Der Fluch der goldenen Möwe. Peter Gerdes

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Der Fluch der goldenen Möwe - Peter Gerdes

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sind wir wieder bei uns?« Eine leise Stimme, sanft wie das Schnurren eines Tigers. »Alles gut, alles klar? Wir wollen ja nichts verpassen, oder.« Eine Hand tätschelt seine Wange, Finger fahren leicht über seinen Hals, seine Kehle, seinen freiliegenden Brustkorb. »Dann können wir ja jetzt zur Sache kommen.«

      Gänsehaut. Und ein Stich. Eine Injektion. Noch eine. Und wieder.

      Er schnappt nach Luft, gierig, als gäbe es gleich keine mehr. Er tötet mich, denkt er, er bringt mich um. Dass einer so vorgeht, hätte er nicht gedacht. Das ist für ihn das eigentlich Überraschende.

      Lichtflecken huschen über sein Gesicht. Aha, denkt er, irgendwo in einer kleinen Blase seines Verstandes, der ansonsten von heulender Panik geschüttelt wird, aha, er will es sehen, er will sich das nicht entgehen lassen. Das Licht blendet, aber er kann seine Augen nicht mehr schließen. Auch das Luftholen wird immer schwerer. So ist das also. Nein, ein schöner Tod wird das nicht.

      Das Licht erlischt. Hat er genug gesehen? Wieder der Atem, das Kitzeln am Ohr.

      »Du glaubst, dass du stirbst?«, raunt die Tigerstimme. »Nein, mein Lieber, Sterben ist noch nicht dran. So einfach geht das nicht.«

      2.

      Fassungslos starrte Renko Heidergott auf das Instrument in der Hand seines Gegenübers. »Ein Messer?«, schnauzte er dann. »Das ist doch kein Messer!« Mit einer blitzschnellen Bewegung seiner hornigen Linken schlug er Heiko Grendel das Ding aus den Fingern. Mit der anderen Hand hielt er ihm eine blitzende Klinge unter die Nase. »Siehst du? Das ist ein Messer!«

      »Au! Sag mal, spinnst du?« Maulend rieb sich Heiko Grendel die schmerzende Hand. »Musst du immer gleich überreagieren? Außerdem ist das kein Messer, was du da hast.«

      »Ach nee?«

      »Nee! Das ist ein Fischmesser.«

      »Klugscheißer.« Renko Heidergott warf das Instrument zurück in den Besteckkasten. Es klingelte satt und silbern. »Wenigstens bekommen meine Gäste etwas Anständiges in die Hand. So, wie sich das gehört. Nicht so ’nen Plastikmüll, wie du dir vorstellst.« Die Hand des stämmigen Mannes, dessen breites Gesicht von einem struppigen Bart eingerahmt war, wedelte verächtlich in Richtung des Kunststoffmessers, das auf dem altersfleckigen Parkettboden in der Tat nach nichts anderem aussah als nach Müll. Heidergotts Blick irrte zwischen Grendels glattem, jungenhaftem Gesicht und dem Einwegbesteck hin und her, offenkundig unsicher, aus welcher Richtung mehr Kontamination drohte.

      »›Wie sich das gehört‹! Mein Gott, Heidergott, wenn ich das schon höre!« Heiko Grendel setzte sich an den nächstbesten Tisch und verschränkte bockig die Arme. »Tradition und Konvention, das ist alles, was ihr kennt und könnt, du und die anderen Betonköpfe hier. Das ist schon immer so gewesen, das haben wir schon immer so gemacht – als ob man heute noch so Geschäfte machen könnte! Mensch, Renko, die Zeiten ändern sich. Ständig! Neue Generationen, neue Moden, neuer Geschmack. Die Jugendlichen von heute sind unsere Kunden von morgen. Ach Quatsch, heute schon sind das unsere Kunden!«

      Grendel kam in Fahrt, löste seine Arme aus ihrer Blockadehaltung und begann zu gestikulieren. »Und was haben wir denen zu bieten? Nichts als den gleichen Quark, den wir schon ihren Großeltern aufgetischt haben. Und dann deine ganze Ausstattung hier, dieses altmodische Mobiliar, dieser maritime Krempel überall an den Wänden! Tinnef! Glaubst du etwa, dass wir die jungen Leute damit begeistern können?«

      »Guck dich doch um, es sind doch jede Menge junge Leute auf der Insel.« Heidergott hatte Grendel gegenüber Platz genommen. Er klang immer noch barsch, aber doch deutlich defensiver. Jetzt war es an ihm, die muskulösen Arme vor der Brust zu verschränken.

      »Na klar sind die das. Aber warum?« Grendels richtete seinen gereckten Zeigefinger auf Heidergotts Brust wie der zuvor das Fischmesser auf seine. »Weil sie müssen! Ihre Eltern schleppen sie mit in den Urlaub, da werden die Blagen doch gar nicht gefragt, und dann sind sie hier auf Langeoog und können zwei, drei Wochen lang schlicht und einfach nicht mehr weg. Also bleiben sie hier, ob sie wollen oder nicht, und essen, was wir ihnen vorsetzen. Aber mit was für langen Zähnen!«

      »Das stimmt doch gar nicht.« Renko Heidergott, seines Zeichens Chefkoch, Besitzer und Betreiber des Speiselokals Seestern, das sich selbst als ›Familienrestaurant‹ anpries, ließ deutlich erkennen, dass Grendels Bemerkungen ihm gegen die Berufsehre gingen. »Die jungen Leute essen doch auch bei uns.«

      »Na logo, was bleibt ihnen auch anderes übrig«, höhnte Grendel. »Die Alten zahlen ja auch!« Er angelte nach einer der Speisekarten, klappte den schweren Kunstledereinband auf und blätterte darin, ohne hinzugucken. »Und was? Labskaus, Brathering, gedünsteten Seelachs im Gemüsebett. Glaubst du etwa, das haut die vom Hocker?«

      »Wir haben aber doch auch etwas für die Jugend im Angebot«, widersprach Heidergott. »Da hinten zum Beispiel, die Kinderteller …«

      »Hinten! Kinderteller!« Grendel hieb seine flache Hand auf die klarsichtumhüllten Seiten der Karte. »Das ist natürlich genau das, was Teenager wünschen! Das Anhängsel sein, ganz hinten, und Verlegenheitsessen kriegen. Fischstäbchen mit Kartoffelsalat vielleicht? Frikadelle? Oder Putenschnitzel mit Pommes? Mann, Alter, wo lebst du denn!« Er klappte die Karte zu und wischte sie beiseite. »Die Jugend von heute hat ihre eigene Esskultur. Und sowie es hier auf Langeoog ein Restaurant gibt, das ihnen genau das bietet, was diese Esskultur ausmacht, werden sie auch genau dort hingehen. Und ihre Eltern werden mitgehen, jedenfalls hin und wieder, denn wer will schon den ganzen Urlaub über Familienkrach – wetten?«

      »Esskultur, ja?« Heidergott schob seine breiten Schultern nach vorne. »Du redest von Burgern, richtig? Fertighack in weichen Brötchen. Pommes aus der Tüte. Chicken Nuggets, panierte Hähnchenreste aus der Fritteuse. Oder undefinierbare Fleischpampe querbeet von Pferd bis wer weiß wohin! Natürlich frittiert. Überhaupt alles frittiert, am besten auch gleich die Cola! Klebrige Fertigsaucen. Lasche Normsalate, bei denen die Verpackung mehr wiegt als der Inhalt. So was meinst du doch, richtig? Gefrierzeugs, das man sich mit Plastikbesteck reinschaufelt oder gleich mit den Fingern! Und das nennst du Esskultur?«

      Grendel zuckte die Schultern. »Was willst du? Das ist die Zukunft. Genau genommen ist das ja auch schon die Gegenwart. Bloß habt ihr das noch nicht mitbekommen, du und deinesgleichen. Weil ihr es nicht mitbekommen wollt. Weil ihr hier in der Vergangenheit lebt, abgeschottet gegen alles, was neuer ist als hundert Jahre! Leute wie du stehen dem Fortschritt im Weg, ist dir das klar?«

      »Was willst du?« Heidergott breitete seine kräftigen Arme aus. »Das ist eben unser Stil hier. Und wir fahren doch sehr gut damit.«

      Grendel hob den Zeigefinger: »Noch, mein Lieber, noch. Aber nur mangels Konkurrenz! Weil ihr hier in einem Ghetto lebt, abgeschottet von der Realität. Aber nicht auf ewig, glaube mir! Sowie hier auf der Insel ein modernes Burger-Restaurant aufmacht, ist es damit vorbei.«

      Heidergott verzog geringschätzig den Mund. »Klar. Wenn sich das Klima weiter erwärmt und der Meeresspiegel weiter steigt, dann ist Langeoog weg, dann ist es hier mit allem vorbei. Aber wann wird das sein? Morgen nicht und übermorgen auch nicht, so viel steht fest.«

      Grendel lehnte sich zurück, ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. »Sei dir da mal nicht so sicher. Das kann schneller gehen, als du denkst. Sehr viel schneller.«

      »Wie? Das mit dem Klimawandel?«

      »Nee, du Torfkopp! Das mit der Konkurrenz. Du wirst schon sehen.«

      Grendels Grinsen erlosch wie ausgeknipst, als Heidergotts tellergroße Hand auf ihn zuschoss und ihn

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