Sturm im Zollhaus. Heike Gerdes

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Sturm im Zollhaus - Heike Gerdes

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hatten sie trotz gründlicher Suche nicht entdeckt. Roman rieb sich die stoppelige Wange und fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch die Haare. Ascheflöckchen rieselten auf den Schreibtisch, die Spitzen der gut schulterlangen Strähnen waren gekräuselt und verschmolzen.

      Er wühlte in der großen Hosentasche nach seinem Haargummi, um die versengte Mähne in einem Pferdeschwanz zu bändigen, und hielt das Plüschtier in der Hand, das er im Zollhaus gefunden und nach dem Umziehen zusammen mit der Taschenlampe in die geräumige Tasche seiner Shorts geschoben hatte. Ein kleiner Eisbär war es, knapp zwanzig Zentimeter lang, mit einer blauen Schleife um den Hals und leicht verpeiltem Gesichtsausdruck, als hätte ihm gerade einer die Eisbärin unter dem pelzigen Bauch weggeklaut. Fürsorglich pustete Roman die Asche aus dem weichen Fell. »Schwer entflammbar«, las er mit schiefem Grinsen vor, ehe er das Spielzeug auf den obersten Aktendeckel setzte. »Unser bisher wichtigster Zeuge. Möchten Sie zur Sache aussagen? Ich würde gerne ein Tonband mitlaufen lassen.«

      Lükka atmete verstohlen auf und erwiderte das Lächeln. Kriminalkommissar Roman Sturm war auf dem Weg der Besserung.

      3.

      »Über zehn Jahre Arbeit – alles zum Teufel.« Die kräftige Frau mit den kurzen braunen Haaren war sichtlich erschüttert. »Sie glauben gar nicht, was wir hier alles an Arbeit reingesteckt haben. Und an Geld natürlich auch.«

      Roman Sturm glaubte es durchaus, denn er hatte das Zollhaus gesehen, als die Sanierung nach fünfzehn Jahren Leerstand eben erst begonnen hatte. Hunderttausende waren verbaut worden, bis man das Dach neu gedeckt, Klos und Bühnen eingebaut und überhaupt alles so weit hergerichtet hatte, dass in dem denkmalgeschützten Gründerzeitbau gefahrloses Leben und Feiern denkbar war. Anfangs hatte es in dem siebzig Meter langen Gebäude nur einen einzigen Wasserhahn gegeben. Allein das gläserne Foyer und der Fahrstuhl im Kranturm hatten fast hundertzwanzigtausend Euro gekostet. Eine beachtliche Leistung, sicher, aber Roman hatte keine Lust, jetzt die gesamte Umbaugeschichte über sich ergehen zu lassen. Zum Glück kriegte Vera Reifschneider die Kurve.

      »Wer hat uns das bloß angetan? Haben Sie schon eine Spur?«

      Sie schien so felsenfest von einer Brandstiftung überzeugt, dass Roman überrascht die Stirn runzelte.

      »Es kann sich genauso gut um einen technischen Defekt …«, begann er, doch die Vertreterin des Zollhausvereins schnitt ihm das Wort ab.

      »Wir haben alle Brandschutzbestimmungen erfüllt, fragen Sie im Rathaus nach! Bis auf die Rauchabzugsklappen im Dach war alles fertig.«

      Genau diese Klappen hätten vielleicht verhindert, dass das Treppenhaus zur Todesfalle wurde, dachte Roman. Vielleicht hätten sie aber auch die Luftzirkulation so angekurbelt, dass der Brand noch schneller und noch heißer gelodert hätte. Die Kinder wären dann nicht erstickt, sondern verbrannt.

      Roman dachte an den Eisbären und seinen kleinen Besitzer, der im Kreiskrankenhaus noch immer bewusstlos auf der Intensivstation lag, und spürte Wut hinter seinen Lidern prickeln. Scharf fragte er: »Und Sie wollen mir tatsächlich weismachen, Sie hätte nicht gewusst, dass eine mehrköpfige Familie in Ihrem Fetenschuppen wohnte?«

      Lükka warf ihm einen warnenden Blick zu. »Frau Reifschneider ist zwar Mitglied im Vorstand des Zollhausvereins, aber nicht die Einzige, die fürs Zollhaus zuständig ist. Ich meine: war«, sagte sie ruhig.

      »Das hätte ich nicht treffender formulieren können«, konterte die Frau spitz. »Nein, ich hatte keine Ahnung«, wandte sie sich wieder an Roman. »Wahrscheinlich wusste auch sonst keiner von uns was davon. Sie müssen unbemerkt ins Haus gekommen sein.«

      Schwer vorstellbar, fand Roman. Bei Wüstenspringmäusen war das möglich und auch schon geschehen. Aber Kinder? Und dann gleich so viele? Eher nicht.

      »Wir haben zwei der Kinder im Dachgeschoss gefunden«, berichtete er.

      Vera Reifschneider schob die Unterlippe vor. »Da oben ist das Radio untergebracht und natürlich unser Theater und die Besuchertoiletten.« Sie hatte sich eindeutig noch nicht mit der Vergangenheitsform abgefunden. »Und nach hinten raus haben wir die Seminarräume eingerichtet. Die werden jetzt in den Ferien natürlich nicht genutzt. Sonst ist da nur noch unsere Rumpelkammer mit Gerümpel und Requisite.« Sie überlegte. »Wenn ich irgendwo unterschlüpfen wollte, würde ich da wahrscheinlich reingehen. Wir wollten in den Räumen irgendwann eine Hausmeisterwohnung einrichten.«

      Lükka hatte mitgeschrieben und klappte ihr Notizbuch zu. Als hätte sie nur auf dieses Signal gewartet, erhob sich Vera Reifschneider. »Wenn wir so weit durch sind, gehe ich jetzt wieder an die Arbeit. Sie haben sicher Verständnis – ich habe noch viel zu regeln. Unsere Chefin und die anderen Vorstandsmitglieder müssen informiert werden, sofern sie nicht noch im Urlaub sind. Den überregionalen Zeitungen muss ich mitteilen, dass die Thedighausen-Ausstellung nicht stattfindet, und mir überlegen, was ich mit den Leuten mache, die schon Karten für die nächste Veranstaltung gekauft haben.«

      Sie eilte aus dem Zimmer und Roman sah ihr nach, das Kinn auf die zur Faust geballte Linke gestützt.

      »Warum lässt du mich so auflaufen?«, fragte er und funkelte Lükka aus seinen mandelförmigen Augen an, die vor Ärger fast schwarz wirkten. Seine schwarzen Haare, die er in der Mittagspause nach dem Duschen mit der Papierschere von den verkohlten Spitzen befreit und damit auf Schulterlänge gestutzt hatte, umrahmten sein dunkles Gesicht. Lükka hatte einen Moment lang die Vision eines Apachen, der gleich das Kriegsbeil ausgraben würde oder wenigstens den Klappstuhl wie Comanchen-Häuptling Listiger Lurch im Schuh des Manitou. Dabei waren seine Vorfahren keine Indianer. Er hatte ihr mal erzählt, dass sein Großvater von Hawaii stammte und als amerikanischer Soldat in Deutschland stationiert war. Da hatte er offenbar mit einer Ostfriesin angebandelt. Mittlerweile kannte sie Roman gut genug, um sich von seinem finsteren Blick nicht einschüchtern zu lassen. Sie wusste auch, dass sie seine Frage nicht zu beantworten brauchte, denn im Grunde kannte er die Antwort. Er war unnötig scharf zu einer Zeugin gewesen, die gerade buchstäblich vor den Trümmern ihrer Existenz gestanden hatte.

      Trotzdem hätte sie mehr Interesse an den Kindern zeigen können als an ihrem verdammten Kulturzentrum. Aber vielleicht stand sie ja unter Schock.

      4.

      Wer hat einen Vorteil? Wenn du einen Täter suchst und er dir nicht den Gefallen tut, dir gleich vor die Füße zu stolpern, ist das die wichtigste Frage. Hast du das Motiv, kannst du meistens deinen Kunden bald einsacken. Schulbuchwissen aus dem ersten Semester Fachhochschule, sicher, aber Roman hatte das schon oft bestätigt gefunden. Und die verbreitetsten Motive waren Eifersucht und Habgier, bei Brandstiftung gern in der Form von Versicherungsbetrug. War das denkbar? Roman beschloss, sich zunächst um diese Frage zu kümmern und das Projekt »Zollhaus« und die Situation des Vereins unter die Lupe zu nehmen, während Lükka sich durch die Vermisstenkartei klickte.

      Auf den ersten Blick deutete nichts darauf hin, dass der Verein sich durch einen warmen Abbruch aus der Gülle ziehen wollte. Finanzielle Probleme hatte es in der Vergangenheit genügend gegeben; um das herauszufinden, war nicht viel Recherche nötig, nur ein Blättern im Zeitungsarchiv. In der letzten Zeit hatte das landesweite Rauchverbot auch die Zollhausumsätze geschmälert. Der Versuch, alle Türen aufzumachen und dadurch den Raum zu einer überdachten Freifläche zu machen, war vom Ordnungsamt rasch beendet worden.

      Trotzdem lief seit der letzten Bürgermeisterwahl offenbar alles rund. Der Verein hatte der Stadt den alten Kasten abgekauft und bezahlte jetzt die Kreditraten, die Finanzlöcher wurden alljährlich mit satten Zuschüssen aus dem städtischen Haushalt gestopft und die vielen Großfeten spülten anscheinend genug Geld in die Kasse, um die Kultur

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