopf aufs Knie. Als Paula sie hinter den Ohren kraulte, gab die Hündin ein leises Fiepen von sich. Als ob sie verstehen würde, was passiert war.

      »Er wär beinahe gestorben«, flüsterte Paula. Plötzlich stieg ihr ein Schluchzen in die Kehle und die ganze Anspannung der letzten Stunden entlud sich in einer Sturzflut von Tränen. Püppi legte ihr tröstend die rechte Vorderpfote aufs Knie und sah aus ihren klugen braunen Hundeaugen zu ihr auf.

      Als Paula sich ausgeweint hatte, kramte sie in ihrer Schultasche nach einem Tempotaschentuch, schnäuzte sich und stand auf.

      »Komm mit, Püppi«, sagte sie und ging ins Bad.

      Als die erste Haarsträhne zu Boden segelte, hielt Paula inne. »Ein Junge wie Paul«, murmelte sie. Püppi wedelte beim Stichwort Paul freudig mit dem Schwanz und schaute zur Tür.

      Entschlossen schnibbelte Paula weiter.

      Paul und Paula, dachte sie. Mama hatte während der ersten Monate der Schwangerschaft immer gesagt: »Wenn es ein Junge wird, heißt er Paul, und wenn es ein Mädchen wird, heißt es Paula.« Dann hieß es plötzlich: »Herzlichen Glückwunsch! Es werden Zwillinge!« Und von da an hatte Oma Helga nur noch von Paul und Paula gesprochen. Es gab einen Film namens Paul und Paula, den sie ganz, ganz toll fand. Genauer gesagt hieß er Die Legende von Paul und Paula; ein anscheinend ziemlich abgefahrener DDR-Film aus den Siebzigern. Und obwohl der Film eigentlich traurig endete und die Namensgebung von daher ziemlich daneben war, blieb es schließlich in dem ganzen Trubel von Kaiserschnitt-Geburt und zwei gnadenlos gleichzeitig schreienden Babys bei Paul und Paula.

      Auf dem Fußboden um Paula herum bildete sich ein riesiges Nest aus abgeschnittenen Haaren, als hätte sich ihre dichte blonde Mähne im Herunterfallen noch einmal verdoppelt.

      Paula schluckte. Nicht hinsehen, redete sie sich tapfer zu. Einfach nicht hinsehen.

      Sie holte den Besen aus der

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