Maigret macht Ferien. Georges Simenon
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Sie trug den Namen ein, während er dem Fluss der Buchstaben folgte, die sie auf das Papier schrieb. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Schrift zu verstellen. Im Übrigen kam schon ihr Blick einem Geständnis gleich.
Sie bedankte sich, etwas verschämt, und führte das Mädchen an der Hand zur Tür hinaus.
»Man wächst hier wirklich zusammen wie eine Familie …«, sagte Madame Maigret ergriffen. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie kranke Menschen einander näherkommen.«
Er wollte ihr nicht widersprechen, obwohl er an Mademoiselle Rinquet dachte.
»Ich glaube, in acht bis zehn Tagen komme ich raus, und übermorgen darf ich schon eine Stunde im Sessel sitzen …«
Es war Madame Maigret gegenüber nicht gerade sehr fein, aber die halbe Stunde erschien ihm heute noch länger als sonst.
»Würdest du nicht gern das Zimmer wechseln?«
Sie erschrak. Wie konnte er nur so taktlos sein, so etwas vor Mademoiselle Rinquet zu sagen?
»Warum sollte ich?«
»Ich weiß nicht … Es müsste jetzt doch ein Einzelzimmer frei sein.«
Madame Maigret war entsetzt, sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen und stammelte:
»Zimmer 15? … Maigret, wie kannst du nur?«
Ein Zimmer, in dem kurz zuvor eine junge Frau gestorben war! Er bestand nicht weiter darauf. Mademoiselle Rinquet musste ihn für ein Scheusal halten. Er aber hatte nur daran gedacht, sich mit Schwester Marie des Anges allein unterhalten zu können.
Schade! Er musste es anders angehen. Während sie ihn über den Flur hinausgeleitete, sagte er zu ihr:
»Könnte ich Sie einen Augenblick im Aufenthaltsraum sprechen?«
Sie wusste, worum es ging, und machte ein ebenso erschrockenes Gesicht wie zuvor Madame Maigret.
»Das ist nicht gestattet …«
»Sie meinen, es ist mir nicht gestattet, mit Ihnen ein Gespräch zu führen?«
»Nur in Gegenwart der Oberin. Sie müssten es bei ihr beantragen …«
»Und wo ist sie, die Oberin?«
Unwillkürlich hatte er seine Stimme erhoben. Er war nahe daran, wütend zu werden.
»Pst …«
Schwester Aldegonde steckte den Kopf durch eine halb geöffnete Tür und beobachtete die beiden von fern.
»Darf ich wenigstens hier mit Ihnen sprechen?«
»Pst …«
»Dürfen Sie mir schreiben?«
»Es ist nicht gestattet …«
»Und ich vermute, es ist Ihnen auch nicht gestattet, in die Stadt zu gehen?«
Das war zu viel. Das war beinahe schon Gotteslästerung.
»Hören Sie, Schwester …«
»Ich bitte Sie, Monsieur 6 …«
»Sie wissen, was ich Sie …«
»Pst … Ich bitte Sie!«
Und sie rang die Hände, trat einen Schritt vor, sodass er zurückweichen musste, und sagte mit lauter Stimme, vermutlich wegen Schwester Aldegonde, die immer noch lauschte:
»Ich versichere Ihnen, dass es unserer lieben Patientin an nichts fehlt und dass sie sich in einer ausgezeichneten Gemütsverfassung befindet …«
Es hatte keinen Sinn, es weiter zu versuchen. Er stand bereits auf der Treppe, in Reichweite von Schwester Aurélie. Er konnte nur noch hinuntergehen und das Haus verlassen.
»Auf Wiedersehen, Monsieur 6«, sagte eine sanfte Stimme hinter dem Schalter. »Rufen Sie morgen an?«
Er kam sich vor wie ein tollpatschiger Junge inmitten einer Horde junger Mädchen, die sich über ihn lustig machten. Mädchen jeden Alters einschließlich Mademoiselle Rinquet, die er nicht leiden konnte, weiß Gott warum! Einschließlich Madame Maigret, die sich hier inzwischen allzu heimisch fühlte.
Wenn er mit niemandem sprechen durfte, warum hatte man ihm dann überhaupt den Zettel zugesteckt?
Mindestens zehn Minuten grollte er Schwester Marie des Anges. Eine Heuchlerin übrigens. Allein ihre Stimme, mit der sie die wachsame Schwester Aldegonde zu täuschen versuchte.
»Ich versichere Ihnen, dass es unserer lieben Patientin an nichts fehlt …«
Und die andere auf Zimmer 15 war wahrscheinlich genauso eine »liebe Patientin«.
Er ging im Schatten, trat in die Sonne, ging durch die Straßen, beruhigte sich allmählich und fing an, über sich zu lächeln.
Arme Schwester Marie des Anges! Im Grunde hatte sie getan, was sie konnte. Sie hatte sogar Mut und Initiative gezeigt. Was überall sonst eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre, war hier geradezu heldenhaft.
Ihr war es nicht anzulasten, dass Maigret zu spät gekommen oder die kleine Godreau zu früh gestorben war.
Was konnte er jetzt noch tun? Zur Klinik umkehren, die Oberin verlangen, ihr sagen:
»Ich muss Schwester Marie des Anges sprechen?«
Unter welchem Vorwand? Was ging ihn das überhaupt an? Hier war er nicht Maigret von der Kriminalpolizei, sondern nur Monsieur 6.
Sollte er sich an Doktor Bellamy wenden? Herrgott, was sollte er ihm denn sagen? Der Doktor hatte immerhin darauf bestanden, dass die Leiche seiner Schwägerin obduziert wurde.
Kommissar Mansuy hatte ihm am Tag zuvor versichert, dass Lili Godreau seit dem Unfall und bis zu ihrem Tod im Koma gelegen habe.
Darauf einen guten Weißwein. In einem ordentlichen Bistro mit lauten Männern. In das die Sonne hineinscheint, und nicht dieses abgemilderte Licht wie in der Klinik, bei dem es ihm übel wurde.
Er riss den Zettel in Fetzen und ging zur Brasserie du Remblai. Würde Doktor Bellamy auch an diesem Tag zur Bridgepartie erscheinen? Wie auch immer. Es ist doch so: Wenn es einen Toten im Haus zu beklagen gibt, jammern die Frauen erst einmal mit dünner Stimme:
»Nein … Ich bitte Sie, insistieren Sie nicht … Ich bekomme nicht einen Bissen herunter … Eher würde ich sterben …«
Kurz darauf sitzen sie am Tisch und verlangen Dessert. Und am Schluss tauschen sie womöglich noch Rezepte mit der Schwägerin aus.
Doktor Bellamy spielte weiterhin Bridge. Er saß da wie an all den anderen Nachmittagen. Er beobachtete Maigret, wiederholt warf er ihm einen klugen, durchdringenden Blick zu, der zu sagen schien:
»Ich weiß, dass Sie sich für mich interessieren, dass Sie zu begreifen