Solo für Sopran. Peter Gerdes

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Solo für Sopran - Peter Gerdes

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Wenn schon keine Autos.«

      Die rundliche Frau nickte. »Ist gut«, sagte sie leise und entfernte sich, sorgsam darauf bedacht, keine auffällige Hast an den Tag zu legen.

      Sehr schön, dachte Heiden, froh, sich nicht selber kümmern zu müssen. Auch wenn er um einen Besuch bei der Polizei wohl nicht herumkommen würde.

      Er klatschte laut in die Hände. »So, genug getrödelt, frisch ans Werk! Uns steht noch eine Menge Arbeit bevor.«

      6.

      Das Meer kam auf ihn zu. Merkwürdig. Aber eindeutig.

      Nicht nur Welle um Welle, klar, das auch. Nach wie vor brandete Woge auf Woge heran, kräftig und lautstark, obwohl der Wind im Moment ziemlich sanft wehte, wie er fand. Aber woher wollte er das wissen? Hatte er denn einen Vergleich?

      Wie auch immer, dachte der dicke Mann, das Meer kommt auf mich zu. Seit Stunden fixierte er nun schon den Spülsaum, jene Zone, in der sich die schaumigen Ausläufer der gebrochenen Brandungswellen im nassen Sand verliefen und eine Markierung aus Treibholzstücken, Möwenfedern, Pflanzenresten, Plastikflaschen und sonstigem Unrat zurückließen. Keine Welle war wie die andere, und so war auch der Verlauf des Spülsaums ständigen Veränderungen unterworfen.

      Nur eins war unübersehbar: Er kam auf ihn zu.

      »Flut«, krächzte der dicke Mann leise vor sich hin. Seit Stunden das erste Wort, das er gesprochen hatte. Flut, natürlich, Ebbe und Flut. Sechs Stunden und ein bisschen, jeweils. Zweimal am Tag kam und ging das Wasser. Na also, da war ja doch noch etwas, dort oben unter seiner geschwollenen Schädeldecke, die nicht mehr ganz so wütend pochte wie heute früh. Wie viel mochte da noch sein?

      Aber vorerst wartete er vergebens. Die erhoffte Erinnerungsflut wollte nicht einsetzen.

      Der Spülsaum näherte sich nicht nur, er schwankte auch. Vor und zurück, vor und zurück, ebenso wie der blaue Himmel und die Schäfchenwolken über dem stahlgrau schimmernden Meeresspiegel. Das verwunderte ihn, bis er feststellte, dass es sein eigener dicker Körper war, der da schwankte. Vor und zurück, vor und zurück, die Arme oberhalb des halbkugeligen Bauches um die füllige Brust geschlungen. Selbsthypnotisch. Wie nannte man das noch, wenn jemand so vor sich hin wackelte – Autismus? Nein, Hospitalismus, das war es. Wieder ein Fundstückchen Erinnerung. Leider wiederum keins, das ihm weiterhalf.

      Immerhin war ihm nicht mehr so kalt wie am frühen Morgen. Seit Stunden saß er nun schon hier am Strand, auf ein und demselben Fleck, wie gefangen in seinem egozentrischen Gewackel und seiner Erinnerungslosigkeit, und wartete. Auf sich selbst, genau genommen. Bisher aber war die erhoffte Offenbarung ausgeblieben. Er war sich selber immer noch so fremd wie heute früh, war nichts weiter als ein dicker Mann in Unterwäsche. Mit einer schmerzenden Beule am Kopf. Und Blutkrusten an den Händen.

      »Hast du denn kein Handtuch?«

      Der dicke Mann erstarrte. Natürlich, in den vergangenen Stunden, in denen er sich darauf beschränkt hatte, seinen Körper rhythmisch vor und zurück zu wiegen und dabei vielleicht ein weiteres verschüttetes Stückchen Erinnerung an die Oberfläche seines Bewusstseins zu schütteln, war nicht nur das Meer ein wenig auf ihn zugekommen und die Sonne ein Stückchen höher in den Himmel geklettert. Der Strand rund um ihn her hatte sich auch belebt, Menschen hatten ihre Decken und Badelaken ausgebreitet, sich zuerst zögernd und dann immer freimütiger bis aufs Schwimmzeug entblößt und ihre nussbraunen, madenweißen oder himbeerrosa Körper den wechselseitigen Blicken und den Sonnenstrahlen dargeboten. Längst war das Fleckchen Sandstrand, auf dem er am Morgen noch mutterseelenallein gehockt hatte, von anderen Badegästen umgeben, umringt, umzingelt. Förmlich eingekesselt. Nicht, dass er das nicht wahrgenommen hätte, nur hatte er es irgendwie ausgeblendet. Bis jetzt.

      »Und hast du denn auch keine Badehose?«

      Ein Schwall Sand prickelte über seinen rechten Oberschenkel. Langsam drehte er seinen Kopf auf dem dicken, kurzen Hals, peilte misstrauisch aus den Augenwinkeln.

      »Was machst du denn eigentlich hier, wenn du kein Handtuch und keine Badehose hast?«

      Die Kleine mochte sechs Jahre sein, vielleicht acht, älter auf keinen Fall. Dafür reichlich altklug. Wie sie da stand, das rundliche Kinn vorgestreckt, die Ellbogen angewinkelt, beide Fäuste in die babyspeckigen Hüften gestemmt, hätte sie gut und gerne eine amtlich bestallte Strandaufseherin sein können. Vielmehr die Karikatur einer solchen, angefertigt für die tägliche Kinderseite der Badezeitung.

      »Klar hab ich Badesachen«, sagte der dicke Mann, einfach um etwas zu sagen.

      »Und wo sind die?« Die Kleine erwies sich als hartnäckig. »Warum hast du deine Badehose denn nicht an? Warum sitzt du einfach so im Sand, wenn du ein Handtuch hast oder ein Badelaken? Und wo hast du das alles denn überhaupt?«

      »Da drüben«, log er und wedelte mit der linken Hand vage nach links, zur anderen Seite des Strandgetümmels. »Hab mich noch nicht umgezogen. Wollte erst mal gucken.«

      Der Kleinen schien das einzuleuchten. Sie nickte ernsthaft, wobei ihr das blendend weiße Sonnenhütchen tief in die Stirn rutschte. »Bist du denn ganz allein hier?«

      Der dicke Mann seufzte leise. »Ich glaube schon«, antwortete er. »Jedenfalls habe ich noch keinen gesehen, der zu mir gehört.«

      Wieder nickte das Mädchen. Offenbar hatte der dicke Mann genau den richtigen Ton getroffen. Das erstaunte ihn, denn er war nicht davon ausgegangen, besonders viel Erfahrung im Umgang mit Kindern zu haben. Aber was wusste er schon über sich?

      Die Kleine trug tatsächlich einen Bikini. Das mintgrüne Höschen war ebenso mit einer gewellten Blümchenborte verziert wie das gleichfarbige Oberteil, das nichts anderes zu halten hatte als sich selbst. Eigentlich Blödsinn, Kinder in diesem Alter derart aufzuzäumen. Aber vermutlich konnten manche Eltern ihre Töchter gar nicht früh genug ins Rollenschema pressen.

      Die Kleine musterte ihn weitaus unverhohlener als er sie. Anscheinend war sie mit dem Resultat ihrer Betrachtung zufrieden, denn sie fragte: »Kommst du mit ins Wasser? Mami und Papi haben noch keine Lust, und alleine traue ich mich nicht.«

      »Aber ich habe doch meine Badehose noch gar nicht an«, versuchte er sich halbherzig herauszureden. Ein Fehler, wie ihm sofort klar wurde, denn mit Halbherzigkeiten war bei der kleinen Bikiniträgerin nicht durchzukommen.

      »Die kannst du dir doch holen«, schlug das Mädchen vor, sichtlich froh, dass er nicht sofort und prinzipiell abgelehnt hatte. Ihr pummeliges Händchen wedelte vor seiner Nase herum, wies auf die andere Strandseite: »Von da hinten, wo du gesagt hast. Und dein Badelaken auch. Dann tust du dir dein Laken um und ziehst dir deine Badehose an, und dann gehen wir schwimmen.« Sie musterte ihn mit gekraustem Näschen: »Du hast doch ein Laken, das um dich rum passt, oder?«

      »Gute Frage«, brummte er. Da hatte er sich ja in eine verteufelte Lage hineinmanövriert! Wo er doch weder Badehose noch Laken besaß, jedenfalls nicht jetzt und hier.

      Andererseits …

      Ewig hier sitzen bleiben und mit dem Oberkörper wackeln konnte er sowieso nicht. Irgendetwas musste er unternehmen. Er musste hier weg, und solange er nicht wusste, was von ihm selbst, der Beule an seinem Kopf und den Krusten an seinen Händen zu halten war, tat er bestimmt gut daran, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Und ein dicker Mann in Badehose und mit einem Badelaken über der Schulter fiel hier am Strand mit Sicherheit weniger auf als einer in Unterwäsche. Ein von der textilen Seite her betrachtet kleiner, aber feiner Unterschied.

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