Der Priester, die Frau und der Beichtstuhl. Charles Chiniquy
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Es war schon spät am Abend, als ich das Haus verließ, um die Ruhe aufzusuchen. Ich verbrachte jedoch eine schlaflose Nacht. Wie konnte ich den Gedanken an die Sterbende los werden, der ich den Dolch ins Herz gestoßen hatte, welchen die Kirche mir in die Hände gegeben? Sie sollte an gebrochenem Herzen sterben, mir aber erlaubte die Kirche nicht einmal, ihr einigen Trost und Hoffnung zu geben, nur weil sie die geforderte Beichte nicht abgelegt hatte! Ich hatte diese Pflanze unbarmherzig geknickt; aber das Mittel fehlte mir, die Wunden wieder zu heilen, die ich geschlagen hatte.
Ehe der Tag graute, machte ich mich wieder an meine theologischen Bücher, um noch einmal zu sehen, ob sich nicht ein Weg finden lasse zur Vergebung ihrer Sünden, ohne dass sie alles beichten müsse. Aber die Bücher schienen mir unerbittlicher als je, und ich stellte sie trostlos wieder auf das Brett.
Schon um 9 Uhr vormittags stand ich wieder am Krankenlager. Zu meiner Freude vernahm ich, dass es Miss Mary besser gehe. Ein Lächeln verklärte ihre bleichen Züge, als sie mir sagte: «Ich glaubte gestern Abend, der liebe Heiland wolle mich zu sich nehmen; aber ich muss Ihnen scheint’s noch mehr Mühe machen. Lange wird es freilich nicht mehr gehen. Bitte, lesen Sie mir doch noch einmal die Geschichte vom Leiden und Sterben des lieben Heilands, die sie mir schon früher vorgelesen haben. Es tut mir so wohl, wenn ich hören darf, wie sehr Er mich arme Sünderin geliebt hat.»
Die Ruhe und Feierlichkeit, die in diesen Worten lagen, machte auf mich und ihre Angehörigen einen tiefen Eindruck. Nachdem ich den Abschnitt gelesen hatte, rief sie aus: «Er hat mich so geliebt, dass Er für meine Sünden starb!» Darauf schloss sie ihre Augen, als wollte sie über das Gehörte nachdenken.
Wir knieten alle nieder, um zu beten. Aber die Stimme versagte mir vollständig. Der Gedanke, dass dieses teure Kind an dem grausamen Fanatismus der Theologen sterben müsse und zwar infolge meiner Feigheit, mit welcher ich denselben gehorchte, war mir unerträglich und drohte mich zu erdrücken. Trotzdem versuchte ich es noch einmal, nachdem die andern sich entfernt hatten, sie zu einem umfassenden Bekenntnis zu überreden. Aber sie sagte: «Gott hat Adam und Eva bekleidet, nachdem sie gesündigt hatten; warum wollen unsere Beichtväter uns dieses Kleid wieder rauben? Das kann nicht Gottes Wille sein!»
Dieses einfache Argument schlug mich so, dass mir die ganze Weisheit meiner Kirche und ihrer Doktoren und Theologen dadurch zu Staub zermalmt wurde. Ich musste hinaus ins Freie, um dort meinem gepressten Herzen Luft zu machen.
Als ich nachmittags 4 Uhr wieder kam, empfing mich die Mutter der Kranken mit ernster Miene. Sie sagte: «Leider war die Besserung im Befinden meiner Tochter nur vorübergehend. Es geht mit ihr rasch zu Ende. Ich denke, es wäre hohe Zeit, dass sie die Sterbesakramente erhielte.»
«Gut», sagte ich, «lassen Sie mich einige Augenblicke allein mit der Sterbenden, damit ich sie auf die letzte Ölung vorbereiten kann.»
Sobald ich ins Krankenzimmer getreten war, kniete ich am Lager meines Beichtkindes nieder und sagte zu ihr: «Teure Schwester, ich möchte Ihnen gerne die heilige Wegzehrung und die letzte Ölung geben; aber ich kann es leider nicht tun, ohne Ihnen zuvor die Absolution erteilt zu haben. Diese darf ich Ihnen aber nicht geben, so lange Sie nicht alles gebeichtet haben. Da ich Sie so hoch verehre, tut es mir unendlich leid, Ihnen das sagen zu müssen. Ich würde lieber tausendmal sterben, als durch diese Erklärung ihre Ruhe und Ihren Frieden zu stören; aber was kann ich für Sie tun in dieser ernsten und feierlichen Stunde?»
Hierauf erwiderte sie in größter Seelenruhe, mit einem seligen Lächeln, wie ich es nie zuvor und seitdem nie wieder gesehen habe: «Ich danke Ihnen, teurer Beichtvater, für das Gleichnis vom verlorenen Sohn, über welches Sie uns vor einem Monat gepredigt haben. Sie haben mich dadurch zu den Füssen des teuren Erlösers gebracht. Bei Ihm habe ich Frieden gefunden und eine Freude, welche alle Gefühle weit übertrifft, deren das menschliche Herz sonst fähig ist. Ich habe mich in die Arme meines himmlischen Vaters geworfen und ich weiß, dass Er mich gnädig aufgenommen und Seinem verlorenen Kind vergeben hat. Schon sehe ich dort die Engel mit ihren goldenen Harfen vor dem Thron des Lammes. Hören Sie den himmlischen Klang ihrer Lieder nicht? Ich gehe – ich gehe zu ihnen in des Vaters Haus! Ich werde nicht verloren gehen!»
Während sie so sprach, füllten sich meine Augen mit Tränen, dass ich nicht sehen konnte. Ihre Rede tönte wie himmlische Musik. Die beiden letzten Worte: «Ich gehe in des Vaters Haus und ich werde nicht verloren gehen», sprach sie aber mit so wunderbarer Betonung aus, dass ich merkte, es müsse da etwas Besonderes vorgegangen sein. Ich trocknete meine Tränen, um zu sehen und stand von meinen Knien auf. Da lag sie mit gekreuzten Armen und blickte unverwandt nach oben.
In diesem Augenblick stürzte die Mutter ins Zimmer hinein. «Um Gottes willen!» rief sie aus, «was soll dieser Schrei ‚verloren‘ bedeuten?» Die Tochter hatte nämlich dieses letztere Wort mit so durchdringender Stimme ausgerufen, dass man es fast im ganzen Hause hören konnte.
Ich winkte der Mutter, sie möchte die Kranke in ihrer Andacht nicht stören; denn ich glaubte nichts anderes, als sie liege betend da. Aber ich irrte mich; die erlöste Seele war entflohen auf den goldenen Schwingen des Glaubens und der Liebe zu jener unzählbaren Schar, die ihre Kleider gewaschen haben im Blute des Lammes, um dort das ewige Halleluja zu singen!
1 Das ist übrigens nun von der britischen Regierung in Indien verboten worden; die Ohrenbeichte dagegen ist immer noch in der ganzen Welt erlaubt! Der Übersetzer
2 die Hostie ist die Oblate, der Brotersatz, der bei der katholischen Messe dem Katholiken gereicht wird.
Es wird geglaubt, dass Jesus Christus in der Hostie gegenwärtig sei.
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