Kleopatra. Alfred Schirokauer

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Kleopatra - Alfred Schirokauer

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eindringen fühlt. Jetzt ist sie zu den Niederungen ihres Schmerzes und Verlustes herabgesunken. Jetzt erst sieht sie alles, übersieht sie alle Folgen. Jetzt erst weiß sie, daß alles dahin ist mit seinem Leben. Der Traum der Weltherrschaft – vorbei – zerronnen – alles zerstoben, als wäre es nie ausgedacht, ersonnen mit Herzblut, geistig erschaffen worden bis in alle Einzelheiten. Dreiundzwanzig Stilette haben den erhabensten, kühnsten Königstraum aller Zeiten erdolcht. Nicht nur den größten Mann seiner Tage haben sie hingemeuchelt – ihren Mann – es scheint ihr plötzlich, als seien alle ihre Lebensfäden in seinem Dasein zusammengelaufen, in seinem Dasein verankert gewesen – gestern hat er noch dort auf dem Stuhl gesessen –, die Brust umkrallt ein Schmerz, der die Lungen so eisern einengt, daß sie ächzen muß nach Luft und Atem. Doch das Lot ihrer Gedanken sinkt wieder tiefer – hinab unter persönliches Leid.

      Sie haben nicht nur den größten Staatsmann und Feldherrn heute morgen im Senat erschlagen – auch seinen Traum vom Weltkönigstum, ihren Traum, ihren Rausch, seinen Ehrgeiz, ihren Ehrgeiz, seinen Willen zur höchsten und letzten Macht, ihren Willen zur höchsten und letzten Macht der Erde.

      Das Kaiserreich der Welt ist verblutet unter den Mörderhänden. Dieses Reich, das heute Wirklichkeit werden sollte, haben sie in seinem Hirn erstochen. Diese Idee, die unsterblich schien wie ihr Träger, ist sterblich gewesen wie sein Leib.

      Sie sinnt, die Wangen in beiden Händen. An einem, an dreiundzwanzig Dolchen hängt das höchste Wollen und Streben! Viel, alles hat sie erwogen. Seinen Tod nie.

      Langsam, dann aber bis ins Mark vernichtend, begreift sie, daß ihr heute mehr gemordet worden ist als der Geliebte, der Vater ihres Kindes, der einzige Freund, der Mann, der sie heiraten und zur Kaiserin der Erde machen wollte. Ihr Schicksal, ihre Berufung, die große politische Idee – ihre Idee, ihr Gedanke –, Ost und West der Welt zu verbinden in ihm und in sich, ist erwürgt worden. Ihr Leben ist ein Unsinn geworden, ein Widersinn. Witwe ist sie des Leibes, des Geistes, der Macht. Heute morgen Anwärterin auf die Krone der Erde. Jetzt Königin eines kleinen, schwachen, nichtigen Landes, gefährdet, bedroht von den Feinden im Innern, eine leichte Beute des Römerrachens, der alles verschlingt. Plötzlich steht diese unhemmbare Gewalt feindlich und böse vor ihr auf. Der Freund, der Träger dieses Römertums, ihr Geliebter, Mann, Verbündeter des Körpers, des Geistes, der Tat, liegt tot im Hause der Calpurnia, die er nie geliebt, die ihn nie verstanden hat. Nur sie – oft hat er es gesagt –, nur sie allein war die ebenbürtige geistige Frau, die einzige.

      Sie zwingt ihre Gedanken zurück. Rom steht jäh gegen sie, bedroht sie, wie es die Welt stets bedroht und unterjocht hat.

      Sie hebt witternd die schöne, klare Stirn. Mitten in ihrem rasenden Schmerz, mitten in der grausamen Verlorenheit dieser Stunde erkennt sie ihre und ihres Landes Zukunft ungeschminkt, unbarmherzig ehrlich. Ihr genialer politischer Instinkt läßt sich nicht täuschen. Alle Sicherungen der großen letzten vier Jahre sind wie Seifenblasen zerplatzt, alle Chancen verpufft. Wie vor vier Jahren, als Cäsar nach Alexandrien kam, wankt wieder die Erde, wankt wieder ihr Thron, ihr Heimatsthron. Kein Weltreich mehr, Kampf um ihr kleines Reich gilt es nun, Kampf um ihr nacktes Dasein und Leben.

      Ein Abgrund klafft vor ihr auf. Sie springt empor. Kann nicht untätig in dieses Unheil hinabstarren. Die Knie sind weich, tragen sie nicht. Sie lehnt gegen die Mauer, schaukelt mit dem Rücken hin und her. Und ballt die Fäuste und preßt die Knöchel zwischen die Zähne, daß das Blut aus der Haut spritzt. Es ist nicht möglich! Es ist nicht denkbar. Vor wenigen Stunden noch Möglichkeit, fast Wirklichkeit, schlimmsten Falles auf kurze Zeit vertagte Wirklichkeit – und jetzt alle Pläne, Erwartungen, Hoffnungen lächerliche Phantome, Chimären, Phantastereien müßiger Trödelstunden. Jetzt verwehende alberne Hirngespinste. Und doch vor Stunden noch greifbare Wirklichkeiten! Jetzt verblutet mit dem größten Manne seiner Zeit zu kalten Leichen, zerstochen, zerfetzt – –

      Da packt sie wieder das Unbegreifen. Es ist nicht. Es kann nicht sein. All dieses gigantische Leben und Wollen kann nicht ausgelöscht sein, spurlos vergangen, als wäre es nie gewesen. Es kann jetzt nicht bleiche, wesenlose Geschichte sein, die durch die Jahrtausende geht, kalt, faßlich, sachlich. »An den Iden des März des Jahres 709 nach Gründung Roms wurde Julius Cäsar von seinen Freunden ermordet.« Nein. Nein. Sie träumt. Sie ist wahnsinnig geworden. Canidia, die Hexe, hat sie behext.

      Sie klatscht besessen in panischem Entsetzen in die Hände, schreit. Man läuft zusammen. Es bleibt Wahrheit. Sie träumt nicht, sie ist nicht wahnsinnig geworden. Kein böser Geist verwirrt ihre Sinne. Draußen ist heller Frühling. Ist Sonne, Licht, Wärme. Die Blumen duften wie immer. Und Er ist nicht mehr. Sie faßt es nicht. Die Sonne strahlt und wärmt, die Lämmerwölkchen ziehen am Himmel, leicht und beflügelt, der Himmel ist blau, Lerchen steigen trillernd zu seinen Höhen, alles geht weiter, nichts stockt, nichts hört auf, alles ist wie gestern, wie heute morgen, nur Er ist nicht mehr. Alles lebt weiter, freut sich weiter, lacht und lebt weiter. Nur Cäsar ist tot.

      Da beginnt sie zu rasen aus Unverstehen, aus Nichtbegreifenkönnen. Sie schlägt die Fäuste gegen die Wand des Zimmers, empört sich, revoltiert gegen das sinnlose Geschick, dem eine geniale Königin unterliegt wie der armseligste Bettler. Dann kommen wieder letzte hoffende, kaum noch hoffende Zweifel. Alle täuschen sich, alle sind irre geworden. Sie will es mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören. Umhüllt sich mit einem weiten Mantel, stülpt die Kapuze über den Kopf. Nur Charmion begleitet sie.

      Hier drüben auf dem Janikulum ist noch wenig zu merken. Diese Villenvorstadt liegt still und verträumt wie immer. Doch schon auf der Brücke gähnt ihnen die Leere des Entsetzens entgegen. Das Forum starrt verlassen. Wer sich hinauswagt, jagt angstvoll dahin. Grauen lastet über der Stadt. Alles hält sich bebend in den Häusern. Keiner weiß, was der Tag des Todes noch bringen, wer Herr der Lage werden wird. Doch dort, im Schatten der Basilika Sempronia brodelt eine Menschengruppe. Sie tritt hinzu, hört vom Morde. Nur vom Morde des Herrn von Rom stammeln fassungslose Lippen.

      Sie muß es glauben, es muß in ihrem Blute Leben und Begreifen werden. Da überkommt sie majestätischer Zorn. Sie ist keine Natur, die ergeben trägt. Sie schreit nach Rache. Nach Strafe. Schreit laut heraus, auf dem Heimwege. Voll Bangen zieht Charmion sie durch die menschenleeren Gassen.

      »Das hätte in Alexandrien geschehen sollen! Längst hätte ich die Mordbuben gefaßt. Martern hätte ich ausgesonnen, wie sie nie erdacht worden sind.« Ihre Verzweiflung schwelgt in der Qual und dem Blute der Mörder Cäsars. Doch sie weiß, daß Ohnmacht und Zähneknirschen ihr Los ist.

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