Menschwerdung eines Affen. Heike Behrend

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Menschwerdung eines Affen - Heike Behrend

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den sie erinnerten, wurde von zu vielen unkontrollierbaren Einflüssen gestört und nahm Richtungen, die nicht ihren Erwartungen entsprachen. Auch sie mussten feststellen, dass eine einfache Umkehrung des Blicks von der Vergangenheit in die Zukunft nicht mehr gelang.

      13

      Mit der Aufnahme in den Teriki-Clan war meine soziale Karriere noch nicht beendet. Die Ältesten hatten mir bisher verboten, an ihren Ritualen teilzunehmen, und sich auch weitgehend geweigert, darüber zu sprechen. Es war, wie ich später erfuhr, in ihren Augen völlig überflüssig, über Rituale zu reden: Sie waren, wie Aingwo mir erklärte, da, um gemacht zu werden. Jedes Kind in den Tugenbergen wurde in Ritualen des Lebenszyklus zu einer sozialen Person gemacht, am Anfang als Initiand, der das Ritual erleidet, dann als ritueller Helfer, der Handlungsmacht gewinnt und den Mitgliedern der nachfolgenden Altersklasse bei ihrer Initiation beisteht, und zum Schluss als Ältester, der nun wissend, mächtig und aktiv das Ritual leitet.

      Allein Sigriarok machte mir das Angebot, Sohro, das letzte und größte Ritual des Lebenszyklus, zu »kaufen«. Tatsächlich erlaubten die Ältesten Fremden, die Tugen werden wollten, ihre Rituale zu erwerben. Ich »kaufte« das Ritual und steuerte Geld für Honig und Mais zum Bierbrauen bei. Gegen den Widerstand von einigen Männern und Frauen – darunter auch Kopcherutoi – setzte Sigriarok meine Teilnahme durch. Zum einen, so erklärte er, sei ich eine Teriki geworden und habe damit das Recht zur Teilnahme an den öffentlichen Ritualen erworben. Andererseits, so tröstete er die Gegner, könne ich ja sowieso nichts verstehen und damit auch die Rituale nicht stehlen und mit nach Deutschland nehmen.

      Ich durfte also an Sohro teilnehmen, jedoch nur an den öffentlichen Zeremonien, von den eher geheimen Ritualen, die allein den Männern oder allein den Frauen »gehörten«, blieb ich ausgeschlossen. Ich gehörte dem einfachen Publikum an, das lediglich zuschauen durfte. Ich habe die Grenzen, die mir gesetzt wurden, immer akzeptiert und nicht versucht, sie »im Dienste der Wissenschaft« mithilfe von Tricks zu durchbrechen, zeigten sie mir doch, wie weit die Subjekte meiner Forschung mir vertrauten und wie weit die Fiktion meiner Aufnahme in ihre Kultur reichte (und wo sie endete).

      Drei Tage und drei Nächte dauerte das Ritual Sohro, in dem die Ältesten ihre Ritualkunst entfalteten. Ihr Ausdruckszauber riss mich mit und überzeugte mich. Mit geschickten Lichteffekten und einer raffinierten Lichtdramaturgie des Zeigens und Verhüllens, mit mehrstimmigen Gesängen, Tänzen, rituellen Handlungen und sehr viel Honigbier gelang es ihnen, eine dichte außeralltägliche Atmosphäre zu erschaffen, die mich tief beeindruckte.

      In ihren Ritualen stellten die Ältesten eine praktische Philosophie der Bewegung, des Übergangs, der Verkehrung und der Verwandlung dar. Die Wege, die in den Ritualen zwischen bewohnter Welt und Wildnis gegangen wurden, trennten und verbanden die entgegengesetzten Pole der räumlichen Ordnung und erzeugten Transformationen. Indem Personen und Gegenstände einem »verkehrten« Ort zugeführt wurden, veränderten sie sich; Frauen wurden Männer und Männer (sogar) menstruierende Frauen, Menschen wurden wilde Tiere und umgekehrt.

      In ihren Ritualen brachten sie zum Ausdruck, dass nichts ohne sein Gegenteil existiert. So steht die Wildnis, das eigene Andere, der bewohnten Welt gegenüber, das Tier – zum Beispiel der Affe – dem Menschen, der Mann der Frau und der Tod dem Leben. Doch ist das eine immer auch im anderen enthalten. Die Wildnis hat Orte der bewohnten Welt, die bewohnte Welt Orte der Wildnis; ein Stückchen Affe bleibt im Menschen erhalten und umgekehrt. Gegen die Übermacht des Todes bestanden die Ältesten auf einem komplementären Verhältnis von Leben und Tod. Sie domestizierten den Tod zum einen, indem sie ihn in das zyklische Altersklassensystem einbanden und damit die Rückkehr der Verstorbenen in die bewohnte Welt garantierten; und zum anderen, indem sie die männlichen und weiblichen Initianden in der liminalen Phase der Beschneidung und damit einem »kleinen Tod« auslieferten. Sie gaben dem Tod freiwillig ein Stück ihres Leibes und Lebens, um ihn in ein Tauschverhältnis zu zwingen und so seine Macht zu begrenzen.

      Am Anfang ihrer Welt stand nicht das Eigene, sondern das Fremde und Andere, der Affe aus der Wildnis, der in Ritualen zur sozialen Person gemacht wurde und Schmerz und Gewalt erleiden musste, die mit der Entfernung aus der Wildnis und der Domestizierung einhergehen. In den Ritualen des Lebenszyklus wiederholten die Initianden diese Rückkehr in die Wildnis immer wieder. Damit führten sie auch vor Augen, dass die Wiederholung nie wirklich gelingt, da die Welt, die unverändert bleiben sollte, doch Veränderungen unterworfen ist. Gleichzeitig aber erzeugten sie auch »einen Gewinn an Sein«10, denn erst in der Wiederholung wird die Wirklichkeit wirklich.

      In ihren Ritualen behandelten die Ältesten auch das Thema der Verkehrung der Perspektive, das mich bis heute umtreibt. Denn jedes Ritual des Lebenszyklus, das der Initiand durchlief, führte zu einer Verschiebung seiner Sicht auf das eigene Leben und Selbst sowie auf das der anderen. Tatsächlich demonstrierten die Ältesten mir in verdichteter Form, dass die Verkehrung der eigenen Perspektive durch die Anderer notwendiger Bestandteil der Menschwerdung ist.

      14

      Nachdem das »große« Ritual Sohro beendet war, sagte Sigriarok zu mir: »Jetzt bist du groß geworden«, und lachte. Und der Vater von Kipsang erklärte, das Ritual habe mir gutgetan, ich sei fetter geworden! Auch er lachte, und alle Anwesenden stimmten mit ein.

      Tatsächlich bin ich in meinem ganzen Leben nie so sehr ausgelacht worden wie in den Tugenbergen. Wie Clifford Geertz 1968 bemerkte, kann eine Feldforschung nur dann gelingen, wenn sich die Ethnografierten auf die Fiktion einlassen, dass die Ethnologin ein Mitglied ihrer Kultur ist – oder zumindest die beschränkte Mitgliedschaft anstrebt.11 Mit meiner Aufnahme in den Teriki-Clan und der Teilnahme an den öffentlichen Sequenzen des Rituals Sohro bewiesen die Ältesten mir, dass sie sich diese ethnografische Fiktion zu eigen gemacht hatten. Natürlich durchschauten sie sie und spielten, wie ich, mit ihr, nur besser. Der Preis, den ich dafür zahlte, war die Übernahme der Rolle eines lächerlichen Menschen, einer Närrin. Jede meiner Handlungen konnte zu Heiterkeitsausbrüchen führen. Manchmal verstand ich die Ursache, meistens allerdings blieb mir der Grund verborgen. Ich wusste nur, dass ich lächerlich war. Mit diesem Lachen schützten sich die Ältesten vor mir und führten mir vor Augen, dass ich weiterhin Eindringling und fremd war. Ihr Lachen markierte die Grenze, den Augenblick, an dem sie an der ethnografischen Fiktion nicht mehr festhalten konnten – wie in der Pause eines Spiels, in der die Spieler für einen Moment ihre Umwelt vergegenwärtigen, bevor sie weiterspielen.

      Ich kann nicht behaupten, dass dieses Lachen ohne Wirkung geblieben wäre. Auch wenn es nicht nur ein Auslachen war, sondern manchmal auch ein eher freundliches Anlachen, so trug ich, je länger es dauerte, sein Gewicht auf meinen Schultern. Es verunsicherte mich. Ich schaute öfter in den kleinen Spiegel, den ich aus Berlin mitgebracht hatte. Nach drei oder vier Wochen schnitt ich mir in den Finger, fiel hin oder rutschte einen Abhang hinunter. Dann wusste ich, dass es Zeit war für eine Pause, für einen Besuch meiner Freunde in Kabarnet oder Nairobi. Dort las ich meine Post, telefonierte mit meinem Mann und mit Freunden in Berlin, ging auf Partys und amüsierte mich. Nach einigen Tagen kehrte ich dann gestärkt und aufgerichtet in die Tugenberge zurück.

      Das Lachen der Ältesten eröffnete mir jedoch auch einen gesellschaftlichen Freiraum, den man nur einem Narren zugesteht. Es ermöglichte mir, zwischen den verschiedenen Kategorien der sozialen Person und der Geschlechter hin und her zu wechseln und sie mit Fragen zu belästigen, die sie sich selbst so nicht gestellt hätten.

      Nur wenn mein Ehemann mich besuchte, bestanden die Ältesten darauf, dass ich mich wie eine anständige Frau zu verhalten hätte, damit er sich nicht schämen müsse. Dann saß er zusammen mit anderen Männern im Schatten eines Mangobaumes und trank Bier, während ich zähneknirschend Frauenarbeiten verrichtete, Wasser holte, Wäsche wusch und kochte. Fuhr er wieder fort, wurde ich erneut geschlechtlich neutralisiert, gewann meine Freiheit zurück und durfte zwischen den verschiedenen Kategorien der Frauen- und Männerwelt hin und her wechseln.

      Aber

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