Mit Segenskreuz und Handy. Joachim Schroedel

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Mit Segenskreuz und Handy - Joachim Schroedel

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aber wir müssen das halt aushalten. Wir besuchen die Pyramiden und werfen einen Blick auf das Kairo des siebten und zehnten Jahrhunderts (Christentum in Ägypten, »koptisches Kairo« und »das fatimidische Kairo«), und natürlich werden wir das weltberühmte Nationalmuseum besichtigen – aber dann brechen wir nach »Oberägypten« auf (damals sogar mit dem Bus, jetzt fast nur noch mit dem Flugzeug)! Und dort sehen wir dann das wirkliche Ägypten, wie Sie es sich vorstellen!«

      Im Rückblick: Eine sehr falsche Antwort, die falsch verstandenem Romantizismus und vermeintlicher »Ägyptologie der reinen Form« zwar zu entsprechen versucht, aber scharf an der Lösung der Problematik vorbei geht.

      Kairo konnte und kann man nicht als isolierten Körper betrachten, an dem man schnell vorbei zu gehen soll, um das vermeintlich »wahre Ägypten« zu erleben. An einer Stadt, die die Fläche von Frankfurt am Main hat, aber mit den beiden (von zusammen 27) Provinzen Kairo und Gizeh alleine zwischen 17 und 20 Millionen Einwohner hat (also mehr als 1/5 der gesamten Einwohner Ägypten stellt!) kann man nicht einfach einmal »vorbei gehen«. Auch wenn es wohl statistisch nicht ganz stimmt; ich sage als Richtzahl: 1/3 der Bevölkerung Ägyptens lebt im Nildelta, ein weiteres Drittel in den Ballungszentren Kairo und Alexandria und das letzte Drittel lebt entlang des Nil, von Kairo bis Assuan. Kairo ist nicht nur die Stadt der Pyramiden und des Nationalmuseums; Kairo ist Ägypten! Und so sagen auch viele Bewohner Ägyptens, wenn sie etwa von Oberägypten in die Hauptstadt fahren: Wir fahren »Masr« – Ägypten!

      Als ich vor über 30 Jahren diese jugendlich-unbedarfte Äußerung machte, man müsse jetzt halt erst einmal Kairo »überstehen«, aber nach drei Tagen würde man aufbrechen, um das «wirkliche Ägypten« zu sehen, war mit Bestimmtheit falsch.

      Kairo scheint mir heute das »Ägypten in nuce« zu sein; wer Kairo analysiert, sei es als Politikwissenschaftler oder Geograph, kann zumindest die wichtigsten Indikatoren der Gesamtentwicklung Ägyptens beschreiben. So wahr es wohl ist, dass »auf dem Lande« das Bildungsniveau niedriger ist als »in der Stadt«, so richtig ist es auch, dass die Stadt (ich spreche immer noch von Kairo und keiner »westlichen« Stadt), die Gesamtbevölkerung »abbildet«. Es gibt Stadtviertel in Kairo, die ländlicher nicht sein könnten. Etwa 60% des Stadtgebietes ist »informal« (englisch für: ungeplant, ja: illegal). Zu Beginn des Monats Dezember 2015 berichtete das Amt für Statistik (CAPMAS), die Bevölkerung Ägyptens habe um 1,5 Millionen Menschen zugenommen. Und selbst ohne jede Behörde kann man, mit offenen Augen und bloßem Menschenverstand sehen; jetzt, 20 Jahre nach meiner Ankunft in Ägypten und knapp 35 Jahre nach meinen ersten Erfahrungen mit diesem Land, scheint es wirklich nicht mehr möglich, Strukturen zu schaffen, die dem Menschen dienen.

      Verlassen wir die Erfahrungen mit meinen »ersten Schritten« in Ägypten und wenden uns dem Zeitpunkt zu, an dem ich beruflich zum ersten Mal in Kairo eintraf.

      Die erste Nacht in Kairo

      Am 14. August 1995 kam ich nach Mitternacht in Kairo an. »Umzugsgut« gab es nicht, denn ich durfte die Wohnung beziehen, die auch schon meine Vorgänger hatten. Bestimmt nichts Besonderes, möbliert im Stil der 50er Jahre, im siebten und letzten Stock eines Hauses in der Mohammed-Mahmoud-Straße. Erst 17 Jahre später erlangte diese Straße, die sich vom Tahrir-Platz zum Abdinpalast erstreckt, traurige Berühmtheit.

      Das Beste an der Wohnung: Sie lag genau gegenüber der »Deutschen Schule der Borromäerinnen«, von den Schülerinnen liebevoll »die Borro« genannt. Die Schwestern des Schulkonvents holten mich mit einer kleinen Delegation ab, und recht schnell fuhren wir die 20 km vom Flughafen zur Schule. Die Straßen waren leer, nur einige streunende Hunde suchten nach Futter oder lieferten sich kleine Gefechte. Mir wurde eines der klösterlichen Gästezimmer zugewiesen und Schwester Martina, die Oberin des Konvents, wünschte mir eine gute Nacht – nicht ohne darauf klar hinzuweisen, dass ich am folgenden Morgen um 6:15h die Heilige Messe zu feiern hätte. Das Fest Maria Himmelfahrt hat in der Kirche einen hohen Rang – und für mich persönlich eine große Bedeutung. War ich ja bei meinem ersten Flug, der mich ins Heilige Land Israel/Palästina führte, ebenfalls an Maria Himmelfahrt unterwegs – freilich bereits 1976 …

      Auf meine Frage, in welcher Sprache denn die Messe sei, antwortete sie fast indigniert: »Auf Deutsch natürlich!«.

      Dieser Satz ist mir heute noch in lebendiger Erinnerung, denn er stand und steht für die innere und äußere Haltung nicht nur von Schwester Oberin Martina, die eine deutsche Ordensfrau war, sondern auch des ganzen Konventes, der damals etwa acht Schwestern umfasste, wobei nur zwei aus Deutschland kamen. Die anderen waren aus Mittelägypten, hatten aber ihr Noviziat und ihre Ausbildung (Lehrerinnen, Erzieherinnen, Krankenschwestern) im Mutterhaus in Grafschaft im Sauerland absolviert. Bereits in den ersten Wochen lernte ich die Schwestern näher kennen. Und mir wurde deutlich, wie wichtig der Bezug nach Deutschland war. In den Jahren konnte ich dann schließlich feststellen: Dieser Bezug zu allem Deutschen ist nicht nur auf die Gemeinschaft der Borromäerinnen oder vielleicht der Deutschen Schulen zu beschränken! Wenn man sich in Ägypten als Deutscher zu erkennen gibt, gehen die Herzen fast aller Ägypter weit auf!

      An Schlaf war allerdings nicht zu denken; im August herrschen in der Regel in Kairo mörderische Temperaturen. Nicht zu vergleichen mit Rom etwa, wo wegen der Hitze des »ferragosto« nur noch Minimalbetrieb herrscht.

      Und freilich gab es keine Klima-Anlage, nur einen laut ratternden Ventilator, der mich auch nicht in den Schlaf wiegen konnte. Ich hätte gerne gewusst, wie viel Grad es denn in diesen sehr frühen Morgenstunden in meinem Zimmer sind, doch einen Thermometer hatte ich nicht mitgenommen – oder … Da war doch in meinem Erste-Hilfe-Set, das mir meine Mutter gepackt hatte (sie war Krankenschwester), ein Fieberthermometer! Gesagt, getan; ich holte das Fieberthermometer hervor und nach 5 Minuten konnte ich feststellen: es waren tatsächlich 38,2 Grad Celsius!

      »Worauf hast Du Dich hier eingelassen?« – Diese Frage kam mir in den ersten Jahren häufig. Aber in dieser Nacht dachte ich nur, dass ich eben hier durch muss! Nach einer Dusche setzte ich mich an den kleinen Schreibtisch und wollte eine Tagebucheintragung machen: Angekommen! Der Schweiß tropfte jedoch auf das Papier des Heftes und machte selbst eine kleine Eintragung unmöglich! Also: Raus aus dem Zimmer und noch etwas durch die Straßen der schlafenden Stadt gewandert.

      Das Viertel, in dem die Schule liegt, heißt im Volksmund »Bab el Louk«. Es könnte »Tor des Lukas« heißen, aber Keiner kann schlüssig einen Beweis antreten. Offiziell heißt der Stadtteil »Abdin«, denn das Zentrum ist der Abdin-Palast, der seit 1873 als Sitz der Regierung und heute noch als offizieller Amtssitz des Präsidenten genutzt wird, etwa bei Akkreditierungen ausländischer Botschafter.

      Aber für alle Bewohner Kairos, ja, für alle Ägypter, ist das gesamte Konglomerat an Häusern der frühe »belle Époque« das »wust el-balad«, eigentlich: »Zentrum des Landes«. Ausländer nennen es einfach: »Downtown«.

      Wenn man fast 900 Kilometer von Kairo entfernt ist, vielleicht in einem nubischen Dorf südlich von Assuan, und man antwortet auf die Frage, wo man denn in Kairo wohnt mit dem Begriff »wust el-balad«, dann kommt fast immer ein Funkeln in die Augen des Gesprächspartners. »Wundervoll!« wird man dann zu hören bekommen; »wie glücklich Du sein darfst!« Doch wenn man noch erklärt, man sei in »Bab el Louk«, dann setzt schon fast ekstatische Freude ein: »Nein, unmöglich, wie herrlich: Da bist Du ja mitten im Trubel, im Herzen der Stadt! Ich beneide Dich!«

      So erwanderte ich mir in meiner ersten Nacht als Seelsorger für die deutschsprachigen Katholiken in Ägypten mein »Viertel«. Gebäude, in denen früher höhere Beamte und natürlich viele ausländische Geschäftsleute wohnten, ein »Regierungsviertel« dazu, in dessen südlichem Bereich die Gebäude des Parlaments sind. Häuser, wie sie fast baugleich und zeitgleich in Paris stehen, in Brüssel oder im Vorkriegs-Berlin. Und in der Nacht, die einen gnädigen Schatten auf den wirklichen Zustand der Gebäude legt, ist ein Weg um diese Häuser ein Gang durch die Geschichte Kairos des neunzehnten Jahrhunderts.

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