Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln. Udo Hinnerkopf
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Das Etikett Yachtie wird diesen Odysseus-Typen nicht gerecht. Und Alternativler, die aus Unzufriedenheit mit der Gesellschaft statt bei Kohl und Müsli auf dem Land lieber auf einem Boot leben, sind sie auch nicht unbedingt. Mit Engagement für die Gesellschaft oder für eine ferne Zukunftsutopie wie Klimaschutz haben die meisten boat people nichts im Sinn. Was sie dagegen zu finden hofften, war ein wenig privates Glück – ein zufriedeneres, bequemeres und schöneres Leben für sich selbst. Im Grunde kann man sie durch die Bank weg als rechte Egoisten bezeichnen.
Aussteiger mit Charme - Wim aus Holland
So ähnlich war auch die Einstellung von André und Nora, die ich im Hafen von Ajaccio, Korsika, auf ihrer selbstgebauten Stahlyacht traf. Flucht, sagten beide übereinstimmend, sei ihr derzeitiges Leben auf dem Boot nicht. »Wir sind überzeugte Landmenschen.« Der pockennarbige André war Professor für Mathematik in Paris, Nora Lehrerin in einem Dorf in der Bretagne. Mit ihrem knallgrünen Knickspanter wollten sie in die Karibik segeln, später zurückkommen und dann wieder in ihr altes Leben »einsteigen«.
Nora, zierlich und gar nicht so recht zu dem sehr technisch wirkenden Schiff passend, sah in der Angst ein zerstörerisches Prinzip unserer Zeit. Deshalb sei sie auch für die Pause gewesen, eine Zeit zur Selbstbeobachtung und Erfahrung. Sie habe sehr viel Angst davor gehabt alles aufzugeben, Beruf, Wohnung, Freunde – die so genannte bürgerliche Sicherheit. »Alles pseudo, nichts wert.« Inzwischen habe sie Vertrauen zu sich selbst gefunden, und das sei die positivste Selbsterfahrung, die sie je gemacht habe.
André hielt sich für den Typ des Kopfmenschen, der auch mal etwas mit den Händen machen muss. »Mein Leben als Lehrer hatte mich nicht darauf vorbereitet mit den Händen zu arbeiten. Doch im Lauf weniger Monate wurde ich ein ganz passabler Handwerker.« Er lachte. »Da lernst du, dich sehr auf dich selbst zu verlassen, sonst fliegt dir irgendwann alles um die Ohren«, resümierte er.
Engagiert waren die beiden, aber nur, was ihre persönliche Entwicklung betraf. Die Suche nach einer besseren Welt war nicht ihr Thema. Obwohl sie einmal der kritischen Generation angehört hatten. André: »Wir sind auf einer großen Reise, einer Reise zu uns selbst.«
Ähnlich erging es Charlie, den ich in Mahón auf Menorca traf. Er saß auf seiner Sunda und war mit sich und der Welt im Einklang. Wir tranken mehr als ein Glas und philosophierten dabei ein wenig. Charlie sagte: »Auf meinem Boot fühle ich mich frei.« Er meinte damit, dass er für niemand anderen als für sich selbst verantwortlich sei. An Land habe man ihn oft unter Druck gesetzt, zur Arbeit gezwungen, was Verantwortung geheißen habe. Lange genug habe er gezögert, aber dann habe er das einzig Richtige getan und sei gegangen.
Im Hafen von Kos begegnete ich Conni, die mit ihrem Mann und zwei Kindern unterwegs war. Sie sagte: »Auf dem Boot habe ich noch mehr Verantwortung als an Land.« Sie meinte damit nicht nur, dass die beiden Kinder gefährlicher lebten als in einem Haus mit Garten, also mehr Auf- und Umsicht nötig sei.
Conni und ihre Familie
Rosa, die mit ihrem Mann in Marmaris in der Marina einen Winter verbracht hatte, behauptete, dass das Zusammenleben für Paare auf dem Boot schwieriger sei, weil man viel enger aufeinander hocke als in der kleinsten Wohnung. »Wir leben und erleben uns viel intensiver als an Land und sind dadurch zusätzlich gefährdet«, erklärte sie. Ohne die Bereitschaft zu mehr Toleranz und Verantwortung bei allen Beteiligten, davon war sie überzeugt, sei Bordleben nicht möglich.
Zwischen diesen Aussagen lässt sich das Verantwortungsgefühl vieler Langzeitsegler einordnen. Fast alle erklärten, dass sie sich für ihre Mitsegler und für ihr Boot verantwortlich fühlen. Auch Charlie, der Verantwortung für andere ablehnte, betonte ausdrücklich, wie wichtig die Sunda für ihn sei, und dass er alles aufbiete, um sie in einwandfreiem Zustand zu erhalten, schon wegen der Sicherheit. Dagegen wollten die meisten mit allem, was über den privaten und unmittelbar nachbarschaftlichen Bereich hinausging (die auf den anderen Booten), nichts zu tun haben. Hubert etwa meinte: »Ich bin ein unpolitischer Mensch, was die Protestierer auf den Straßen machen, ist mir scheißegal.«
Wendy und Dana ankerten in der kleinen Bucht auf Formentera südlich von Mallorca neben uns. Sie waren vor vielen Jahren aus Südafrika geflüchtet und mit ihrem Boot davongesegelt, weil sie fürchteten die Apartheid sei noch nicht überwunden. Sie waren auf der Suche nach einem friedlichen Land, in dem sie sich niederlassen konnten. Wer in seinem Land etwas verändern will, hat keinen Grund, sich auf ein Boot zu setzen und abzuhauen, erkannte Dana. Flucht ist eigentlich keine Lösung. Wahrscheinlich treffe man deshalb so wenig gesellschaftlich und politisch überdurchschnittlich interessierte Menschen unter den Seglern, die längere Zeit unterwegs sind.
Doch wenn so eine Odyssee zu Ende geht, bekommen auch die modernen Rumtreiber das große Flattern. Dann nämlich brauchen sie Freunde, die ihnen helfen, vor allem mit Verständnis, wenn sie sich nicht gleich auf dem Festland zurechtfinden, vor allem jedoch Unterstützung von denen, die für sie mal die »dummen Leute an Land waren«.
In Port-Vendres bereiteten sich Linus und Marlen, beide um die 40, auf den Wiedereinstieg vor. Vor drei Jahren waren sie mit ihrer Stella Mares von Frankreich in die Karibik gesegelt, um sich von ihrem alten Beruf zu befreien – und einen neuen zu finden. Als Lehrer, Übersetzer und Taucher hatte Linus bis dahin genügend Geld im Berufespringen gesammelt. Geld war überall zu verdienen, dachte er, warum nicht einmal so verrückt sein und es unterwegs versuchen?
Nach drei Jahren war das Gesparte ausgegeben, aber kein neuer Beruf in Sicht. »Ich werde niemals die Freiheit vergessen, die ich unterwegs gehabt habe«, gestand er. »Da segelst du um die halbe Welt und erlebst so allerhand, und auf einmal soll das alles vorbei sein?« Er rutschte näher an mich heran – unsere Boote lagen Fender auf Fender nebeneinander, er dämpfte die Stimme und klang etwas ratlos. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.«
Wer mehr als zwei Jahre auf einem Boot gelebt hat, der schafft den Wiedereinstieg in die Leistungsgesellschaft, in der der Wind selten von achtern weht, wie im warmen Passat, nur, wenn er sich eisern diszipliniert und über die entsprechende Motivation verfügt – und die heißt meist ein neues Schiff und eine neue Reise. Wie Pierre aus Brügge nach seiner Weltumseglung erzählte, dessen Kasse so leer war wie ein Wassertank nach einer Ozeanüberquerung. Für ihn gab es nur eine Möglichkeit: Er musste zurück in seinen alten Beruf. Seine nächtlichen Zivilisations-Anpassungs-Übungen waren Horrorträume. Er hat ständig von einer zweiten Weltumseglung gesprochen, die er in 8 bis 10 Jahren beginnen werde. Er wird es sicher – vielleicht, möglicherweise, unter Umständen, wenn nichts dazwischen kommt – auch schaffen.
03. Ohne Moos – nix los
Kein anderes Problem drückt Langzeitsegler so sehr wie die Sorge um das liebe Geld. Das war und ist auf Aussteiger-Yachten immer wieder Tagesgespräch. Mit Phantasie und geschickten Händen schafften es einige, flüssig zu bleiben oder wieder flüssig zu werden, wenn Ebbe in der Kasse war. Andere nicht.
Meist kreiste alles Denken von Anfang an um’s liebe Geld. Pensionierte Ehepaare mit mehr oder weniger dickem Rentner-Portemonnaie, kennen dieses Thema nicht so sehr. Dafür kommt es bei allen anderen umso häufiger auf den Salontisch. Die Diskussion, wie man an Bord leben und gleichzeitig Geld verdienen kann, ist so alt wie die Geschichte von Joshua Slocum, dem ersten Einhand-Weltumsegler – abendfüllend und selten langweilig. Die Kreativität der Beteiligten kennt keine Grenzen. Reale Marktchancen haben nur etwa zwei bis drei Prozent der entwickelten Ideen.
Am Anfang steht immer die Frage: Was braucht man? Wilfried und Ruth, die mit ihrem umgebauten