Maigret macht Ferien. Georges Simenon

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Maigret macht Ferien - Georges  Simenon Georges Simenon

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akute Blinddarmentzündung, die sofort operiert werden müsse, sonst drohe ein Durchbruch.

      Während des Eingriffs ging er mit langen Schritten den Gang auf und ab, zusammen mit einem jungen Mann, der auf die Entbindung seiner Frau wartete und sich die Fingernägel blutig biss.

      So war er zu Monsieur 6 geworden.

      Sechs Tage reichen aus, um neue Gewohnheiten anzunehmen. Man lernt, geräuschlos zu gehen, Schwester Aurélie ein zuckersüßes Lächeln zu schenken, und auch Schwester Marie des Anges. Man ringt sich sogar ein Lächeln für die unausstehliche Mademoiselle Rinquet ab.

      Woraufhin jemand die Gelegenheit nutzt, um einem einen albernen Zettel zuzustecken.

      Wer lag überhaupt auf Nummer 15? Madame Maigret wusste es bestimmt. Sie alle kannten einander, ohne sich je zu Gesicht zu bekommen, wussten über fremde Angelegenheiten Bescheid. Manchmal erzählte sie ihrem Mann davon, diskret und mit gedämpfter Stimme wie in der Kirche.

      »Die Dame auf Nummer 11 ist sehr nett und so lieb … Und dabei … Die Ärmste … Komm ein wenig näher …«

      Und rasch murmelte sie:

      »Brustkrebs …«

      Dann warf sie einen Blick auf Mademoiselle Rinquet und senkte die Lider, um anzudeuten, dass auch sie Krebs hatte.

      »Wenn du die hübsche junge Frau gesehen hättest, die man in den Saal gebracht hat …«

      Der Saal war das große Mehrbettzimmer. Auch in der Klinik gab es drei Klassen, wie in den Zügen: Der Saal entsprach der dritten Klasse, die Zimmer mit zwei Betten der zweiten, und an der Spitze waren die Einzelzimmer.

      Wozu sich den Kopf zerbrechen? Das alles war doch lächerlich. In der Klinik ging es schon etwas albern zu. Verhielten sich die Schwestern nicht geradezu kindisch?

      Und die Patienten erst, mit ihren Eifersüchteleien und ihrer Geheimniskrämerei und der grenzenlosen Gier nach Süßigkeiten, immer die Ohren gespitzt, ob nicht jemand durch den Gang kam.

      Aus Barmherzigkeit …

      Durch diese beiden Wörter hatte sich die Frau verraten. Warum sollte die Patientin auf Nummer 15 ihn brauchen? Das konnte er doch nicht ernst nehmen, er würde sich keinesfalls an Schwester Aurélie wenden und sie um die Erlaubnis bitten, jemanden zu besuchen, dessen Namen er nicht einmal kannte.

      Die Sonne schien unerträglich heiß auf den Strand und die Stadt. Manchmal flirrte die Luft, und wenn man plötzlich in den Schatten trat, sah man eine ganze Weile nichts als Rot.

      Nun denn! Maigret hatte seinen Mittagsschlaf beendet. Er faltete die Zeitung zusammen, warf das Jackett über die Schulter, zündete die Pfeife an und ging hinunter.

      »Bis nachher, Herr Kommissar …«

      Ein Gruß folgt auf den nächsten wie Segenssprüche, den lieben langen Tag. Alle waren sie freundlich und lächelten. Es ging ihm allmählich auf die Nerven, und er wurde mürrisch. Ein tüchtiger Platzregen, ein Streit mit jemandem, der darauf aus war, das hätte ihn erleichtert.

      Das grüne Tor, der Glockenschlag um drei. Er brachte es nicht einmal fertig, die Uhr stecken zu lassen!

      »Guten Tag, Schwester …«

      Er hätte ebenso gut noch einen Knicks machen können. Auf zur Nächsten, Schwester Marie des Anges, die ihn bereits auf der Treppe erwartete.

      »Guten Tag, Schwester …«

      Und Monsieur 6 trat auf Zehenspitzen in das Zimmer von Madame Maigret.

      »Wie geht es dir?«

      Sie bemühte sich zu lächeln.

      »Du hättest mir keine Orangen mitbringen müssen. Ich habe noch welche …«

      »Du kennst doch sicher alle Patienten hier …«

      Warum gab sie ihm ein Zeichen? Er drehte sich zu dem Bett von Mademoiselle Rinquet. Die alte Dame hatte ihren Kopf im Kissen vergraben und lag zur Wand gekehrt.

      Er flüsterte:

      »Geht es ihr nicht gut?«

      »Es geht nicht um sie … Pst … Komm ein wenig näher.«

      Eine Tuschelei wie in einem Mädchenpensionat.

      »Heute Nacht ist jemand gestorben …«

      Sie achtete auf Mademoiselle Rinquet, deren Bettdecke sich bewegte.

      »Es war grauenhaft, man konnte ihre Schreie bis hierher hören. Und dann ist die Familie gekommen. Es hat über drei Stunden gedauert … Ein einziges Hin und Her. Wir haben uns fürchterlich erschreckt … Vor allem, als der Pfarrer zur Letzten Ölung kam. Sie hatten zwar das Licht im Flur gelöscht, aber alle wussten Bescheid …«

      Fast gehaucht fügte Madame Maigret hinzu, wobei sie auf ihre Zimmernachbarin deutete:

      »Sie glaubt, sie sei die Nächste …«

      Maigret wusste nicht, was er sagen sollte. Er stand da, schwerfällig und ungelenk, um ihn herum eine fremde Welt.

      »Es war eine junge Frau. Eine sehr hübsche, heißt es. Zimmer 15 …«

      Sie fragte sich, warum er seine dichten Augenbrauen hochzog und unwillkürlich eine Pfeife aus der Tasche zog, die er dann aber doch nicht stopfte.

      »Bist du sicher, dass es Zimmer 15 war?«

      »Aber ja … Warum denn?«

      »Einfach so.«

      Er setzte sich. Es hatte keinen Sinn, Madame Maigret von dem Zettel zu erzählen, sie würde sich sofort aufregen.

      »Was hast du gegessen?«

      Mademoiselle Rinquet hatte angefangen zu weinen. Ihr Gesicht war nicht zu sehen, nur die spärlichen Haare auf dem Kopfkissen, aber die Decke bewegte sich rhythmisch, zuckend.

      »Du solltest nicht allzu lang bleiben …«

      Ganz offensichtlich hatte er mit seiner Rossnatur in diesem Haus der Kranken und Ordensschwestern, die auf leisen Sohlen herumhuschten, nichts verloren.

      Bevor er ging, fragte er:

      »Weißt du, wie sie hieß?«

      »Wer?«

      »Die junge Frau von Zimmer 15.«

      »Hélène Godreau.«

      Jetzt erst bemerkte er, dass Schwester Marie des Anges gerötete Augen hatte und ihm böse zu sein schien. Hatte sie ihm den Zettel zugesteckt?

      Er fühlte sich außerstande, sie danach zu fragen. Alles in diesem Haus unterschied sich so entschieden von der Umgebung, in der er sich sonst aufhielt, den staubigen Fluren im Polizeipräsidium, den Leuten, denen er in seinem Büro einen Platz anwies, ihm gegenüber, und denen er lange in

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