Herz über ins Abenteuer. Maximilian Medlitsch

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Herz über ins Abenteuer - Maximilian Medlitsch

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Ich lebe gerne zurückgezogen, stehe ungern selbst im Mittelpunkt und genieße auch am liebsten das Wochenende allein mit einem guten Buch. Nun habe ich 14 Tage vor mir, in denen ich rund um die Uhr begleitet werde, oder vielmehr bin ich derjenige, der begleitet. Wie das wohl sein wird? Um das soziale Miteinander zu fördern, texte ich zum vermutlich zweiten Mal in die Gruppe: »Frohes Neues!«. Dazu einen Link mit einem VPN-Client. Der ist im Ausland sehr wichtig. Dort ist man die meiste Zeit auf mehr oder weniger öffentliches drahtloses Internet, kurz WLAN, angewiesen. Dass Hacker alles mitschneiden können, was wir dort virtuell tun, wissen die wenigsten. Ich gehe immer auf Nummer Sicher! Kurz darauf antwortet mir eine Eva-Maria mit den Worten »Danke, Maximilian«.

      Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie sehr mir diese Dame mit ihrer geraden, herzlichen Art in Indien ans Herz wachsen würde. Wenige Stunden später erhalte ich dann, der WhatsApp-Gruppe sei Dank, sogar ein Bild von Eva und ihrer Gefährtin Marianne. Die beiden Damen kommen aus Wien, haben sich während der Ausbildung an der École San Esprit kennengelernt und senden ihre Grüße aus dem Airport Hotel, also sind die ersten Heiler ohne Grenzen schon in den Startlöchern, während ich immer noch mit dem Packen beschäftigt bin und an der Auswahl verzweifle. 36 Grad! Das ist ordentlich, denke ich mir, während mein Blick aus dem Fenster auf den Schnee im Garten schweift. Was darf ich auf keinen Fall vergessen? Habe ich auch wirklich alles dabei?

      Vorsichtshalber lasse ich meine Kontaktlinsen in Deutschland, denn die Augen sind empfindlich für Infektionen. Falls dem Wasser aus der Leitung nicht zu trauen ist, sollte ich mir vielleicht besser nicht mehrmals täglich ins Auge fassen. Ja, ich weiß, ich bin ein Viren-Phobiker mit ausgeprägtem Vollsyndrom. Stets weiß ich, welche kritischen Kontaktflächen ich seit dem letzten Händewaschen berührt habe. Richtig schlimm war das alles, als ich noch ein kleiner Junge war. Meine Mutter musste mich quasi mit Gewalt vom Waschbecken fernhalten. Im Winter platzte meine Haut sogar an den Händen auf, wegen des vielen Händewaschens mit anschließendem Gang hinaus in die Kälte. Damals gab es Handcreme kombiniert mit Baumwollhandschuhen, um sie über Nacht einwirken zu lassen. Aus dem kindlichen Waschzwang resultierte schließlich ein bewusstes Interagieren mit meiner Umwelt. Man kann davon denken, was man will … Aber ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren irgendwann einmal krank gewesen zu sein, trotz Grippewellen und einer Norovirus-Epidemie an meiner damaligen Schule, die deshalb sogar vom Gesundheitsamt geschlossen werden musste. Warum erzähle ich das?

      Nun ja, auch wenn ich mein Verhalten im Gegensatz zu früher nicht mehr als zwanghaft einstufen würde, so ist Indien dennoch eine ganz persönliche Herausforderung für mich hinsichtlich meines Bedürfnisses nach Hygiene. In diesem Kontext hatte ich ein wirklich tolles Gespräch mit Heilerin und Bestsellerautorin Annette Bokpe, die bis zu ihrer Scheidung eine waschechte afrikanische Kronprinzessin gewesen war und während der Indienreise eine geschätzte Freundin werden sollte. Sie ist eine dieser inspirierenden Begegnungen, für die ich sehr dankbar bin, doch dazu später mehr. Als ich sie, wie einige andere der Mitreisenden, vorab interviewte, fiel das Thema auf meine Bedenken. Aus meinem kleinen Hygienetick machte ich kein Geheimnis und so amüsierte sie sich köstlich darüber, dass der Aufenthalt eine Grenzerfahrung für mich werden würde. Danke, Annette! Genau das habe ich gebraucht. So in etwa bewertete ich zutiefst sarkastisch ihre Anmerkung am Telefon. Doch dann zeigte sie mir anhand ihrer jahrelangen Erfahrungen in Entwicklungsländern auf, wie sehr mich diese Erlebnisse persönlich weiterbringen würden.

      Sie muss es wissen. Nachdem sich der Kronprinz von Allada in sie verliebt hatte, heirateten die beiden und Annette wurde Prinzessin. Dies führte unter anderem zu dem Erlebnis, dass ihr eine vollautomatische Kalaschnikow an den Kopf gehalten wurde, um sie auszurauben. Ich liebe ihre Geschichten. Und ihre Weisheit. Der Austausch mit ihr hatte mir bereits einen neuen Blickwinkel eröffnet. Trotzdem bleiben die Kontaktlinsen daheim, da lasse ich nicht mit mir reden. Dieser Entschluss geht natürlich zulasten meiner Eitelkeit, ich hasse es, eine Brille zu tragen. Nun gut, alle Klamotten sind eingepackt sowie Arbeitsmaterial und Hygieneartikel.

      Überraschenderweise lässt sich der Koffer wider Erwarten schließen. Sehr gut, dann nur noch alles ins Auto tragen … geschafft. Während ich draußen den Wagen einräume, fange ich angesichts der eisigen Kälte an, mich nach Indien zu sehnen. Wow, 36 Grad Celsius und Sonnenschein. Sehr angenehm im Winter. Morgen dann, denke ich mir, und nehme zunächst noch mit meinem warmen Wohnzimmer vorlieb. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, dass ich meine ganzen Sachen nicht in den Koffer bekommen würde. Hat doch ganz gut geklappt so weit. Und jetzt mache ich es mir gemütlich. Oh! Ich habe das Moskitonetz vergessen. Also noch einmal raus zum Auto, Koffer wieder in die Wohnung, umräumen, überlegen, was ich daheimlassen muss; das Netz nimmt mit seiner Drahtfassung viel Platz ein, doch es ist ein unverzichtbarer Begleiter in Indien.

      So, jetzt aber: Das Packen ist endgültig geschafft!

      Jetzt noch ein letztes Mal ins Fitnessstudio, bevor es losgeht. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich bald am Strand spazieren werde, in einem weit entfernten Land. Meine Freunde kommen nicht aus dem Staunen heraus, als ich es ihnen bei einem gemeinsamen Abendessen berichte.

      Ja, das Leben als Journalist hat auch seine Vorzüge. Den Begriff »Lügenpresse« kennt in Indien wahrscheinlich niemand. Fairerweise muss ich sagen, dass ich derartige Bezeichnungen für meinen Berufsstand nur aus dem Fernsehen vernehme. Bei uns im schönen Oberbayern sind viele Dinge weitgehend in Ordnung.

      Jetzt ist es 21 Uhr: Es ist der Abend vor der Abreise. Einen letzten Blick werfe ich in die WhatsApp-Heilergruppe, bevor ich mich schlafen lege. Ein gewisser Martin Kälin verkündet, dass die Schweiz, damit meint er seine Nationalität, auch an Bord sei und schickt einige Bilder vom Flughafen unter anderem den Abschied von seinen bezaubernden Kindern.

      Auch Martin wird mir im Zuge der Reise seine Lebensgeschichte offenbaren. Es ist die eines ehemaligen Rohstoffmanagers, eine sehr harte Branche mit bedenklichen Praktiken. Er wird während des Camps vollends zum Heiler werden und zu sich selbst finden. Seine Erzählungen sind mir bis heute eingehend im Gedächtnis. Ich will nun wirklich nicht zu viel verraten oder den Spannungsbogen übertrieben aufbauen, aber die Menschen, denen ich im Zuge meiner journalistischen Begleitung während der Indienreise begegnen und kennenlernen durfte, sind allesamt außergewöhnliche Persönlichkeiten. Und es erfüllt mich mit einem gewissen Stolz, ihre Geschichten erzählen zu dürfen.

       So früh am Flughafen München, mit so guter Laune Gegen 22 Uhr abends, ich bin schon fast eingeschlafen, klingelt das Telefon. »Wer ruft denn jetzt an?«, frage ich mich etwas verwirrt. Der Blick aufs Handy zaubert mir ein Grinsen ins Gesicht: Annette Müller live aus Indien. Sicher ein letztes Update. Augenblicklich hellwach gehe ich ans Telefon: »Hey, Neti, na wie geht’s?« Sofort folgt die euphorische Antwort: »Hey, Max, du bist aber gut gelaunt. Und ich dachte, du schläfst vielleicht schon. Ich bin total aufgeregt und kann das Ganze noch nicht wirklich fassen. In Kürze ist es so weit, aber ich glaube es erst, wenn ihr alle da seid.« Ja, da ist etwas dran. Auch für mich ist die Situation äußerst surreal. »Also, meine Koffer sind gepackt«, entgegne ich ihr voller Vorfreude. »Das ist super, ich freue mich riesig. Es ist alles vorbereitet. Jetzt fehlt nur noch ihr. Mena und Sonya aus den USA und Annette Bokpe sind bereits hier und wir waren schon schwimmen im Pool.« Das hört sich ziemlich gut an. Habe ich doch eine falsche Vorstellung von unserem Reiseziel? »Wow, ein Pool? Das hört sich herrlich an. Gut, dass du das noch sagst. Dann packe ich schnell noch meine Badehose ein«, entgegne ich ihr. »Ich glaube, du würdest da nicht rein wollen«, folgt die ernüchternde Antwort aufs Wort. »Warum das?«, frage ich nach. »Es riecht sehr stark nach Chlor und um uns herum lauern krächzende Krähen. Das hat etwas durchaus von einem Steven-King-Roman. Ich wollte heute noch entspannen, bevor es dann losgeht, aber die starrenden Krähen lassen einem keine Ruhe. Fürchterlich!« Okay, aber das entspricht doch ziemlich genau meinen Vorstellungen von unserem Reiseziel. »Und erst diese unaufhörlichen Hupengeräusche im Hintergrund. Das ist wirklich heftig«, merke ich an. »Oh ja, aber die höre ich inzwischen gar nicht mehr. Stimmt, es hupt die ganze Zeit. Ich

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