Mariedl. Sophie Reyer

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Mariedl - Sophie Reyer

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setzt sich an die Kante des Bettes, hält ein wenig Theresias Hand. In seinem Gesicht schläft die Güte der Landschaft, die hinterm Haus beginnt: das große Schweigen, die sprachlose Wildheit des Grases, wenn Gewitter und Hagelkörner es aufwühlen. Da ruht der Stein, der Fisch im schlammigen Teich, der hinter der Landstraße liegt. Ein großer Friede ist in seinem Gesicht.

      Theresia Faßnauer wird müde. Das Kind schreit. Es ist der Schmerz, am Leben zu sein.

      Der bellende Hund läuft dem Roten nach in die Stube, kläfft laut. Das Brüllen des winzigen, faltigen Bündels scheint ihn aufgeregt zu haben.

      „Ruhig“, sagt Josef und fährt liebevoll mit der flachen Hand über dessen Kopf, wieder und wieder. Die Kuppen streichen, der Blick geht ins Leere.

      Als er in das Zimmer zurückkehrt, zuckt auf seinem Mund erneut ein Lächeln auf, während er das Kind betrachtet, das neben der Frau auf dem Bett liegt.

      Der Hund beruhigt sich. Seine rosige Zunge lappt aus dem Mund, er hechelt. Unter den Händen spürt Josef das Zwerchfell pochen. Er krault den Nacken des Tieres, greift dann nach dem Kind. Auch das Schreiende pocht, pulsiert vor Leben. Als wäre die Dichtigkeit der Welt für diesen kleinen Körper zu viel, denkt Josef.

      „Was sagst?“, fragt Theresia mit matter Stimme.

      „Gut hast das g’macht!“, sagt Josef.

      „Ich weiß“, sagt Theresia.

      Normalerweise ist sie eine geschwätzige Frau. Wie die Weiber aus dem Dorf liebt sie das Leiern der Rosenkränze, den Tratsch, den man auf der Parkbank hinterm Bauernhaus des Abends gern treibt, wenn Tau das Gras benetzt. Doch die Geburt hat sie erschöpft.

      Für einen Moment herrscht Stille zwischen ihnen.

      Josef, der stets mit allem zufrieden ist, lächelt wieder.

      „Moidl“, meint er dann zärtlich und fährt über den hellen Haarflaum, der den Schädel des Kindes überzieht.

      Theresia nickt.

      „Moidl, ja, eine kleine Heilige!“

      So ist es beschlossen.

      Dann wird es wieder still zwischen den beiden. Nur der Wind pfeift von den Riesen der Gebirge zu ihnen her und durch das Hoffenster herein. Mehr nicht. Es ist eine Vertrautheit zwischen ihnen, eine Seligkeit, die nur zwischen Menschen liegen kann, die sich lieben.

      Das Kind ist zwischen sie gebettet: Es hat einen inneren Frieden. Es ruht zwischen den Eltern in der sie umgebenden riesenhaften Landschaft. Maria ist geboren.

      3. Großer Großvater

      Es ist immer ein Wunder, wenn neues Leben wächst. Und doch geschieht es wie nebenher. Hände werden größer, Beine wachsen sich aus. Auch Marias. Gerade Marias. Moidl, wie die Ridnauner sie nennen.

      In den ersten Jahren gestaltet sich Marias Dasein unaufgeregt. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen. Marias Sommer sind bestimmt durch das Spiel mit der Schwester Rosa, die ein wenig jünger ist als sie, und die Arbeit auf der Weide. Wehende Kleider, die um die Füße baumeln, sie streicheln, sich zart, gleichzeitig aufregend anfühlen. Aufregend wie das Kitzeln des Grases unter den Sohlen. Aufregend wie die Blase der Schweine, die beim Schlachten entnommen wird und mit der dann, während man das Fleisch auf dem Feuer grillt, Ball gespielt wird.

      Spielen: Das ist es, was Maria und Rosa am liebsten tun. Oft läuft Rosa der Schwester hinterher, eine riesige Puppe aus Stroh mit sich schleppend. Sie spielen, die Mutter nachahmend, Hausmütterchen, mit einem Tuch um den Kopf. Schon damals ist eine tiefe Verbundenheit zwischen ihnen. Und das wird so bleiben. Auf allen zukünftigen Reisen wird Rosa die Riesenschwester begleiten. Jetzt aber ist diese blonde Kleine mit dem Puppengesicht selbst noch ein Kind. Und sie ist die Anführerin. Quirlig und aufmüpfig weiß sie um ihre Macht. Maria ist zwar größer, aber gutmütiger und ein wenig dumpf – sie lässt sich leicht manipulieren, sagt zu Rosas Ideen meist „Ja!“ und lächelt gütig.

      Rosa ist eine Draufgängerin. Doch ihr Charme kompensiert.

      „Wart!“, ruft sie der Maria nach, wenn die mit großen Schritten voraneilt, um des Nachmittags nach getaner Arbeit wieder ein wenig zu spielen.

      Zum Brunnen vor der Kapelle zieht es sie. Für die Kinder ist es eine Weltreise; der Feldweg lang und gefährlich. Die Beine muss man einziehen, wenn Schlangen des Weges kriechen. An den Rand muss man flüchten, sobald einer der Gaukler mit einem Leiterwagerl kommt, oder eines der Pferde, deren Hufe laut rattern. Im Sommer zieren schneckenartig zusammengerollte Ballen aus Laub die Straße, sehen aus wie die Nussschnecken, die Maria nur zu Weihnachten zu essen bekommt. Rosas Füße laufen, straucheln, sie will unbedingt schneller sein. Maria drosselt ihr Tempo und folgt der Schwester zum Brunnen vor der Kapelle, beginnt eifrig zu schöpfen wie sie.

      „Ich koch jetzt Suppe“, sagt Rosa. „Für den Vater.“

      Maria nickt. Obwohl sie älter ist, lernt sie von der Schwester. Sie übernimmt: die Gesten, die Art zu gehen. Denn Rosa scheint viel sicherer zu sein!

      So lässt Maria sich von Rosa, der sie doch an Größe und Stärke um einiges überlegen ist, auf einem kleineren Heuballen neben den Brunnen ziehen – wie das kratzt unter den Pobacken! Maria und Rosa klettern auf einen größeren Ballen und schlenkern mit den Beinen, sehen in die Ferne und trinken von dem Wasser, das ein bisschen lehmig schmeckt. Die Sonne brennt, die Hitze sticht.

      Sonst geschieht nichts. Und das ist gut so, denn die Kinder sind müde. Hin und wieder ein Habicht am Himmel, der gurrende Schreie ausstößt.

      Maria sieht in die Tiefe des Brunnens. Ihr ist ein wenig bang.

      „Deine Füße sind viel kürzer als meine!“, sagt sie dann zu Rosa.

      „Das macht nix“, meint die. „Dafür ist deine Nase flacher! Du gerätst eben nach dem Großvater.“

      „Ja?“, meint Maria und betrachtet sich selbst zweifelnd. Manchmal kommt sie sich unendlich fremd vor, wenn sie ihre Glieder betrachtet: wie eigenartige Gebilde, die nicht zu ihr gehören.

      „Iss, Moidl!“, meint da die Schwester und holt eine Semmel aus der Rocktasche und ein wenig Milch, die sie in ihrem Schürzchen verstaut hat.

      Maria stopft Semmel und Milch in sich hinein, bis ihr schlecht wird, sich alles aufbauscht in ihrem Mund. Rosa ist angetan.

      „Wie schnell du essen kannst!“, ruft sie.

      Beschämt zuckt Maria mit den Achseln und kaut weiter. Essen ist immer gut. Ob es auch hilft gegen die Angst vor der Höhe auf dem Heuballen? Egal. Maria seufzt und entspannt sich. Rosa sitzt neben ihr und riecht nach Milch und Sonnenbrand.

      In dem Moment hüpft etwas vom benachbarten Baum auf sie herab.

      „Ein Kätzchen!“, ruft Rosa aus.

      Maria betrachtet das kleine Bündel, das nun zwischen ihnen sitzt und leise maunzt.

      „Wie herrlich!“, kommt es aus Maria, und sie betrachtet das Tier genau. Es muss gerade geboren worden sein! Es hat einen roten Gaumen und passt genau in eine Hand, so winzig und zart ist es, noch ganz ohne Fell, nur von einem Flaum bedeckt. Sie könnte

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