Stiefelschritt und süßes Leben. Klaus Muller

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Stiefelschritt und süßes Leben - Klaus  Muller

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der „Akropolis“; sie war die Tochter eines Oberstleutnants, wie ich am Türschild ersah. Dieser Baustil hat sich bei mir sonst immer negativ auf die Erotik ausgewirkt, das hier war aber eine Ausnahmesituation.

      Ich läutete, sie öffnete in einem Bademantel. Als ich in die Wohnung trat, ließ das Götterweib ihren Bademantel fallen und stand nur mit Pantoffeln, Strümpfen und Strapsen bekleidet vor mir.

      Ich muss einfügen, in der DDR der sechziger Jahre war das Angebot an Damenunterwäsche sehr hausbacken; der Begriff „Reizwäsche“ galt als westlich-dekadent. Die Frauen sollten ja in der Produktion arbeiten und nicht die Kerle verrückt machen.

      Der hauptsächliche Zweck der Damenunterwäsche war die Gesund- und Warmhaltung der Produktionsarbeiterinnen, um deren Krankenstand wegen Unterleibserkrankungen zu senken. In den zugigen Werkhallen der VEBs und auf den Turmdrehkränen der Werft- und der Bauindustrie, wo Frauen ob ihrer Sensibilität bei der Handhabung technischer Geräte gern eingesetzt wurden, wären Strapse höchst hinderlich gewesen. Dort waren dicke, wollene Schlüpfer gefordert, die im Volksmund auch „Liebestöter“ hießen. Normale DDR-Bürger machten sich daher mit Gesten, Blicken, Worten und Zärtlichkeiten scharf, um dann beim Liebesakt alle Klamotten weit von sich zu werfen.

      Nachdem ich mich einige Sekunden an diesem reizvollen Anblick geweidet hatte – inzwischen schmiss ich schon die Klamotten von mir –, schritt meine Nymphe voran ins Wohnzimmer, das mit einem großen, dicken Teppich, gewiss sowjetischer Provenienz, ausgelegt war. Die Strapse waren nur an einem ganz schmalen Gürtel befestigt und ließen, trotz dieser Andeutung von Bekleidung, das ganze göttliche Gesäß frei. Dieses Kleidungsstück, das todsicher aus westlicher Produktion stammte, war gewiss von den knappen Währungsreserven der DDR importiert worden.

      Mitten in dem Wohnzimmer, das im Übrigen wie bei Hans und Franz eingerichtet war, bückte sich meine Nymphe tief nach vorn, tat so, als wolle sie einen Fussel beseitigen. Meine erzwungene Abstinenz in der Liebe (eigentlich eine Menschenrechtsverletzung, für deren Anprangerung die West-Linken jedoch nicht den Schneid aufbrachten) ließ kaum ein intensives Liebesspiel zu; wir stürzten ineinander, und ich kann sagen, dass ich die Welt draußen und meine traurige Lage als Zwangsrekrutierter völlig vergaß.

      Irgendwann trat aber dann doch Erschöpfung ein. Da drehte mich das Prachtweib, das nicht nur scharf, sondern auch kräftig war, auf den Rücken und machte sich mit dem Mund über mein ermattetes Eumel her, den Hintern meinem Gesicht zugewandt. Das Panorama, das sich mir bot – ich war damals noch nicht Brillenträger – und ihre oralen Bemühungen verfehlten ihre Wirkung denn auch nicht. Als sich dieses Prachtweib im Reitersitz auf das Werk ihrer Bemühungen setzte und laut stöhnend mir die Arbeit des Liebeswerkes abnahm, kam mir erstmals der Gedanke, dass ich es nicht nur mit einem Naturtalent der Erotik, sondern mit einer Professionellen zu tun habe.

      Wenige Tage später musste ich wieder zurück nach Eggesin, ins AR 9. Der Hauptmann, dem mein Techtelmechtel mit der Kaltmamsell nicht verborgen geblieben war, sagte mir beim Abschied aus Strausberg noch, entweder als Warnung oder als Trost: „Die Kaltmamsell geht an manchen Abenden bei der Generalität reihum, manchmal auch bei den sowjetischen Genossen.“

      Also doch eine Professionelle, dachte ich, war aber wiederum stolz, dass dieses Prachtweib es mit mir aus freien Stücken und umsonst gemacht hatte.

      Es war nun Mitte Mai 1965; wenn ich die 14 Tage Resturlaub abzog, hatte ich noch fünf Monate bei der NVA vor mir. Es war für mich Zeit, mir über mein weiteres Leben Gedanken zu machen. Mein Lotterleben als Aushilfskellner, das mich zwar ordentlich ernährt, Liquiditätsanhäufung ermöglicht und keineswegs gelangweilt hatte, war aber nichts auf die Dauer. Mein alter Seefahrts-Wunsch lebte wieder auf. ‚Vielleicht nehmen sie mich jetzt‘, dachte ich. Seefahrt: die Welt kennenlernen, sich den Wind um die Nase wehen lassen und die Wahl haben, ob man sich das DDR-System überhaupt weiter gefallen lassen will, oder besser nicht.

      Ich schrieb also erneut eine Bewerbung an die DSR-Direktion nach Rostock und erhielt nach kurzer Zeit die Bewerbungsformulare zugeschickt, mit der Aufforderung, zusätzlich von meinen militärischen Vorgesetzten eine Beurteilung beizubringen.

      Mein Batteriechef Oltn. Strohbusch schrieb mir eine glänzende Beurteilung, die mir fast die Schamröte ins Gesicht trieb, da er es ja wider besseres Wissen tat. Irgendwann im Juni reiste ich mit einem Unteroffizier aus einer anderen Batterie des AR 9, der drei Jahre NVA hinter sich gebracht hatte und der nach seiner Entlassung im Oktober 1965 ebenfalls zur DSR wollte, nach Rostock zu einem Bewerbungsgespräch, das damals Kadergespräch hieß.

      Es war ein brütend heißer Tag, als wir beide mit dem Bummelzug über Torgelow und Stralsund nach Rostock fuhren und vom Bahnhof zu Fuß in das mir bereits bekannte DSR-Gebäude in die Lange Straße gingen. Das Gespräch mit den Reedereibonzen ließ sich sehr hoffnungsvoll an. Die DSR brauchte ständig Leute; die DSR-Flotte war für die DDR ein kräftiger Devisenbringer und wuchs daher ständig, durch Neubau auf den eigenen Werften, aber auch durch günstige Zukäufe im Ausland.

      Eine feste Zusage wurde damals nicht gegeben. Wir fuhren jedoch frohgemut wieder durch den heißen Junitag zurück nach Eggesin.

      *

      Der Juli begann, und ich musste mit meiner DV-Kiste an einer Stabsübung teilnehmen, wobei das Regiment in der Kaserne blieb. Die DV-Kiste wechselte wieder in das Führungsfahrzeug, während ich nun wieder die Schnapskiste zu verwalten hatte.

      Die Geheimkiste musste einige Wichtigkeit haben, denn bei meiner Abwesenheit oder Abkommandierung musste ich den Bibliotheksschlüssel beim Offizier vom Dienst des Regiments (OvD) abgeben, der dann bei Alarm seinen Gehilfen (GOvD) mit dem Schlüssel losschickte, die Kiste zu holen. Warum sie nicht gleich im Stabsgelände untergebracht wurde, bleibt eine offene Frage.

      Die Fahrt ging diesmal in die Gegend südlich von Berlin, eventuell auf den sowjetischen Übungsplatz bei Jüterbog, bin mir aber nicht ganz sicher. Auf alle Fälle stand unser Küchenzelt bald am Fuße eines aufgeworfenen riesigen Feldherrenhügels. Es war brütend heiß.

      Plötzlich stand am Zelteingang ein mickriger Sowjetsoldat und bettelte mich an: „Kamerad, woda, woda.“ Das heißt „Wasser“; er kann aber auch „Wodka“ gesagt haben. Bevor ich aus meiner Kiste eine Flasche Mineralwasser holen konnte, war ein russischer Offizier herangekommen und trieb unter Gebrüll, mit Faustschlägen und Fußtritten die arme Kreatur davon. Ich sah nicht nur seine bösen Augen, roch auch seine Schnapsfahne; in der Kühle des Zeltes feierten nämlich er und seine deutschen Genossen gerade einen Manöversieg über irgendwen.

      Diese „russische Barbarei“, für deren Abwehr der alte Bebel sogar „auf seine alten Tage noch die Flinte auf den Buckel nehmen“ wollte, wie er 1913, kurz vor seinem Tode, im Reichstag sagte, hatten wir nun, durch den Naziwahnsinn (an dem die Siegermächte von Versailles auch nicht ganz unschuldig sind) im Lande, sollten als ihre Verbündeten dieses System in die Welt tragen.

      Heute, nach dem Ende der Sowjetunion ist es für Interessierte leicht, Informationen über das menschenverachtende russisch-sowjetische Militärwesen und deren Kriegführung aus Medien oder aus speziellen Sachbüchern zu erhalten. Die Stiftung „Memorial“ ist sehr rührig, und die „Russischen Soldatenmütter“ zeigen immer wieder auf, dass sich beim russischen Militär nicht viel geändert hat. Zu DDR-Zeiten musste ein Interessierter allerdings echtes Interesse zeigen, wollte er die Lebensumstände der Sowjetsoldaten in ihren verschlossenen Kasernen wahrnehmen – NVA-Soldaten hatten es in dieser Hinsicht etwas leichter.

      *

      Kaum war ich von diesem Ausflug in die südliche Mark,

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