Der Priester, die Frau und der Beichtstuhl. Charles Chiniquy

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Der Priester, die Frau und der Beichtstuhl - Charles Chiniquy

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können, so oft wir darum bitten. Das priesterliche Gelübde völliger Keuschheit ist eine große Ehre und ein herrliches Vorrecht; aber es auferlegt uns eine Last, welche viele nicht beständig zu tragen vermögen. St. Liguori sagt uns, wir sollen den bußfertigen Priester nicht tadeln, wenn er nur einmal des Monats falle; und andere glaubwürdige Theologen sind noch weit milder als dieser Heilige.»

      So lautete die Antwort meines Beichtvaters – für mich ganz und gar unbefriedigend. Sie schien mir von Schmierseifegrundsätzen durchzogen. Ich verließ ihn mit schwerem Herzen und geängstigtem Gemüt. Gott weiß, wie ernstlich ich betete, Er möchte es doch verhüten, dass die fragliche junge Dame je wieder in meinen Beichtstuhl komme. Ich war damals kaum 26 Jahre alt, voller Leben und Jugendkraft. Es kam mir vor, die Stiche von tausend Wespen könnten meinen Ohren nicht so gefährlich sein wie die Worte dieser liebenswürdigen, hübschen, vornehmen, aber bei alledem doch verlorenen Tochter. Damit will ich nicht sagen, dass ihre Geständnisse sie in meiner Achtung heruntergesetzt hatten. Nein, gerade durch ihren ernstlichen Protest gegen die verunreinigenden Fragen der Beichtväter hatte sie meine Achtung gewonnen, und ich hoffte zuversichtlich, dass sie im Reiche Christi einen Platz finden werde neben der Samariterin und der großen Sünderin, ja, mit all jenen Sündern, die ihre Kleider gewaschen haben im Blute des Lammes.

      Am bestimmten Tage hörte ich eben die Beichte eines jungen Mannes, als Miss Mary daher kam und auf der andern Seite des Beichtstuhls niederkniete. Obschon sie noch tiefer verschleiert war als das erste Mal, zweifelte ich doch keinen Augenblick daran, dass sie dieselbe Person war, in deren väterlichen Hause ich schon öfters so schöne Stunden verlebt hatte. Sie pflegte bei solchen Gelegenheiten unsere prachtvollen Kirchenlieder auf dem Piano zu spielen und sang dazu mit ihrer melodischen Stimme. Ihre vornehme Haltung, die ganz mit ihrem Benehmen zu Hause im gesellschaftlichen Kreise übereinstimmte, verriet auch hier in der Kirche, wer sie war.

       Wie gerne hätte ich ihr in dieser feierlichen Stunde ihre ernstliche Bitte, die sie vor acht Tagen an mich gerichtet hatte, gewährt! Wie gerne hätte ich sie auf den sterbenden Erlöser hingewiesen und ihr zugerufen: «Gehe hin mit Frieden; deine Sünden sind dir vergeben!» Aber hier im Beichtstuhl war ich nicht Christi Knecht; ich durfte nicht Seinen göttlichen, heilsamen Worten folgen, noch dem, wozu mich mein eigenes Gewissen trieb. Nein, hier war ich der Sklave des Papstes! Ich musste die Regungen meines eigenen Gewissens ertöten und die göttlichen Eingebungen ignorieren. Mein Gewissen hatte da nichts zu sagen, die Vernunft musste schweigen! Ich hatte einzig und allein den päpstlichen Theologen Gehör zu schenken und ihnen unbedingt zu gehorchen. Ich war nicht da, um zu retten, sondern um zu verderben; denn unter dem Vorwand, die Seelen zu reinigen, ist es oftmals, wenn auch nicht immer, die wahre Aufgabe des Beichtvaters, auch wenn er dies gar nicht will, dass er den Seelen Anstoß geben und sie verdammen muss.

      Nachdem der junge Mann, der mir zur Linken kniete, seine Beichte beendigt hatte, wandte ich mich zur Rechten und fragte die junge Dame durch das Gitterchen: «Sind Sie bereit, Ihre Beichte zu beginnen?»

      Statt einer Antwort vernahm ich nur den Seufzer: «O Jesus, habe Erbarmen mit mir! Ich bin gekommen, um meine Seele in Deinem Blute zu waschen; willst du mich abweisen?» Mehrere Minuten lang richtete sie ihre Hände und Augen gen Himmel und weinte und betete. Offenbar bemerkte sie gar nicht, dass ich sie beobachtete. Sie glaubte, das Fenster des Beichtstuhls sei geschlossen.

      Nachdem ich die in Andacht versunkene Person eine Zeitlang beobachtet hatte, klopfte ich leise an das Gitter und fragte nochmals: «Sind Sie bereit zur Beichte?» Jetzt schaute sie mich an und antwortete mit zitternder Stimme: «Ja, ich bin bereit.» Dann begann sie aber aufs Neue zu weinen und zu beten; ich konnte jedoch ihre Worte nicht verstehen.

      Nach einigem Warten forderte ich sie wieder auf, ihre Beichte zu beginnen. Jetzt fasste sie sich und sagte: «Treuer Pater, Sie denken doch noch daran, was ich kürzlich von Ihnen bat? Können sie mir gestatten, mein Bekenntnis so abzulegen, dass ich dabei den Respekt nicht vergesse, den ich mir selber schuldig bin, so gut wie Ihnen und dem allwissenden Gott? Und können Sie mir versprechen, dass Sie mir keine jener Fragen stellen wollen, die mir schon solch unheilbaren Schaden zugefügt haben? Ich bekenne Ihnen offen, dass in mir Sünden wohnen, die ich niemand offenbaren kann außer Christus; denn Er ist mein Gott und weiß alles schon. Lassen sie mich zu Seinen Füssen weinen! Können Sie mir wirklich nicht vergeben, ohne dass ich zu meinen bereits begangenen Sünden noch weitere hinzufüge, indem Sie mich zwingen, von Dingen zu reden, von denen ich nun einmal nicht reden kann?»

      «Meine teure Schwester», antwortete ich bewegt, «dürfte ich meinen eigenen Gefühlen folgen, so würde ich Ihrer Bitte mit dem größten Vergnügen entsprechen. Aber ich stehe hier als der Diener unserer heiligen Kirche, durch deren Verordnungen ich gebunden bin. Und diese lehrt mich durch ihre allerheiligsten Päpste und Theologen, dass ich Ihnen Ihre Sünden nicht vergeben kann, wenn Sie dieselben nicht allesamt und zwar so bekennen, wie sie von Ihnen begangen worden sind. Die Kirche verlangt, dass eine detaillierte Beichte abgelegt werde und sie befiehlt dem Beichtvater, dass er nach denjenigen Sünden frage, die etwa wissentlich oder unwissentlich mögen verschwiegen worden sein.»

      Als ich solches sagte, schrie sie mit durchdringender Stimme: «Dann, o mein Gott, bin ich verloren, ewig verloren!»

      Dieser Schrei ging mir durch Mark und Bein. Wer beschreibt aber meinen Schrecken, als ich durch die Öffnung des Beichtstuhles sah, dass die Unglückliche in eine Ohnmacht versank! Ich hörte, wie sie zur Erde fiel und wie sie im Fallen ihren Kopf auf dem Beichtstuhl aufschlug. Schnell wie der Blitz sprang ich ihr zu Hilfe, rief etliche Leute herbei, die in der Kirche zugegen waren und legte die Ohnmächtige mit deren Hilfe auf eine Bank, holte Wasser und Essig und wusch ihr damit das Gesicht. Sie war bleich wie der Tod, nur ihre Lippen bewegten sich und flüsterten die Worte, die niemand außer mir verstand: «Ich bin verloren, ewig verloren bin ich!»

      Wir brachten sie nach Hause, zu ihren untröstlichen Eltern. Dort schwebte sie einen Monat lang zwischen Leben und Tod. Ihre beiden ersten Beichtväter wollten sie besuchen; sie wies denselben höflich und bestimmt die Tür. Mich bat sie hingegen, sie täglich zu besuchen; denn sie sagte: «Ich habe nur noch wenige Tage zu leben; helfen Sie mir in der Vorbereitung auf die ernste Stunde, da sich mir die Pforten der Ewigkeit öffnen werden!»

      Ich besuchte die Kranke täglich und betete und weinte mit ihr. Immer wieder bat ich sie unter Tränen, ihre Beichte zu beendigen; aber sie verweigerte dies mit einer Bestimmtheit, die mich in Verwunderung setzte.

      Eines Tages kniete ich an ihrem Bette nieder, um zu beten. Ich fand aber keine Worte, sondern konnte nur schluchzen. «Warum weinen Sie?» fragte mich die Kranke.

      Weil ich Ihr Mörder bin!» erwiderte ich.

      «Weinen Sie nicht um meinetwillen, sondern weinen Sie wegen der vielen Priester, die ihre Beichtkinder verderben. Ich glaube an die Heiligkeit des Sakramentes der Beichte», sagte sie, «aber etwas Unrichtiges muss doch daran sein, sonst wäre ich nicht dadurch zu Grunde gerichtet worden. Ich befürchte, wenn unsere Väter einmal dahinter kommen und erfahren, welchen Schaden ihre Töchter im Beichtstuhl nehmen, so werden sie furchtbare Rache an den Priestern nehmen.»

      Ich konnte hierauf nichts erwidern, sondern weinte nur noch heftiger. Da reichte sie mir ihre Hand und sagte: «Weinen Sie nicht! Sie haben mir ja freilich durch Ihre Antwort, die Sie mir im Beichtstuhl gaben, einen heftigen Schlag versetzt; aber ich weiß, dass Sie nicht anders handeln durften, weil Sie durch die Vorschriften der Kirche gebunden sind. Und ich kann Ihnen sagen, dass der Sturm, den Ihre Antwort damals in meinem Innern entfesselte, mein Schifflein von dem bodenlosen Meer meiner Sünden in den Friedenshafen getrieben hat, wo Jesus meiner wartete und mir meine Sünden vergab. In der Nacht, die auf jenen Vorfall folgte, hatte ich einen Traum – nein, es war kein bloßer Traum, sondern Realität. Mein Jesus kam zu mir, blutbesprengt, die Dornenkrone auf dem Haupt und das Kreuz auf Seiner Schulter. Er sprach zu mir mit einer Stimme, so süß,

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