Erinnerung an meine Jahre in Berlin. Sammy Gronemann

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Erinnerung an meine Jahre in Berlin - Sammy Gronemann

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als der Exponent seiner Gegner. Die Rededuelle zwischen diesen beiden hervorragenden Persönlichkeiten bildeten stets den Höhepunkt der Debat­ten, und es war vom rein ästhetischen Standpunkte aus ein Genuß, diesen Diskussionen zu folgen. Motzkin, schwer und gewichtig, formulierte in streng logischer, klarer und wuchtiger Art seinen Standpunkt, keinen Zoll breit von seinem Posten weichend, während Weizmann, gleich einem brillanten Florettfechter mit spitzen Pointen jede Schwäche und Blöße des Gegners erspähend, blitzschnell zuzustoßen wußte. Es waren zwei grundverschiedene Fechter, die sich gegenüber standen, und jeder in seiner Art vollendet. Wir, die Anhänger Wolffsohns, waren aber ziemlich kleinlaut gegenüber der geräuschvollen Agitation gegen ihn, nachdem wir wußten, daß auch in dem engen Kreise um ihn, um den Präsidenten in Köln viele seiner Gegner saßen. Er war wirklich auf seinem Posten recht vereinsamt. Bei seiner schon geschilderten Einstellung, der Liebe zur praktischen Palästina-Arbeit und verurteilt zu rein politischer Tätigkeit gemeinsam mit Mitarbeitern, die wenig Verständnis für die besondere Situation zeigten, kam es so, daß er, summarisch gesprochen, seine Feinde liebte und seinen Freunden mißtraute. Er sah sich oft vergeblich nach Beistand um. Seine besten Freunde, Kazenelson in Riga und Eduard Leschinsky in Berlin, konnten nur wenig dazu tun, um seinen Mut aufrechtzuerhalten. Allenfalls war ihm Jacobus Kann eine Stütze.

      Mitte 1909 begann der Kongreß. Wer nur irgendwie konnte, hatte sich in Scheveningen einquartiert und fuhr morgens durch den herrlichen Bosch zum Kongreßgebäude. Wolffsohn ärgerte sich nicht wenig, als der Mainzer „Israelit“ ihn hämisch anklagte, daß er am Sabbat in der Haager Synagoge erschienen war, voraussetzend nämlich, daß er sicher den Sabbat durch Fahren mit der Straßenbahn entweiht hatte. Wolffsohn hatte aber, taktvoll genug, den Weg zu Fuß zurückgelegt. Man bemerkte anfangs mit großer Freude, daß eine große Anzahl stattlicher Gebäude unsere, die blau-weiße Fahne gehißt hatten. Die Freude wurde aber einigermaßen gedämpft, als es sich herausstellte, daß es die Häuser des Deli-Klubs und anderer Spielklubs waren, welche sich wohl von dem Zustrom vieler Gäste große Einnahmen erwarteten. Die Delegierten wurden mit Einladungen von diesen Klubs überhäuft, aber ich glaube kaum, daß sie auf ihre Rechnung gekommen sind. Es war doch charakteristisch genug, daß in der Umgebung unserer Kongresse man nirgends auf Kartenspieler traf, obwohl doch gerade bei den russischen Juden das Kartenspiel eine sehr beliebte Unterhaltung ist. Ich selbst liebte Scheveningen sehr und verbrachte manche Feriensommer da, wobei ich auch dann jenen Deli-Klub gern besuchte, da ich, wie ich gestehen muß, die Roulette sehr liebe, die übrigens meine Liebe erwidert, da ich fast immer mit Erfolg abschneide, da ich rechtzeitig im Gewinn aufzuhören verstehe. Aber diesmal mußte ich mir das Vergnügen versagen.

      Die Eröffnungssitzungen waren besonders eindrucksvoll. Neben dem Vizepräsidenten des Hohen Rats der Niederlande und Leiter der jüdischen Gemeinde im Haag, de Pinto, der den Kongreß mit einer freundlichen, wenn auch etwas zurückhaltenden Rede begrüßte, war auch der große Maler Josef Israels anwesend. Max Nordaus diesmalige Rede gehört zu den glänzendsten dieses wundervollen Sprechers. Sein Appell an die Gerechtigkeit rief einen unbeschreiblichen Enthusiasmus hervor, dann begannen die sachlichen Debatten. Dem Kongreßstenogramm kann man nicht entnehmen, welche Kämpfe sich hinter den Kulissen abspielten, und wie geschickt es Wolffsohn verstand, die verschiedenen Parteien gegeneinander auszuspielen, so daß er schließlich doch mit einer gewaltigen Majorität gegen nur 59 Stimmen wiedergewählt wurde. Er nahm die Wahl mit den Worten an: „Ich werde mich bemühen, beim nächsten Kongreß auch diese Stimmen für mich zu haben.“

      Eine der Hauptaufgaben des Kongresses war die Reform der Organisation. Ich gehörte der Organisationskommission an und fungierte als Schriftführer, so daß ich neben Dr. Max Nordau, welcher die Sitzungen dieser Kommission leitete, arbeitete, und ich konnte feststellen, mit welchem Eifer und welcher Gewissenhaftigkeit Nordau sich diesen Arbeiten widmete. Er war stets pünktlich zu Beginn jeder Sitzung zur Stelle und hat bei den tagelangen Arbeiten nie ausgesetzt. Alle seine glänzende Rhetorik und Schlagfertigkeit zeigte er dort in dem kleinen Kreise genauso wie vor der Öffentlichkeit, und er widmete sich dieser im Grunde langweiligen Paragraphenarbeit mit äußerster Hingebung. Ich hebe das hervor, weil man vielfach diesen Mann ganz anders einschätzte, so als ob er nur als Heldentenor sich vor der Öffentlichkeit zu produzieren geneigt war. Hier aber sah man, wie er wirklich um der Sache willen sich Arbeiten hingab, die doch schließlich weit unter seinem Niveau lagen. Referent vor dem Kongreß war eigentlich Arthur Hantke, aber im letzten Moment mußte ich, da Hantke unpäßlich war, das Referat übernehmen. Ich bat gleich zu Beginn meines Referates um Nachsicht, da ich die Sache erst in die Hand bekommen habe, und der Schriftführer eine unglaublich schlechte Handschrift habe, ohne daß ich für nötig fand mitzuteilen, daß ich eben dieser Schriftführer war. – Auf jenem Kongreß wurde dann die Grundlage jener Föderationsbildung gelegt, über deren Nutzen man verschiedener Meinung sein kann. Ich selbst konnte ja als Referent meine persön­liche Meinung nicht wohl zum Ausdruck bringen, und als der Präsident mich daraufhin apostrophierte, antwortete ich mit den Worten des Obristen Wrangel im „Wallenstein“: „Ich hab’ hier bloß ein Amt und keine Meinung.“ Wenn ich nicht irre, war es auf diesem Kongreß, wo folgende komische Episode geschah: Dr. Posmanik traf mich in einem halbdunkeln Seitengang und, mich mit Dr. Hantke verwechselnd, bat er mich um eine freimütige Äußerung über die von ihm eben gehaltene Rede. Ich hielt mit meiner Meinung denn auch nicht zurück und sagte sie ihm so gründlich, daß er, wie ich glaube, mit Hantke monatelang kein Wort sprach.

      Während jenes Kongresses wurde auch der „Kulturverband jüdischer Frauen für Palästina“ gegründet, der dann Jahre hindurch unter der Leitung von Betty Leschinsky und meiner Frau gewirkt hat, bis sich dann später daraus die „WIZO“ entwik­elte. Dieser Kulturverband hat Jahre hindurch ausgezeichnete praktische Arbeit geleistet. Die von ihm ins Leben gerufene palästinensische Spitzenindustrie hat für unser Werk viele Freunde gewonnen. Die Erzeugnisse wurden überall hin versandt und fanden viel Beifall. Es war kurios zu sehen, wie so viele jüdische Frauen, denen man vergebens von all dem Großen erzählte, was in Palästina geschah, wenn ihnen ein kleines Spitzentüchlein gezeigt wurde, enthusiasmiert wurden. Das war eigentlich ein Beweis dafür, wie wirklich irgendwelche praktischen Erfolge, etwas, was man zeigen kann, durchschlagender wirken als die schönsten Theorien.

      Auf diesem Kongreß wurde auch auf Antrag von Nahum Sokolow die hebräische Sprache als offizielle Sprache des Kongresses und der Bewegung anerkannt, wenn auch nur unter Widerständen. Bemerkenswert ist, daß Sokolow bei anderer Gelegenheit auf dem Kongreß, als man von ihm verlangte, er solle hebräisch und nicht deutsch reden, sich dagegen erklärte, mit der hebräischen Sprache zu demonstrieren. Er sagte, die Zeiten seien vorüber, wo man das für gut gehalten hätte.

      Der Kongreß endete, wie gesagt, mit einem Sieg Wolffsohns über die Opposition, und Wolffsohn freute sich beinahe kindlich über seinen Erfolg. Der wurde dann auch ausgiebig gefeiert. Wolffsohn und ein Teil der Delegierten blieben noch einige Wochen in Scheveningen, und ich kann mich kaum an angenehmere Wochen als die, die wir dort verlebten, erinnern. In dem jüdischen Restaurant Keyl war eine vergnügte Tafelrunde täglich vereint, zu der neben dem Ehepaar Wolffsohn die Leschinskys und Sokolow, Alexander Marmorek, Schmarjahu Levin, der Maler Pilichowski und einige holländische Freunde gehörten. Wir speisten in der Glasveranda, und Neugierige drückten sich ihre Nasen an den Fensterscheiben platt, um den jüdischen Hofstaat anzustaunen. Levin, Pilichowski und ich aber heckten täglich neue übermütige Streiche aus. Wenn wir abends in irgendeinem Caféhaus saßen, zahlte immer Sokolow, und dann wurde die Summe repartiert. Wir verstanden es aber stets, ihn durch Zwischenbemerkungen so konfus zu machen, daß er die Rechnung unzählige Mal von neuem beginnen mußte, was er dann schmunzelnd und in guter Laune auch duldete. Vor allem aber wurde damals von Pilichowski, Levin und mir mit großem Erfolge die sogenannte „Witz-Obstruktion“ betrieben, eine Methode, um unerträgliche Anekdotenerzähler mundtot zu machen. Ich werde mich schwer hüten, das Rezept zu verraten.

      Wolffsohn spielte täglich mit Josef Israels einige Schachpartien. Beide taten sich auf ihre Meisterschaft viel zu Gute, spielten aber in Wirklichkeit sehr mäßig. Es ist seltsam zu sehen, wie so viele bedeutende Menschen viel mehr Gewicht auf ihr Hobby oder auf irgendeine Nebenbeschäftigung legen, selbst wenn sie darin nicht Besonderes

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