Erinnerung an meine Jahre in Berlin. Sammy Gronemann

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Erinnerung an meine Jahre in Berlin - Sammy Gronemann

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vielleicht nichts charakteristischer für den Zauber, der von ihm ausging, als daß ich selbst, der ich ihn doch unzählige Male in Versammlungen gehört hatte, wenn es mir nur irgend möglich war, zu Strafverhandlungen ging, in denen er verteidigte. Fast immer geschah es schon kurz nach Beginn der Verhandlung, daß er der leuchtende Mittelpunkt des forensischen Theaters wurde. Die Art, wie er ein Zeugenverhör zu führen wußte, und wie er in einem Schlußplädoyer plan- und lichtvoll zu plädieren verstand, war einfach unübertrefflich, und auch abgebrühte, pedantische Richter konnten sich seiner Redekunst und der Logik seiner Darlegung nicht entziehen. Mehrfach war es vor­gekommen, daß nach seinem Plädoyer der Verteidiger der Anklagebehörde, der vorher den Schuldspruch beantragt hatte, sich erhob und erklärte, die Darlegungen des Verteidigers hätten ihn überzeugt, er beantrage auch seinerseits Freispruch. Ich möchte eine groteske Äußerung anführen, die vielleicht in ihrer Ursprünglichkeit am besten die Wirkung zeigt, die von ihm ausging. Da war der Gentleman-Einbrecher S., der u. a. den ziemlich berühmt gewordenen Juwelenraub in der Potsdamer Straße von seinem Büro aus dirigiert hatte, der nach Klees Plä­doyer ihm sagte: „Dr. Klee, ich weiß, ich wandere jetzt auf Jahre ins Zuchthaus. Aber es lohnt sich, weil ich dafür Ihre Rede gehört habe.“ – Für seine Geis­tesgegenwart und Schlagfertigkeit nur ein Beispiel: Da stand ein alter Jude vor Gericht, der beschuldigt war, sich an einem kleinen Schulmädchen unsittlich vergangen zu haben. Der Mann war ganz bestimmt unschuldig. Aber nichts ist gefährlicher als die Aussagen von Kindern vor Gericht. Von alten Weibern beiderlei Geschlechts monatelang durch Suggestiv-Fragen beeinflußt, sagt das Kind schließlich im besten Glauben vor Gericht aus, und niemand zweifelt an der Wahrheit des unschuldigen Engels. (Ärzte und Schullehrer wissen darüber zu berichten.) – Die Sache sah recht trübe aus. Doch der Vorsitzende ließ zu Beginn der Vernehmung das Kind an den Richtertisch treten, gab ihm freundlich die Hand und fragte dann, auf den Angeklagten zeigend: „Nun, mein Kind, kennst Du diesen Mann?“ – Da sprang Klee, der seinen Platz vor der Anklagebank hatte, dazwischen und sagte freundlich: „Nicht wahr, mein Kind, Du kennst mich?“, worauf das Kind treuherzig mit „ja“ antwortete. Der Staatsanwalt tobte, aber damit war der Angeklagte gerettet. – Beiläufig, der berühmte Strafrechtslehrer Professor von Liszt pflegte in seinem Kolleg diese Geschichte als Beispiel der Geistesgegenwart seinen Hörern zu erzählen.

      Klee war sich natürlich seiner Wirkung bewußt, und bisweilen machte er gewagte und amüsante Experimente, wenn eine Verhandlung gar zu trocken war. Ich erinnere mich, daß er als Verteidiger in einer Schwurgerichtsverhandlung, als das Redegeplänkel gar zu langweilig dahinfloß, mir ins Ohr flüsterte: „Es ist zu langweilig. Soll ich drüben die Kerls (nämlich die Herren Geschworenen) mal weinen lassen?“ Und siehe da, er erhob sich, – und nach wenigen Augenblicken wurden drüben die Schnupftücher gezogen und geräuschvoll die Nasen geschneuzt.

      III.

      Ich war also wieder in Berlin, und damit auch im zionistischen Milieu, nicht mehr vereinsamt in übelwollender Umgebung, sondern ich fand hier einen großen Kreis von Gesinnungsfreunden. Das Zentrum zionistischen Lebens war damals das „Café Monopol“ am Bahnhof Friedrichstraße und blieb es auch noch lange Zeit, bis später nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zuge nach Westen folgend, auch die sonst nach Osten tendierden Zionisten zum Kurfürstendamm – erst in das alte „Café des Westens“ und dann in das „Romanische Café“ – übersiedelten. Damals aber wußte jeder von auswärts kommende Zionist, daß, wenn er seine Schritte ins „Monopol“ lenkte, er zu jeder Tageszeit dort Gesinnungsfreunde traf und alles Neue aus der zionistischen Welt und allen zionistischen Klatsch erfahren konnte. Das gelesenste und begehrteste Blatt war dort die gelbe „Welt“, das offizielle zionis­tische Organ. (Franz, der Oberkellner, der neben dem schönen Eduard die Gäste betreute, später die leitende Seele im „Romanischen Café“, pflegte zu fragen, wenn die „Welt“ begehrt wurde: „Die Welt am Sabbat“ oder die „Welt am Montag“? – In jedem Falle war es, „nicht die Welt, in der man sich langweilt“. Damals thronte dort als „ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht“ die gewichtige Gestalt von Bertha Meierowicz, der Administratorin der „Jüdischen Rundschau“. (Böswillige behaupteten, daß der Name für das große deutsche Geschütz, die „Dicke Bertha“ im Hinblick auf sie gewählt wäre.)

      Die zionistische Vereinigung für Deutschland entwickelte sich hauptsächlich infolge der organisatorischen Tüchtigkeit von Arthur Hantke, der Bodenheimer im Amte folgte, als der Sitz der Organisation nach Berlin verlegt wurde. Die Versammlungen der Berliner Zionistischen Vereinigung wurden immer mehr Ereignisse im jüdischen Leben Berlins, was zum großen Teil das Verdienst von M. A. Klausner war, der unermüdlich in allen größeren Versammlungen als Gegenredner auftrat.

      Eine besonderes charakteristische Figur unter den deutschen Zionisten war der Bankier Hans Gidon Heymann, eine urwüchsige Persönlichkeit, in seinem Auftreten eher an einen ostelbischen Junker erinnernd. Seine geradezugehende ehr­liche Art machte ihn ebenso sympathisch, wie seine mimosenhafte Empfindlichkeit und seine brüske Art der Reaktion gegnerischer Ansicht gegen­über die Arbeit mit ihm erschwerte. Es ging kaum eine Tagung vorüber, in der er nicht an die Rampe trat, um mit mühsam unter­drückter Erregung, aber in feierlicher Betonung jedes Wortes, die Erklärung abzugeben: „Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit diesem Moment aus der Zionistischen Organisation für Deutschland austrete.“ – Man nahm diese Mitteilung stets mit Fassung entgegen, denn man wußte aus Erfahrung, daß er schon wenige Minuten danach, als ob nicht geschehen wäre, sich eifrig wie je an der Arbeit beteiligen würde.

      Eine Zeitlang habe ich als Vorsitzender der Ortsgruppe Berlin die Versammlungen geleitet. Ich muß gestehen, daß ich gerade an der Leitung stürmischer Versammlungen ein großes Vergnügen wohl mehr sportlicher Art empfand. Es ist wohl die Leitung einer Versammlung, in der sich widerstrebende Elemente befinden, in gewissem Sinne mit der Leistung eines Orchesterdirigenten zu vergleichen, nur muß eben der Präsident verstehen, auch die opponierenden Elemente, die Gegenreden sowohl wie die Zwischenrufe und etwaigen Radautöne doch dem Ensemble sich eingliedern zu lassen. Es gab interessante Gegner genug, Männer wie Motzkin, Schmarjahu Levin, Martin Buber, Berthold Feiwel, neben den eingesessenen Berliner Stars Klee, Loewe, Friedemann. Ein besonderes Vergnügen machte es mir, wenn jener vielfach erwähnte Gegner unserer Sache, M. A. Klausner, auf der Tribüne erschien und zumal, wenn es ein Rededuell zwischen ihm und Heinrich Loewe gab. Man erzählt, – ich erinnere mich persönlich nicht an diesen Vorfall, daß Klausner einmal Loewe persönlich angriff – etwa mit den Worten: Es ist ein Mann im Saal, dessen Existenz ich für das größte Unglück für uns deutsche Juden halte, – und daß Loewe schlagfertig dazwischen rief: „Sie vergessen sich!“ – Als ich Klausner einmal wegen seiner Ausfälle zur Ordnung zu rufen gezwungen war, erhielt ich andern Tags von ihm einen Brief, in dem er sich wegen seines Verhaltens entschuldigte und mich sogar ob meiner korrekten Art der Versammlungsleitung bekomplimentierte, damit freilich eine Werbung für seine Organisation verbindend. – Auch in den internen Versammlungen gab es interessante Redeschlachten. In jenen Jahren war der „Kulturkampf“ noch nicht vorbei, dessen Auftakt auf dem V. Kongreß ich [im ersten Band der Erinnerungen] geschildert habe. Von ortho­doxer Seite wurde insbesondere eine heftige Polemik gegen die Entwicklung des Schulwesens in Palästina geführt. Insbesondere dagegen, daß an dem dortigen Gymnasium Bibelkritik getrie­ben wurde. In einer solchen Versammlung trat nach den konservativen Rednern, deren Hauptver­treter Hermann Struck war, auch Adolf Friedemann als Beschützer der religiösen Tradition auf. Nun kam Adolf Friedemann aus den Kreisen der Berliner Reform und war nichts weniger als gesetzestreu. Gerade aber zurück von einer Reise nach Palästina, die er in Gesellschaft von Hermann Struck gemacht hatte, stand er wohl noch unter dem Einfluß seines Freundes. Levin erwiderte. Nachdem er mit Struck sich auseinandergesetzt hatte, wandte er sich der Abrechnung mit Friedemann zu, indem er nach seiner Art eine Geschichte erzählte: „Vor einiger Zeit“, sagte er, „habe ich auf einem Rummelplatz in der Elsässer Straße eine Bude besucht, in der Neger wilde Schwerttänze aufführten. Als ich kürzlich vorüberkam, war das früher so besuchte Etablissement leer. Ich fragte den traurig vor seiner Bude stehenden Besitzer, woher das komme, worauf dieser antwortete: ‚Ja, in der Lothringerstraße hat sich eine Konkurrenz aufgemacht. Die Neger dort schreien

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