Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach

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Bangkok Rhapsody - Thomas Einsingbach

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Washington mit einem goldenen Schimmer überzog. Nachdem er sich eine Weile mit dem Studium einiger Akten wachgehalten hatte, döste er nun in seinem komfortablen Business-Class-Sessel vor sich hin. Pünktlich kurz nach halb sieben rollte der Zug in New Yorks Pennsylvania Station ein.

      Jonathan wusste, dass William ein early bird, ein Frühaufsteher, war. Er hatte seinen Besuch nicht angekündigt und erinnerte sich an ihr letztes Telefonat vor etlichen Wochen, in dem sich William angespannt und auf eine ungewohnte Art abweisend gezeigt hatte. Jonathan durchschritt die Schalterhalle und sprang kurz darauf in ein gelbes Taxi, wo ihn der Fahrer mit „Bruder“ ansprach. Er nannte Williams Adresse in Hoboken, was dem schwergewichtigen Afrikaner ein zufriedenes Lächeln entlockte. Ein angenehmer Auftrag um diese Zeit, wo alles nach Manhattan strebte und die Gegenfahrbahnen, hinaus aus dem Herzen des Big Apple, zu einem entspannten Ritt einluden. In zügiger Fahrt ging es zum Lincoln-Tunnel, durch den sie den Hudson River unterquerten. Ein paar Meilen weiter stoppte der Wagen an einer Ecke von Hobokens Park Avenue, wo Jonathan ausstieg und in einem vietnamesischen Deli-Shop zwei Portionen starken Kaffee zum Mitnehmen bestellte. Wenig später stand er vor dem Eingang eines vierstöckigen Backsteingebäudes. Neben einem Dutzend Klingelknöpfen prangte ein Messingschild mit der Aufschrift „William H. LaRouche – Private Investigator“. Jonathan presste seinen kalten Zeigefinger auf die Klingel. Nichts geschah. Er bemerkte, dass die Haustür nur angelehnt war, schob sie auf und trat in ein Treppenhaus, in dem es nach gebratenem Fisch und Katzenurin roch. Er kletterte die ausgetretene Holztreppe bis in die letzte Etage hinauf, ehe er eine verkratzte Wohnungstür erreichte, an der ein laminierter Computerausdruck befestigt war, dessen Text sich mit der Aufschrift des Messingschildes deckte. Da kein weiterer Klingelknopf vorhanden war, klopfte Jonathan kräftig an die Metalltür. Seine Armbanduhr zeigte mittlerweile zwanzig nach sieben.

      „Mrs. Wilberforce? Stellen Sie die Milch vor die Tür. Ich komme später vorbei und bringe Ihnen das Geld.“ Es war Williams raue Stimme, worauf Jonathan ein weiteres Mal gegen den Eingang hämmerte.

      „Verdammt! Wer ist denn da, so früh am Morgen?“

      „William. Ich bin’s, Jon. Trinkst du einen Kaffee mit mir?“, rief Jonathan und hörte, wie sich die Querriegel der Türsicherung zur Seite bewegten.

      „Jon? Was machst du hier? Haben sie dich gefeuert?“

      „Billy, Agent W, lass mich erst mal in deine gute Stube. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

      William reichte seinem Besucher die Hand, vermied dabei aber den direkten Augenkontakt. Jonathan blickte sich unauffällig um. Der Zustand des Apartments war für ihn ein weiterer Beweis, dass William noch immer keine Ordnung in seinem Leben gefunden hatte. William eilte zu der Küchenzeile, wo er einen Lappen fand, mit dem er einen Teil seines Schreibtisches säuberte, damit Jonathan die Kaffeebecher abstellen konnte.

      „Billy, mein Junge, du siehst großartig aus. Ich störe doch hoffentlich nicht? Und zu deiner Frage: Noch arbeite ich im Justizministerium. Aber du weißt ja, wie schnell man in der Politik seinen Job loswerden kann.“

      William wirkte auf Jonathan wie ein verunsichertes Raubtier, das eine Gefahr ahnte, aber noch nicht wusste, von woher sie drohte. Sie waren sich seit Monaten nicht mehr persönlich begegnet. Der äußeren Erscheinung nach zu urteilen, ging es seinem Jungen alles andere als großartig.

      „Ich sehe großartig aus? Deine Witze waren früher besser. Agent W hat sich abgemeldet, hat seine Mom im Stich gelassen und seinen Mentor Jonathan enttäuscht. Mir geht es verflucht noch mal verdammt großartig!“ William trank einen Schluck Kaffee und wischte sich danach mit dem Handrücken die Lippen trocken.

      „Jon, nimm Platz. Sorry, ich bin zurzeit wirklich nicht gut drauf, habe nicht aufgeräumt, die Heizung im Haus funktioniert nicht und die Klimaanlage hat im vergangenen Sommer ihren Geist aufgegeben. Warum musst du ausgerechnet heute kommen?“

      William nahm schlürfend einen weiteren Schluck aus dem Kaffeebecher und musterte Jonathan. Wie fremd ihm dieser Mann mittlerweile geworden war. Vor ihm saß ein geschmackvoll gekleideter Afroamerikaner von mittlerer Statur mit ergrautem, kurz geschnittenem Lockenhaar, der ihn durch eine markante Hornbrille ebenfalls beobachtete. Am linken Handgelenk trug Jonathan ein Oakley-Titanium-Pilotenchronometer. Vincent LaRouche, Williams Vater, hatte eine Uhr derselben exklusiven Sonderserie besessen, aber sie war zusammen mit ihm im kambodschanischen Dschungel verschwunden. William hatte seine eigene Oakley Titanium, das inoffizielle Erkennungszeichen aktiver und ehemaliger FBI-Agenten, zusammen mit ein paar weiteren Erinnerungen an seine Dienstzeit in eine Pappschachtel unter sein Bett verbannt. Er wollte nichts mehr mit dem FBI zu schaffen haben und sich schon gar nicht mit einer Oakley Titanium brandmarken. Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Für einen kurzen Moment kam es William so vor, als habe er in Jons Augen etwas Geschäftsmäßiges entdeckt. Er vermisste die Wärme, die verlässlich in diesen Augen gelegen hatte, als Jon sich nach Vincent LaRouches Verschwinden um dessen Sohn gekümmert und versucht hatte, Doris vom Alkohol wegzuholen. William wandte sich ab und sah, wie im Hinterhof die ersten Strahlen der Vormittagssonne auf dem glitzernden Morgentau der kahlen Zweige des Kirschbaums tanzten. Es würde ein schöner, kalter Herbsttag werden, dachte er und wärmte seine Hände an dem Kaffeebecher.

      „William, seit wann lassen Louisiana-Boys ihre Familien im Stich? Warum besuchst du deine Mom nicht? Doris braucht dich“, sagte Jonathan vorwurfsvoll und legte seine Hand auf Williams Schulter.

      „Es hat keinen Sinn. Nicht jetzt. Ich stecke noch immer im Sumpf fest … Mom soll nicht mitbekommen, wie dreckig es mir geht.“

      Jonathan hatte sich erhoben und stand am Fenster zur Park Avenue, auf der ein böiger Wind die braun-orangenen Blätter der Kastanienbäume aufwirbelte und vor sich hertrieb.

      „Warum bist du hier? Was willst du von mir?“

      „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“

      „Ein Auftrag?“

      Jonathan wandte sich wieder William zu und faltete bedächtig die Hände.

      „So könnte man es wohl nennen. Wir brauchen deine Hilfe.“

      „Wir?“

      „Ja. Die Justizministerin und ich.“

      „Jon, ich arbeite nicht mehr für das FBI und auch nicht für das Justizministerium. Niemals und unter keinen Umständen. Tut mir leid, ich kann es nicht.“

      „Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir das Gespräch aufzeichnen und mein Kollege ein paar Fotos schießt?“

      Rangrit, der Reporter der Bangkok Post, sah Jürg Bertoli fragend an. Eine junge Thai huschte auf die schattige Veranda und stellte ein Tablett mit Gläsern und einer Karaffe Obstsaft auf einen Tisch, um den herum bequeme Korbsessel gruppiert waren. Es war noch keine elf Uhr. Die heißesten Stunden des Tages standen noch bevor, und doch hatten die Ventilatoren schon jetzt Mühe, den Hauch einer Luftzirkulation zu entwickeln, damit es im Freien erträglich blieb.

      „Wir bedienen uns dann selbst“, bedankte sich Bertoli bei seiner Mitarbeiterin und bat die Journalisten, Platz zu nehmen. „Selbstverständlich können Sie fotografieren.“

      „Dr. Bertoli, unsere Leser sind an Ihrer Persönlichkeit und der sozialen Arbeit interessiert, die Sie seit geraumer Zeit in Bangkok leisten“, begann der Thailänder auf Englisch. „Sie gründeten Ihre Einrichtung Baan Jai Dii vor acht Jahren. Erklären Sie unseren Lesern, was Ihr Anliegen ist.“

      „Gerne!

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