Mariedl. Sophie Reyer

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Mariedl - Sophie Reyer

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denn die Riesin hat früh gelernt, dass es das Beste ist, nicht zu viel zu fordern, zu wollen. Dass dann keine Enttäuschung geschieht, weil etwas zu wenig ist.

      Der Pfarrer nickt.

      „Ein gutes Mädchen ist’s, die Riesin!“, meint er und blickt für einen Moment in das Schneetreiben hinaus.

      „Ja“, entgegnet Theresia und wischt sich ihre Hände in der Schürze ab. „Allein –“, sie zögert kurz.

      „Ja?“, will der Geistliche wissen und betrachtet die Frau.

      „Nun, das Bett ist ein wenig klein geworden, und die Moidl schläft schlecht“, gibt Theresia zu und senkt beschämt den Blick zu Boden.

      Herr Engl schaufelt ein wenig Plenten in sich hinein, kaut und denkt nach.

      „Ich werd’ sehen, was sich machen lässt!“, sagt er, denn es ist Weihnachten.

      Die Riesin isst beschämt weiter, ihr Rücken knickt ein wenig ein. Gut, dass die Zeit vergeht, denkt sie, und träumt ein wenig von der Stadt, während sie ins Schneetreiben hinaussieht.

      10. Die Sprache der Musik, die Sprache der Wissenschaft

      Die Messe ist es, die Maria besonders liebt. Manchmal darf sie sogar bei Herrn Mossbacher, dem Organisten, sitzen, und das ist dann eine sehr große Ehre. Denn die Riesin liebt das majestätische Dröhnen der Orgel, liebt es, wenn im Leib des Kirchhauses diese monumentalen Klänge erschallen. Wie gebannt schaut sie dann von der Empore in die Kirche hinunter. Der Herr Pfarrer steht hinter einem prunkvollen, golden verzierten Altarbild in einem wallenden Gewand und hält die Hostie in den Händen. Vor ihm, in engen Sitzreihen stehend, die Masse der Dorfbewohner.

      Die Menschen sehen klein aus von oben, die mit Heiligenfiguren bemalten Deckengewölbe hingegen wirken mächtig. Maria kann den Mund kaum noch zumachen. Sie schaut und schaut. Sucht nach bekannten Gesichtern in der Menge. Auf einmal sieht sie Rosas Haarschopf zwischen den anderen Köpfen aufleuchten, ihr besonderes Blond.

      „Willst sehen, wie ich die Pedale tret’?“, fragt Herr Mossbacher, ein feister, freundlicher Mann, mit flüsterndem Atem.

      Maria nickt. Sie reißt sich vom Anblick Rosas los, nimmt die Hände von der Steinbalustrade und nähert sich Herrn Mossbacher, der an seinem klobigen Instrument sitzt. Maria zieht sich ein Stück weit in die Höhe, setzt sich auf den Orgelsitz und zieht brav die Beine ein. Wie groß sie neben dem kleinen dicklichen Kerl aussieht!

      Die Riesin bemüht sich, still zu sein. Sie schaut die langgezogenen Pfeifen mit den Schlitzen an, die nebeneinander aufgefädelt auf der Empore stehen. Ein Chor – Menschen, die kleine abgegriffene Büchlein vor sich aufschlagen und mit ernsten Mienen in Richtung Pfarrer starren – hat sich vor den Orgelpfeifen positioniert.

      „Wie falsch die singen!“, wispert Herr Mossbacher der Riesin zu.

      „Ja!“, brummt Maria bemüht leise.

      Herr Mossbacher nickt, und die Haut um seinen Hals schlabbert dabei ein wenig.

      Die Riesin blickt zu Boden und wäre jetzt gern kleiner, damit sie sich nicht krümmen muss. So könnte sie nämlich spielen wie der Herr Mossbacher. Mit gestreckten Beinen und flinken Sohlen!

      Der Organist lächelt schief, der Chor beginnt in schrägen Viertelnoten zu singen. Die Riesin verzieht vor Begeisterung das Gesicht und blickt die hölzernen Pedale an, die unter ihren Füßen aufgereiht sind. So vergeht die erste Hälfte der Messe.

      Doch nach der zweiten Hälfte passiert das Malheur: Die Riesin, ergriffen von der Predigt, rutscht ein Stück weit nach vorn, und siehe – da stupst eine ihrer monumental großen Zehen leicht auf eines der Pedale. Plötzlich bricht ein Orkan los. Ein schmetternder Klang erfüllt den Raum, die ganze Kirche dröhnt. Maria zuckt zusammen. Du böses Mensch!

      Mit zusammengepressten Lippen fleht sie die Gottesmutter um Hilfe an. Dann sieht sie sich schüchtern um. Der Herr Mossbacher hockt mit aufgerissenem Mund da und starrt sie an. Als er aber merkt, wie erschrocken sie selbst ist, meint er bemüht zärtlich: „Alles gut, mein Kind!“

      Beschämt blickt Maria ihre viel zu langen Finger an und beginnt an den Nägeln zu kauen. So geht auch dieser Gottesdienst vorbei.

      Nach der Messe schieben sich die Dorfbewohner gegenseitig aus der aus allen Nähten platzenden Kirche. Weiber mit Kopftüchern und krummen Beinen schlängeln sich aneinander vorbei. Ranzig riechende Münder kommen nahe an Maria heran. Sie selbst hinkt bestürzt und mit eingezogenem Hals hinter Herrn Mossbacher her. Ob auch der Pepi da ist?

      „So groß geworden, die Moidl!“, ruft eine Frau, deren Zähne schief sind und gelblich schimmern.

      Die Riesin versucht ein Lächeln. „Man wird älter, Frau Greiner!“, meint sie bemüht höflich. „Gott schenkt jedem das Seine!“

      „Aber was war denn mit der Orgel los heute?“, flüstert die Frau dann, ihren speichelziehenden Mund dem Ohr des Herrn Mossbacher nähernd.

      Maria spielt Schildkröte, macht sich winzig und atmet nicht mehr, lässt den Blick umherspringen. Endlich: Sie sieht Rosa wieder in der Menschenmenge an der Hand ihres Vaters, dieses ruhigen rothaarigen Mannes, der sich gekonnt durch die Masse boxt.

      „Rosa!“, ruft sie mit bassiger Stimme.

      Die Schwester löst sich vom Vater, läuft auf Maria zu. Sie umarmen einander.

      Sofort stellt Rosa die erste Frage: „Sag, warst du das mit dem unerwarteten Dröhnen?“

      Maria blickt zu Boden und schweigt.

      Zum Glück wird nicht weiter darüber geredet, man tritt den Heimweg an. Doch auf der Anhöhe des Sonklarhofs wartet bereits die nächste Episode: Sie treffen nämlich auf einen gewissen Professor Carl Arnold.

      Der ist ein häufiger Besucher des Hofes. Er nippt noch einmal an seinem Glas Wein und betrachtet die beiden, als sie vorbeikommen.

      „Ich hab’ gehört, du bist die Moidl!“, ruft er.

      Maria kennt das schon, sie dreht sich beschämt weg und sagt: „Ja, ich weiß, jeder kennt mich hier!“

      Freundlich lacht Carl Arnold. „Das stimmt!“

      „Ja, weil ich halt allen über die Köpfe schieß’.“

      Er deutet dem Mädchen, sich neben ihn zu setzen. Maria folgt, brav wie sie ist, und Rosa hastet mit neugierigem Blick hin und her.

      Wie sanft das Kind erscheint, und wie eingeschüchtert!, denkt Carl Arnold, und mit einem Mal tut es ihm im Herzen weh. Er hat auf sie gewartet, sie, von der man erzählt, dass kein Mannsbild im ganzen Tal ihr gleiche, dass sie sogar den größten Hünen schon kopfhoch überwachsen habe. Er weiß längst, dass die Riesin am Sonntag dieses Weges kommt, heim von der Kirche. Und mit einem Mal schämt sich der Arzt, so sensationslüstern zu sein.

      Maria betrachtet mit gebanntem Blick den Fremden. Ob sie wohl fesch genug ist vor so einem hohen Herrn aus der Stadt?, fragt sich die Riesin. Sie, die nur in ein schwarzes bäurisches Sonntagsgewand mit kurzem Fürtuch gehüllt ist.

      Maria verkriecht sich tief in ihr

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