Sengender Wind. Selva Almada

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Sengender Wind - Selva Almada

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Sonne ihre letzte Ruhestätte fanden.

      zwei

      Nachdem sie mehrere Wochen lang durch die Provinz Entre Ríos gereist waren – von Norden her am Río Uruguay entlang bis hinunter nach Concordia, wo sie auf die Nationalstraße 18 eingebogen waren, die die Provinz genau auf der Hälfte bis Paraná durchquert –, beschloss der Reverend, die Fahrt in Richtung Chaco fortzusetzen.

      In Paraná, seiner Geburtsstadt, blieben sie ein paar Tage. Zwar besaß er dort keine Verwandten oder Bekannten mehr, weil er schon in jungen Jahren fortgegangen war, doch kam er hin und wieder gern vorbei.

      Sie stiegen in einem billigen Hotel nahe beim alten Busbahnhof ab, einer engen und bedrückenden Unterkunft mit Blick aufs Rotlichtviertel. Leni vertrieb sich die Zeit damit, durchs Fenster dem müden Kommen und Gehen der Prostituierten und Transvestiten zuzuschauen, die gerade so viel am Leib trugen, dass sie sich fast nicht ausziehen mussten, wenn ein Freier erschien. Der Reverend, der kaum aus seinen Büchern und Papieren aufschaute, hatte keine Ahnung, wo sie gelandet waren.

      Letztlich fand er doch nicht den Mut, das Haus seiner Großeltern zu besuchen, wo er geboren und bei seiner Mutter aufgewachsen war, und wo es nur sie und ihn gab – sein Vater, ein nordamerikanischer Hallodri, hatte sich vor seiner Geburt mit den wenigen Ersparnissen seiner Schwiegereltern aus dem Staub gemacht –, doch nahm er Leni mit zu einem alten Erholungspark am Ufer des Flusses.

      Sie gingen zwischen betagten Bäumen spazieren, und an den Stämmen sahen sie, wie hoch das Wasser mal gestanden hatte, je näher am Ufer desto höher; einige Bäume bewahrten bis in die obersten Zweige Schlickreste von früheren Hochwassern. Auf einem Steintisch aßen sie zu Mittag, und der Reverend sagte, als Kind sei er mehrmals mit seiner Mutter hergekommen.

      »Damals sah es hier ganz anders aus«, sagte er und biss in sein Brot. »An den Wochenenden wimmelte es von Menschen. Jetzt ist alles verwahrlost.«

      Er aß weiter und betrachtete wehmütig die kaputten Bänke, das ungepflegte Grün und den Müll, den die Spaziergänger des vergangenen Wochenendes hinterlassen hatten.

      Nach dem Essen wollte der Reverend noch ein Stück weiter in den Park hinein, sagte, es habe damals zwei Schwimmbecken gegeben, und er würde gern wissen, ob sie noch da seien. Nach einer Weile hatten sie sie gefunden. Im geborstenen Beton der Beckenränder sah man die Eisenarmierung; die Kacheln der Innenwände waren lehmverschmiert oder fehlten an etlichen Stellen, als wäre den Schwimmbädern im Alter eine Menge Zähne ausgefallen. Der Boden war eine Brutstätte für Moskitos und Kröten, die sich unter den im Schlamm wachsenden Pflanzen versteckten.

      Der Reverend seufzte. Lange zurück lag die Zeit, da er mit anderen, gleichaltrigen Kindern vom Sprungbrett gesprungen war und mit den Füßen den gekachelten Grund berührt hatte, um sich von dort abzustoßen und mit dem Kopf durch die helle Wasseroberfläche zu brechen.

      Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging langsam mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern an einem der Becken entlang. Leni betrachtete den gebeugten Rücken ihres Vaters und empfand ein wenig Mitleid. Sie vermutete, dass er sich an glücklichere Tage erinnerte, an die Tage der Kindheit, an einst hier verbrachte Sommernachmittage.

      Aber ihr Mitleid legte sich gleich wieder. Er zumindest konnte an Orte voller Erinnerung zurückkehren. Er konnte einen Baum wiedererkennen und sich den Tag ins Gedächtnis rufen, als er und seine Freunde bis in seine Krone geklettert waren. Er konnte sich an seine Mutter erinnern, wie sie ein kariertes Tuch auf einem der jetzt zerborstenen Tische ausbreitete. Für sie dagegen gab es keine verlorenen Paradiese, zu denen sie zurückkehren konnte. Obwohl sie ihre Kindheit gerade erst hinter sich gelassen hatte, war ihre Erinnerung leer. Dank ihrem Vater und seiner heiligen Mission bestanden ihre Kindheitserinnerungen aus dem Innern des immergleichen Autos, aus den elenden Zimmern hunderter gleichförmiger Hotels, den Gesichtern einiger Dutzend Kinder, mit denen sie nicht lange genug Umgang hatte, um sie zu vermissen, einer Mutter, an deren Gesicht sie sich fast nicht erinnerte.

      Der Reverend war mit seiner Beckenumrundung fertig und kam just da wieder an, wo seine Tochter noch immer stand, hart wie Lots Frau, unerbittlich wie die sieben Plagen.

      Leni sah das Schimmern in den Augen ihres Vaters und wandte sich rasch ab.

      »Gehen wir. Dieser Ort stinkt«, sagte ihr Vater.

      drei

      Tapioca brachte die Getränke: die Cola für Leni und das Glas Wasser für den Reverend. Er reichte jedem seins und blieb wie ein allzu beflissener Kellner stocksteif stehen.

      Pearson leerte das Glas in einem Zug. Obwohl das Wasser warm und von zweifelhafter Färbung war, nahm er es entgegen, als wäre es dem reinsten Quell entsprungen. Er sagte immer, wenn Gott etwas in die Erde getan hat, muss es gut sein.

      Er gab dem Gehilfen das Glas zurück, das dieser mit beiden Händen umklammert hielt, ohne zu wissen, was er damit tun sollte. Er balancierte erst auf dem einen Bein, dann auf dem anderen.

      »Gehst du zur Kirche, Junge?«, fragte der Reverend.

      Tapioca schüttelte den Kopf und schaute beschämt zu Boden.

      »Aber du bist ein Christ.«

      Der Junge hörte auf, auf einem Bein zu balancieren, und fixierte die Spitzen seiner Alpargatas.

      Der Reverend bekam glänzende Augen. Er stand auf und baute sich vor Tapioca auf. Er beugte sich etwas vor, um sein Gesicht zu sehen.

      »Bist du getauft?«

      Tapioca schaute hoch, und der Reverend sah sich in den großen, feucht-dunklen Rehaugen gespiegelt. Die Pupillen des Jungen zogen sich in einem Aufblitzen von Neugier zusammen.

      »Tapioca«, rief Brauer, »Kommst du mal, ich brauch dich hier.«

      Der Junge gab dem Reverend das Glas zurück und lief rüber zu seinem Chef. Pearson hob das schmuddelige Glas und lächelte. Das war seine Mission auf Erden: die schmutzigen Geister spülen, bis sie wieder makellos waren, und mit dem Wort Gottes füllen.

      »Lass ihn in Ruhe«, sagte Leni, die die Szene aufmerksam verfolgt hatte, während sie an ihrer Cola nippte.

      »Gott bringt uns genau dorthin, wo wir gebraucht werden, Elena.«

      »Wo wir gebraucht werden, ist das Haus von Pastor Zack, Vater.«

      »Ja, das kommt danach.«

      »Nach was?«

      Ihr Vater antwortete nicht. Auch sie hakte nicht nach, sie hatte keine Lust, mit ihm zu streiten oder von seinen geheimnisvollen Plänen zu erfahren.

      Sie beobachtete, wie Brauer Tapioca irgendwelche Anordnungen gab, worauf der Junge in einen alten Lieferwagen stieg. Er lenkte, während Brauer das Fahrzeug mühsam etwa zweihundert Meter weit in den Schatten eines Baums schob.

      Als er ihn dort hatte, wo er wollte, ließ er sich zu Boden sinken und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen. Heiße Luft drang durch den weit offenen Mund in seine Lungen. Das Herz in seiner Brust tobte wie eine Katze im Sack. Er betrachtete die Splitter von Himmel, die durch die schüttere Baumkrone blitzten.

      Brauer war einmal ein sehr starker Mann gewesen. Mit zwanzig schlang er sich eine Kette um den nackten Oberkörper und zog einen Traktor hinter

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