Das Honecker-Attentat und andere Storys. Dieter Bub

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Das Honecker-Attentat und andere Storys - Dieter Bub

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hatten versäumt, die Stunden nach den Gesprächen und dem Abendessen zu überwachen. Die Westdeutschen trafen sich in der Kneipe gegenüber der Jugendherberge mit einheimischen Jugendlichen, seltener Westbesuch, Reden bis in die Morgenstunden über die Veränderungen in Westdeutschland durch die Bewegung der Achtundsechziger-Generation, die sich aufgemacht hatte verkrustete Strukturen aufzubrechen und die Gesellschaft zu verändern. War die DDR nicht auch, auf andere Weise, erstarrt? Diese Nächte, nach denen niemand, auch der Wirt nicht, anschließend ein Protokoll verfasste, diese Nächte einer unkontrollierten Begegnung waren die Ausnahme.

      „Dass wir hier nicht raus können, das isses“, schimpft Jochen. „Wir wollen doch gar nicht abhauen, wir würden ja wiederkommen“, meint Peter.

      „Stell’ dir vor, Dänemark ist ganz nah, selbst mit der Luftmatratze haben es ein paar geschafft.“

      „Ein zwei Stunden mit der Fähre. Einen Tag und dann wieder zurück. Mehr nicht“, ergänzt Jochen.

      „Was willst du da? Die warten gerade auf uns. Mit unserer Mark, die nichts wert ist“, mischt sich Angelika ein. „Selbst in Bulgarien sind wir doch nur Deutsche zweiter Klasse, wenn wir da überhaupt hindürfen.“

      „Sie lassen euch nicht reisen, weil sie euch nicht trauen. Sie fürchten, ihr würdet abhauen.“ Hatte Müller damals erklärt.

      „Stimmt wahrscheinlich.“

      „Na klar.“

      „Wir sind eben noch keine gefestigten sozialistischen Persönlichkeiten.“

      So ging es nächtelang. Runde um Runde.

      Danach bekam er Post. Gesine wünschte sich ein Autogramm von Roland Kaiser. Müller war kein Roland Kaiser-Fan und vergaß die Bitte. Gesine wartete, ahnte nicht, dass sie eines fernen Tages Roland Kaiser erleben sollte, live.

      Wann immer es ging, war er zurückgekehrt, in dieses Land, das zu Deutschland gehörte und doch so weit entfernt war. Er hatte, nach dem Ende des Kalten Krieges und der Minderung der Gefahr gegenseitiger Vernichtung jede Gelegenheit zu Reisen in die DDR genutzt, war so zu einem Spezialisten für deutsch–deutsche Fragen geworden, hatte von Hamburg und Westberlin aus die Beziehungen zwischen beiden Staaten kommentiert.

      Müller machte sich keine Illusionen über seine Arbeit. Er hatte im Sender als Experte für deutsche Fragen gegolten, weil er sich die erforderlichen Grundkenntnisse über die Geschichte und die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten erworben hatte, weil er sich über Viermächteabkommen, Besucherregelungen, Transitvereinbarungen, Helsinki, Grundlagenvertrag und deren Akteure, soweit sie bekannt waren, informiert hatte, weil er einen Teil dieser Geschichte selbst erlebt und immer wieder beobachtet und kommentiert hatte. Im Gegensatz zum Großteil seiner Kollegen wusste er, wer zur Gruppe Ulbricht gehört hatte, kannte er die Geschichte der Zwangsvereinigung von KPD und SED, die Namen und Funktionen von Grotewohl, Sindermann, Hilde Benjamin, Honecker, Mittag, Herrmann, Hoffmann und Axen. Er konnte zuordnen, abwägen, kommentieren. Er verdankte viele Kenntnisse dem WDR-Publizisten Peter Bender.

      Müller berichtete wie alle anderen über Ansätze zu einer vermeintlichen Liberalisierung, über Verbesserungen von Warenangebot und Gastronomie, kommentierte mit Wohlwollen Tendenzen, die der Öffentlichkeit nur vorgegaukelt wurden. Zur Strategie der Staats- und Parteiführung gehörte es, ihre Schändlichkeiten vergessen zu machen, den 17. Juni, den Bau von Mauer und Grenzanlagen die Bereitschaft zum Einmarsch nach Prag, die Verfolgung, Bestrafung und Einkerkerung Andersdenkender, die Tötung von Flüchtlingen mit Waffen und Minen. Erst jetzt, nachdem er wirklich hier angekommen ist, wird ihm das Ausmaß von Unrecht und Menschenverachtung bewusst.

      Die Bestimmungen

      Einweisung des Neuen durch die drei vom Außenministerium, der eine, der kleine Wilhelm von beinahe weltmännischer Freundlichkeit, der andere: Dr. Otto in Mausgrau, mit durchbrochenen braunen Schuhen, Abneigung im Gesicht, die dritte, Frau Ernst, kühl distanziert.

      „Willkommen in der DDR!“

      Sie erklären die Vorschriften, die von akkreditierten Journalisten zu beachten und strikt zu befolgen sind. Danach sind für alle Themen rechtzeitig Anträge auf Genehmigung einzureichen, die erst nach positivem Bescheid realisiert werden dürfen.

      „Aber …“

      Private Kontakte zu Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik zum Zwecke der Recherche sind untersagt.

      „Aber …“

      Die Mitnahme von Anhaltern ist verboten.

      „Aber …“

      Das beabsichtigte Verlassen der Hauptstadt der DDR in das übrige Territorium der DDR ist, auch für private Fahrten, Besichtigungen, Ausflüge etc. mindestens 24 Stunden zuvor schriftlich anzumelden.

      „Aber …“

      Die Einfuhr und die Ausfuhr von Gütern unterliegen den allgemeinen Vorschriften. Der Umtausch von D-Mark in Mark der DDR erfolgt über ein Konto bei der Staatsbank.

      Müller hört zu. Müller macht den Eindruck eines aufmerksamen Zuhörers. Müller schweigt, beredt. Was Wilhelm routiniert vorträgt, ist für Müller neu. Ihm ist, als werde ihm gerade eine Zwangsjacke angelegt.

      Wo befindet er sich?

      Im Außenministerium eines deutschen Staates, gegenüber dem Berliner Dom, einem Zeichen preußischen Revanchismus’, das wie das Schloss verschwinden sollte, aber nicht gesprengt werden konnte. Die Berliner nennen das hässlich plattengeschuppte Gebäude „Winzerstube“, nach dem Mann, der das Land auf dem begrenzten Parkett der Bruderstaaten vertreten darf. Hier sitzt Müller, in einer Hauptstadt, die Teilstadt ist, nicht Hauptstadt ist, mit ihm am Tisch das Trio seiner Staatsaufseher.

      Sie werden keine Freude an ihm haben.

      „Ihr habt sie nicht alle“, schaut er sie belanglos an. „Das ist euer Ernst? Ihr wollt mich kastrieren und ihr erwartet meine Zustimmung zu dieser Operation?“

      Müller weiß, sie drohen mit Sanktionen und haben Erfolg.

      Viele bleiben in der Stadt, nehmen offizielle Termine wahr, erfüllen ihre Funktion als politische Korrespondenten, fahren abends vom Arbeitsplatz DDR in den Westen zurück, Privilegierte. Dazu ist er nicht gekommen.

      Das Trio am Tisch hat sich gut etabliert, Karriere im System, Parteihochschule mit klaren Richtlinien, Wohlverhalten, Auszeichnungen, Privilegien. Wilhelm mit Kenntnissen über den Westen – Begleiter bei den Verhandlungen zum Helsinki-Abkommen, Monate in der finnischen Hauptstadt, auf internationalem Parkett. Frau Ernst hat Moskau erlebt, zwei Semester Lomonossow. Und der Dritte, Dr. Otto, der Älteste, der Blasse in Grau, der Apparatschik, voller Galle: hier geblieben, Klassenkämpfer, Westhasser, Verbitterter.

      Die neue Adresse im Osten

      Die Grauen an der Grenze können ihn nicht leiden, so wenig wie alle anderen, die hier nur nach Vorlage ihrer Dokumente, ohne Kontrolle ihrer Autos, ungehindert passieren dürfen, so oft sie wollen, auch mehrmals am Tag oder in der Nacht. Es sind die Männer und Frauen mit blauen Nummernschildern an ihren Dienstwagen aus dem Westen, teure Schlitten, die sich die Grauen in ihren Uniformen niemals würden kaufen können. Sie ahnen ebenso wenig wie er, dass sie diese hässlichen Verkleidungen

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