Menschwerdung eines Affen. Heike Behrend

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Menschwerdung eines Affen - Heike Behrend

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erzählte Sigriarok, und alle anwesenden Verwandten schüttelten sich vor Lachen.

      Ich erschreckte nicht nur Affen, sondern auch kleine Kinder. Mir fiel auf, dass sie bei meinem Anblick zu weinen und zu schreien begannen. Anfangs nahm ich das nicht persönlich, sondern sagte mir, die Kleinen hätten wohl Hunger oder Bauchweh. Doch dann erklärten mir zwei Frauen, ich sähe mit meinem wilden Haar – ich trug es lang und offen, eine Frisur, mit der ich eigentlich sehr zufrieden war – wie ein Monster aus der Wildnis aus, besonders wenn der Wind mein Haar bewege. Die Kinder, so sagten sie, schrien, weil mein Anblick so schrecklich sei. Ich musste feststellen, dass ich für die Bewohner der Tugenberge offensichtlich eine fremdkulturelle Zumutung war. Frauen trugen dort das Haar sehr kurz; allein in liminalen Phasen, während der Initiation oder nach einem Todesfall, ließen sie es wachsen.

      Die beiden Frauen setzten mich auf einen Stuhl, und unter allgemeinem Zuspruch und Gelächter flochten sie mein Haar in zwei feste Zöpfe. Ich erlitt diese Demontage, unterwarf mich dem mir fremden Schönheitsideal und versuchte von nun an, mein Haar zu bändigen. Und tatsächlich hörten die Kinder auf zu schreien, wenn sie mich sahen. Gleichzeitig erfuhr ich aber auch, dass einige Eltern mich zur Disziplinierung einsetzten. Wenn die Kinder etwas Verbotenes getan hatten, drohten sie: »Mama Henry kommt und frisst dich!« Ich diente also als kannibalischer Kinderschreck. In der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts, die ich verschlungen hatte, beschrieben westliche Reisende Afrikaner mit Vorliebe als Kannibalen, die andere Afrikaner, aber auch Europäer, gerne in großen Töpfen kochten, um sie dann zu verspeisen. Nun wurde ich zur Belustigung der Erwachsenen und zum Schrecken der Kinder zu einem solchen Kannibalen erklärt. Ich sah mich gefangen in der komplizierten Wechselseitigkeit der Perspektiven und den sich ins Unendliche spiegelnden Bildern von Alterität.

      Ich musste auch zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur mein Haar, sondern meine ganze Person als hässlich empfunden wurde. Aus Sicht der meisten Bewohner der Tugenberge war ich viel zu dünn, mir fehlten die körperlichen Rundungen, die eine Frau schön und begehrenswert machen. Weil sich dort Reichtum und Wohlbefinden direkt in Fettleibigkeit und Körperfülle manifestieren – ein Ideal, das aufgrund von Armut und Hunger nur selten erreicht wurde –, erschien ich als armseliges, bedauernswertes Geschöpf. Auch war meine Nase zu groß. Meine Haut, so erklärte mir Kopcherutoi, sei viel zu durchsichtig und lasse nicht nur die Adern sehen, in denen das Blut fließt, sondern auch das rohe Fleisch. Sie schüttelte sich und lachte. Ich war offensichtlich auf eine obszöne Weise transparent, nackter als nackt und ließ Dinge sehen, die besser verhüllt blieben. Auch meine sich ändernde Hautfarbe, die nach einem Sonnenbrand von knallrot zu braunrot und dann zu bräunlich wechselte, gab Anlass zu Kommentaren und Witzen, die meine Eitelkeit verletzten und mein Selbstbild nicht unbedingt stärkten. Überhaupt verfügten meine sehr genau hinsehenden Beobachter über einen erstaunlichen Interpretationsreichtum, der den meinen bei Weitem übertraf und (leider) mit ihm nicht deckungsgleich war. Doch gerade weil ich ihren ästhetischen Vorstellungen so wenig entsprach und ihnen – zumindest anfangs – so fremd war, griffen sie auf ihre Regeln der Höflichkeit und Gastfreundschaft zurück, die mir über lange Zeiträume hinweg zu vergessen gestatteten, wie sie mich sahen. Ihre Wahrheitsliebe erlaubte ihnen nicht, mir (falsche) Komplimente zu machen. Aber wenn es genug zu essen gab, schoben mir die Frauen manchmal kleine Fleischstücke extra zu, damit ich »fett und ansehnlich« würde.

      Obwohl ich gegen das Bild, das sie von mir hatten, letztlich nicht ankam, gewöhnten sich meine Verwandten, Nachbarn und vor allem die Kinder im Verlauf meiner Aufenthalte langsam an mich – und ich mich an sie. Ich passte mich an, veränderte mich in ihre Richtung und verlor wenigstens teilweise meinen exotischen Ausstellungswert. Meine vorsichtigen Vorstöße, mein Selbstbild ein Stück weit zurückzugewinnen, indem ich zum Beispiel das Haar wieder ein wenig offener trug und auf die Zöpfe verzichtete, wurden kommentarlos hingenommen.

      10

      Am Berliner Institut für Ethnologie hatte ich mit Adornos Kritik der empirischen Sozialforschung gelernt, der quantitativen Forschung grundsätzlich zu misstrauen. Ich stellte also den Ältesten, nachdem ich die wichtigsten Themen gefunden zu haben meinte, vor allem qualitative Fragen, und erst später begann ich, auch quantitativ zu arbeiten. Dass dies die passende Vorgehensweise war, wurde mir klar, als ich versuchte, die Kolonialzeit aus der Perspektive der Ältesten zu rekonstruieren. Denn wie mir Kipton erzählte, hatten die Europäer ihre Herrschaft mit der Forderung etabliert, dass die Bewohner der Tugenberge für »die Regierung« zu zahlen hätten. Regierungsbeamte oder die von ihnen eingesetzten Häuptlinge begannen, Rinder und Ziegen zu zählen. Sie zählten auch Häuser, Kinder und Erwachsene. Danach mussten die Gezählten Steuern zahlen, zuerst in Form von Naturalien, später in Form von Geld. Auch andere Älteste erzählten, dass das Gezähltwerden mit Zwangsabgaben und kolonialer Kontrolle einherging. Vielleicht als Reaktion darauf, vielleicht aber auch als bereits althergebrachtes Verbot versuchten die Bewohner der Tugenberge jegliche Form von Quantifizierung zu vermeiden. Zwar kannten alle die Anzahl der eigenen Ziegen, Rinder und natürlich auch der Kinder ganz genau, aber darüber zu sprechen oder sogar die Zahl zu nennen, galt nicht nur als unhöflich, sondern war geradezu eine Herausforderung, aus Neid dem Reicheren Schaden zuzufügen. Hätte ich also angefangen, die Häuser, Tiere und ich weiß nicht was zu zählen, dann hätte ich mich sehr direkt in die Tradition kolonialer Herrschaftspraktiken gestellt. Die Erhebung quantitativer Daten wäre auf Kosten jener Versenkung ins Detail erfolgt, die gerade den Reichtum und die Subversion ethnografischen Wissens ausmacht.

      11

      Zum ethnografischen Unternehmen gehört wesentlich die Übersetzung. Sie stellte sich als ein überaus schwieriger Prozess heraus, nicht nur für mich, sondern für alle Beteiligten. Unsere Not war groß. Besonders anfangs wurde das Übersetzen zu einem Übersetzen an ein anderes Ufer, das kaum bekannt war. Es gab Irrfahrten und mitunter auch Schiffbruch.8 Manchmal wurde mir angesichts der unumkehrbaren Fremdheit zwischen den Sprachen schwindelig. Bevor ich Naftali Kipsang kennenlernte, hatte ich bereits in Kabartonjo mit einem jungen Mann als Übersetzer gearbeitet, der recht gut Englisch sprach und die Grundschule besucht hatte. Er war sehr freundlich und höflich und wollte mir vor allem gefallen. Seine Vorstellung von Übersetzung bestand darin, mir mehr oder weniger unabhängig von dem, was unser Gesprächspartner sagte, zu erzählen, wovon er meinte, es erfreue mich. Ich versuchte ihm zu erklären, dass es darum ging, möglichst genau – Wort für Wort – das vom Gesprächspartner Gesagte ins Englische zu übertragen, unabhängig davon, ob es mir gefiel oder nicht. Er verstand und war enttäuscht. Kipsang dagegen las englische Literatur und hatte sich mit dem Problem der Übersetzung durchaus beschäftigt. Er wusste auch, dass das Missverständnis wesentlich dazugehört. Meine Fragen verstand er auf seine Weise; manchmal übersetzte er sie so, dass die Antwort des Ältesten in nichts daran anknüpfte. Oder mein Gesprächspartner missverstand Kipsangs Übersetzung meiner Frage und antwortete entsprechend erratisch. Die Kette der Übersetzungen – der Fragen wie der Antworten – erinnerte mich oft an »Stille Post«, ein Spiel, das ich als Kind gern gespielt hatte. Es dauerte seine Zeit, bis wir in konkreten Sprachsituationen und Kontexten durch wechselseitiges Nachfragen, lange Diskussionen, Einübung und Wiederholung einen gemeinsamen Wortschatz aufgebaut hatten, der die Basis für neue Themen lieferte. Doch gerade die vielfältigen Missverständnisse ließen manchmal neue, unvorhersehbare Themen und Fragen aufscheinen, an die ich nie gedacht und die ich deshalb auch nicht hätte erfragen können. Tatsächlich ging es mir vor allem darum, vor dem Hintergrund von Benjamins Theorie der Übersetzung die fremde Sprache und ihre Übersetzung als eine Form von Produktion zu begreifen, die die Fremdheit nicht völlig auflöst, sondern als eine Art Ergänzung und Bereicherung in die eigene Sprache überführt, die ihrerseits verfremdet wird. Ich wollte also eine »Tugenisierung« und damit eine Bereicherung und Erweiterung der deutschen Sprache erreichen.

      12

      Um die richtigen Fragen zu finden, kam mir manchmal auch der Zufall zu Hilfe. So erfuhr ich anlässlich eines Streits von der zyklischen Geschichtsvorstellung der Ältesten, die sowohl ihre Lebenszeit als auch ihre

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