Der Tango des Todes. Christian Macharski
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Trotz aller Vorbehalte gegenüber Fremden war sich Will seiner diplomatischen Verpflichtungen als Ortsvorsteher jedoch bewusst. Und so holte er zwei große Präsentkörbe aus der Vorratskammer, die seine Frau bereits üppig mit Landwirtschaftsprodukten aus eigener Herstellung gefüllt hatte. Wills Aufgabe war es nun, sie mit persönlichen Dingen anzureichern, die mit dem Beschenkten in Zusammenhang standen. Der eine Korb war für Peter Kleinheinz bestimmt und der zweite für eine ganz besondere Person, die ebenfalls in den nächsten Tagen nach Saffelen ziehen würde. Streng genommen hätte dieser Person zwar kein Präsentkorb zugestanden, da es sich bei ihr nicht wirklich um einen Neubürger handelte. Doch um seine Freude zu dokumentieren, machte Will in diesem Fall gerne eine Ausnahme, und da er als Ortsvorsteher niemandem Rechenschaft schuldig war, hatte er das einfach so bestimmt. Fredi Jaspers, der verlorene Sohn, kehrte nach fast drei Jahren, die er aus mehr oder weniger privaten Gründen in Berlin verbracht hatte, wieder in seinen Geburtsort zurück. Die genauen Beweggründe hatte Will noch nicht in Erfahrung gebracht. Er wusste lediglich, dass Fredi plante, seine Berliner Lebensgefährtin nachkommen zu lassen, sobald er mit seinem Kumpel Richard Borowka das elterliche Haus renoviert hatte. Nach dem Tod von Fredis Vater im letzten Jahr hatte seine Mutter sich entschieden, zu ihrer ebenfalls verwitweten Schwester nach Uetterath zu ziehen und Fredi das Haus zu überschreiben. Die weiteren Hintergründe würde Will sicher auch noch in Erfahrung bringen, schließlich war er nicht nur ein erfahrener Hobbykriminologe, sondern wusste mit seiner Frau Marlene auch eine der besten Informationsbeschafferinnen des gesamten Dorfes in seinen Reihen.
Mit den persönlichen Dingen für Fredi Jaspers hatte Will überhaupt keine Probleme gehabt, schließlich kannte er den Jungen von Geburt an und wusste alles über dessen Neigungen und Schwächen. Die Überlegungen zu Peter Kleinheinz hingegen waren noch nicht ganz abgeschlossen, da er über die Vorlieben des Kommissars noch nicht allzu viel wusste. Aber auch da würde ihm sicher noch etwas Originelles einfallen. Will nahm zufrieden einen weiteren Schluck Kaffee, der mittlerweile auf ein erträgliches Maß abgekühlt war. Dennoch verschüttete er wieder die Hälfte – diesmal jedoch vor Schreck, weil es an der Haustür klingelte. Der schrille Ton war extralaut eingestellt, damit man ihn über den Hof hinweg bis in den Kuhstall hören konnte. Will zuckte jedes Mal zusammen, wenn er sich im Haus befand. Entsprechend schlecht gelaunt ging er durch den Flur zur Tür. Um diese frühe Zeit klingelte selten jemand, um etwas am Hofverkauf zu erwerben, und wenn, war das etwas, das in Marlenes Aufgabenbereich fiel. Doch die hatte ja auf einmal neue Hobbys, mit denen sie ihre Arbeitszeit verbrachte.
Missmutig riss Will die Tür auf und wollte dem Besucher gerade seine obligatorische Begrüßungsformel „Wer zum Teufel …?“ entgegenschleudern, als er mitten im Satz überrascht abbrach. Vor ihm stand ein Clown. Und zwar ein echter – mit einem runden, geblümten Filzhut auf einer roten Perücke, deren Haare zu allen Seiten abstanden. Er trug ein quietschgelbes T-Shirt und eine sehr weite, karierte Pumphose, die von ebenfalls karierten Hosenträgern gehalten wurde. Darunter steckten rote Socken in übergroßen, abgetragenen schwarzen Schuhen, die bis über die Türschwelle ragten und fast schon im Flur standen. Das Gesicht des Clowns war komplett geschminkt. Während die Augen großflächig weiß umrandet waren, bestand der Mund aus einem einzigen grotesken Dauergrinsen. Um den üppigen roten Lippenstift war ebenfalls eine weiße Fläche aufgemalt, die die Mundwinkel optisch bis auf die Höhe der Wangenknochen hochzog. Die Mitte des Gesichts zierte eine dicke rote Plastiknase, die mit Gummibändern am Kopf befestigt war. Diese Nase zog der Clown nach vorne und setzte sie sich auf die Stirn, bevor er anfing zu sprechen: „Entschuldigen Sie die frühe Störung. Aber ich habe ein Problem.“
Will musterte den Mann von oben bis unten und antwortete: „Ja, das seh ich wohl. Wodrum geht es sich denn? Das eine kann ich Sie aber direkt sagen: Ich habe keine Zeit. Und … Geld schon mal gar nicht.“ Erst jetzt, als der Clown wieder anhob, fiel Will auf, dass das Gesicht unter der aufgemalten Fröhlichkeit sehr ernst und verunsichert wirkte. Auch die Stirn lag in tiefen Falten. Für einen Moment überkam Will ein Hauch von Unbehagen, denn als Kind war er ein großer Zirkusfreund gewesen. Und die Clowns hatten es ihm dabei immer besonders angetan. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er die Haustür nicht schon längst zugeschlagen hatte.
„Mein Name ist Francesco Baldini“, sagte der Clown. „Ich bin der Direktor und zugleich Clown vom Zirkus Baldini. Eigentlich sollten wir nächste Woche in Ihrem Nachbarort Brüggelchen gastieren. Es war auch alles geklärt und besprochen. Die Gemeinde hatte uns eine Wiese zugeteilt und seit gestern sind wir mit dem Aufbau beschäftigt. Unsere Plakate sind aufgehängt, die Stromund Wasseranschlüsse liegen. Aber vor etwa einer Stunde, ich war gerade mitten in der Probe, kommt jemand mit einem amtlichen Schreiben vorbei und teilt uns mit, dass alle Genehmigungen aufgehoben wurden und wir innerhalb von fünf Stunden verschwunden sein müssen.“
Will räusperte sich und fragte nicht gerade freundlich: „Ja, und was wollen Sie jetzt von mir?“ Bevor der Clown antwortete, warf er einen kurzen Seitenblick auf die große eingezäunte Weide neben dem Bauernhof und Will ahnte plötzlich, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. Er sollte dem Wanderzirkus aus der Patsche helfen und ihm am Ende wahrscheinlich auch noch kostenlos seine Wiese zur Verfügung stellen. Und anschließend konnte er dann sehen, wie er den Müll entsorgen sollte. So weit kommt es noch, dachte der Landwirt und umfasste den Türknauf mit entschlossenem Griff.
Dann sagte der Clown: „Der Mann, der uns verjagen will, heißt Willibert Dahmen. Er ist wohl der Ortsvorsteher von Brüggelchen. Und einer der Anwohner hat mir gesagt, ich sollte es deshalb am besten mal bei Ihnen versuchen.“
Hastenraths Will stieg die Zornesröte ins Gesicht. Was für eine Unverschämtheit! Augenblicklich begann seine Halsschlagader zu pochen. Mit kaum unterdrückter Wut in der Stimme brüllte er: „Willibert Dahmen?! Kommen Sie bitte rein. Dann geb ich Sie erst mal ein Kaffee. Sie sehen aus, als könnten Sie einen gebrauchen.“
Clown Pippo, so sein Zirkusname, saß noch immer in voller Montur am Küchentisch und hielt die Kaffeetasse mit beiden Händen fest umklammert. „Die Nächte sind schon noch sehr kalt im Wohnwagen“, sagte er. „Erst heute Morgen mussten ein paar Mitarbeiter losfahren, um neue Gasflaschen zu holen.
Aber was sagten Sie noch, was dieser Willibert Dahmen ist?“
„Ein Arschloch vor dem Herrn“, ereiferte sich Will.
„Nein, das andere, was Sie sagten.“
„Ach so“, Will beruhigte sich wieder ein wenig. „Ja, der Mann arbeitet in der Kreisverwaltung als Dezernent für irgend so ein Quatsch wie ‚Ordnungsamt‘. Auf jeden Fall hält der sich für was Besseres. Wenn wir die alljährliche Versammlung aller Ortsvorsteher haben, ist der ständig am quertreiben. Alles, was ich sag, ist der am kritisieren. Dann kommt der immer mit irgendswelche Verordnungen oder Gesetze um die Ecke. Oder ist davon dran, dass wir für gemeinsame Anschaffungen ordentliche Rechnungsbelege brauchen, statt, dass wir das für kleines Geld unter