Maigret macht Ferien. Georges Simenon

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Maigret macht Ferien - Georges  Simenon Georges Simenon

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ging ihn das gar nichts an. Eine junge Frau war gestorben. Na und? Jemand hatte ihm einen Zettel in die Tasche gesteckt, mit einer Nachricht, die nichts besagte …

      Im Grunde verbrämte er seine Tage damit, dass er im Kreis lief wie ein Zirkuspferd. Genau jetzt war es zum Beispiel höchste Zeit für die Brasserie du Remblai. Als hätte er dort eine wichtige Verabredung.

      Der Saal war geräumig und hell. An den Tischen vor den breiten Fenstern, die auf den Strand und das Meer gingen, saßen Gäste, die er mit keinem Blick würdigte; Unbekannte, Sommerfrischler, die nur gelegentlich hierherkamen und auch keine Stammplätze hatten.

      Im hinteren Bereich, in einer großen Ecke hinter dem Billardtisch, war es ganz anders: An zwei Tischen saßen dort schweigsame Männer mit ernsthafter Miene, deren kleinste Gesten den aufmerksamen Kellner in Bewegung setzten.

      Das waren die Honoratioren, die Reichen und Alten. Einige hatten noch erlebt, wie man die Brasserie erbaut hatte, und manche hatten Les Sables schon gekannt, bevor der Remblai errichtet worden war.

      Jeden Nachmittag fanden sie sich hier ein, um Bridge zu spielen. Jeden Nachmittag gaben sie sich die Hand, schweigend oder mit immer denselben wenigen Worten, ein Ritual.

      Sie hatten sich an die Anwesenheit von Maigret gewöhnt, der nicht mitspielte, sondern rittlings auf einem Stuhl saß und zusah, wobei er seine Pfeife rauchte und Weißwein trank.

      Die meisten hoben die Hand zum Gruß. Nur der örtliche Polizeikommissar, Monsieur Mansuy, der ihn jenen Herren vorgestellt hatte, stand auf, um ihm die Hand zu geben.

      »Und Ihrer Frau geht es allmählich besser?«

      »Ja.«

      Die Antwort erfolgte mechanisch, und er setzte beiläufig hinzu:

      »Heute Nacht ist in der Klinik eine junge Frau gestorben.«

      Er hatte leise gesprochen, aber selbst mit halber Kraft tönte seine Stimme noch voluminös, umso mehr, als an beiden Tischen Stille herrschte.

      An der Reaktion der Männer merkte er, dass er einen Fehler begangen hatte. Zudem deutete ihm der Polizeikommissar an, nicht weiter darüber zu sprechen.

      Obwohl er dem Spiel seit sechs Tagen zusah, begriff er die Regeln noch immer nicht. An diesem Tag begnügte er sich damit, die Gesichter zu beobachten.

      Monsieur Lourceau, der Reeder, war uralt, aber groß und noch immer kräftig, mit hochrotem Gesicht unter den weißen Haaren. Er konnte von allen am besten Bridge spielen, und wenn sein Partner einen Fehler machte, warf er ihm einen nicht eben ermutigenden Blick zu.

      Depaty, der Grundstücksmakler, der sich vor allem mit Villen und Siedlungen befasste, war lebhafter, mit verschmitzten Augen, trotz seiner siebzig Jahre.

      Es gab noch einen Bauunternehmer, einen Richter, einen Schiffbauer und den stellvertretenden Bürgermeister.

      Der Jüngste musste zwischen fünfundvierzig und fünfzig sein. Gerade beendete er eine Partie. Er war von schmaler Gestalt, ausdrucksstark und entschlossen, mit lebhaften Augen und glänzend braunen Haaren. Seine Kleidung schien äußerst sorgfältig gewählt und von erlesener Eleganz.

      Als er seine letzte Karte gespielt hatte, erhob er sich wie üblich und ging zur Telefonkabine. Maigret sah auf die Wanduhr. Es war halb fünf. Jeden Tag um halb fünf telefonierte er.

      Kommissar Mansuy, der für die nächste Partie mit seinem Nachbarn den Platz tauschte, beugte sich zu seinem Kollegen hinüber und flüsterte:

      »Die Tote ist seine Schwägerin …«

      Der Mann, der jeden Tag während der Partie in der Brasserie seine Frau anrief, war Doktor Bellamy. Er wohnte kaum dreihundert Meter entfernt, in einem großen weißen Haus hinter dem Kasino, genau genommen zwischen Kasino und Mole, dort, wo sich die drei oder vier schönsten Anwesen der Stadt befanden. Man konnte seine Villa vom Fenster aus sehen. Die ebene, makellose Fassade, durchbrochen von hohen, breiten Fenstern, erinnerte an die Klinik. Auch sie strahlte Ruhe und Würde aus.

      Doktor Bellamy kam scheinbar ungerührt zum Tisch zurück, wo man ihn erwartete und die Karten schon verteilt hatte. Monsieur Lourceau, dem es missfiel, wenn der feierliche Ernst des Bridgespiels durch Belanglosigkeiten gestört wurde, zuckte mit den Schultern. Vermutlich ging das schon seit Jahren so.

      Der Doktor war kein Mann, der sich beeindrucken ließ. Seine Miene zeigte keine Regung. Er überblickte sein Blatt und sagte dann knapp:

      »Zwei Kreuz.«

      Während des Spiels begann er zum ersten Mal, Maigret verstohlen zu mustern. Seine Blicke gingen so rasch, dass man sie kaum bemerkte.

      Aus Barmherzigkeit …

      Warum schlich sich plötzlich ein Satz in Maigrets Gedanken, ganz ohne sein Zutun, und setzte sich dort fest?

      »Jedenfalls ist das mal einer, der nicht aus Barmherzigkeit handeln würde …«

      Selten hatte er in die Augen eines Menschen geblickt, die eine solche Härte ausstrahlten und gleichzeitig glühten, eines Menschen, der seine Gefühle in einem solchen Maß beherrschte, dass er gar nichts preisgab.

      An den Tagen zuvor hatte Maigret das Ende des Spiels nicht abgewartet. Er hatte noch seine übrigen Stammplätze aufsuchen müssen. Der Gedanke, auch nur das Geringste an seinen Gewohnheiten zu ändern, erschütterte ihn.

      »Sind Sie um sechs noch hier?«, fragte er Kommissar Mansuy.

      Der warf einen Blick auf seine Uhr, weiß Gott warum, und nickte.

      Diesmal ging er den Remblai bis zum Ende und am Haus von Doktor Bellamy vorbei, eines jener Anwesen, vor dem die Spaziergänger sehnsüchtig und voller Neid stehen bleiben.

      Und weiter zum Hafen, vorbei an der Werkstatt des Segelmachers, den am Weg ausgebreiteten Segeln, vorbei an der Fähre, den Blick auf die Schiffe gerichtet, die aus- und einliefen und gleich gegenüber dem Fischmarkt Seite an Seite festmachten.

      Dort war ein kleines grün angestrichenes Café, zu dem man vier Stufen hinuntergehen musste: eine dunkle Theke, zwei, drei Tische mit braunem Wachstuch. Die Männer, alle blau gekleidet, hatten ihre hohen Gummistiefel an den Oberschenkeln umgeschlagen.

      »Einen kleinen Weißwein, bitte …«

      … der weder so schmeckte wie jener im Hôtel Bel Air noch wie der in der Markthalle oder der in der Brasserie du Remblai.

      Nun blieb ihm noch, den Quai entlangzuspazieren, an seinem Ende rechts abzubiegen und durch die schmalen Straßen mit ihren einstöckigen Häusern voller Leben, Geräusche und Gerüche zurückzuschlendern.

      Als er um sechs Uhr die Brasserie du Remblai erreicht hatte, war Kommissar Mansuy soeben auf den Gehsteig getreten und zog seine Uhr auf.

      2

      Es dauerte eine halbe Stunde, aber das Warten störte ihn nicht, im Gegenteil. Kommissar Mansuy hatte zu ihm gesagt:

      »Ich habe noch im Kommissariat zu tun und muss ein paar Akten unterschreiben. Wahrscheinlich wartet noch jemand auf mich.«

      Mansuy

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