Der Tod läuft mit. Peter Gerdes

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Der Tod läuft mit - Peter Gerdes

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deutsche Recht. Nicht wahr? Alles zu seiner Zeit.« Er lachte kehlig. Die Schreibtischplatte unter seinen Fäusten begann leicht zu beben.

      Wäre Stahnke an diesem Morgen nur etwas wacher gewesen, ihm wäre schon bei der ersten Erwähnung von Jan-Habbo Janssen klar gewesen, was ihm da bevorstand. Jeder Rechtsgestrickte in dieser Region, der irgendwelche Probleme hatte, sei es mit Argumenten oder mit dem Gesetz, kam sofort zu Helmut Zimmermann gerannt. Jeder, vom Dunkelschwarzen bis zum Kinderkackebraunen, ob er nun Kampfstiefel zur Tarnhose trug oder Lackschuhe zur Bügelfalte oder die Hosen ganz einfach nur voll hatte, weil er die Welt nicht verstand und deshalb Angst vor ihr hatte, Angst vor allem und jedem und vor den Ausländern ganz besonders. Sie alle hatten diesen Zimmermann zu ihrer Ikone gekürt, zu ihrem Wortführer. Mindestens.

      Und der genoss es. Zimmermann maß seine eigene Lebensqualität in Aufmerksamkeitseinheiten, ganz egal mit welchen Vorzeichen. Angebetet oder angebrüllt zu werden, das war für ihn praktisch eins. Politik bestand für ihn aus Provokation und Anbiederung. Immer abwechselnd, wie es gerade passte. Ein Eiertanz der Instinkte, den er traumwandlerisch sicher beherrschte.

      Was in seinem Kopf wirklich vorging, war umstritten; womöglich war er rein zufällig auf dem rechten Flügel gelandet, quasi als populistischer Stimmungsindikator der Anziehungskraft der Stammtische folgend. Machte das einen Unterschied? Zufallsärsche sind auch Ärsche, pflegte Stahnke zu sagen, wenn die Rede auf Zimmermann kam. Was im Leeraner Polizeigebäude recht häufig geschah. Aber so einfach war es natürlich auch wieder nicht.

      »Wenn Sie so dringend eine Stütze brauchen, dann sollten wir vielleicht mal Ihre Zulassung überprüfen«, sagte Stahnke und wedelte mit der rechten Hand, wie um eine lästige Fliege zu verscheuchen. »Darüber hi­naus wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Ankündigung jetzt mal wahrmachen würden. Reden Sie. Aber sagen Sie auch was.«

      Schnaufend richtete Zimmermann sich auf, das Grinsen tief in die erstarrende Mundpartie eingemeißelt. Er war noch einige Zentimeter größer als Stahnke, der auch schon etwas über einen Meter 80 maß, ebenso breit in den Schultern und fast genauso massig. Aber er war fitter als der Hauptkommissar, Stahnke wusste das, und man konnte es auch sehen. Zimmermann war Sportler von Kindesbeinen an, war viele Jahre Fußballer und danach Schiedsrichter gewesen und ließ auch heute noch kaum ein Sportfest aus; vermutlich war das die Basis seiner Popularität. Stahnkes Sportlertage dagegen waren längst Geschichte, und zwar ungeschriebene.

      Gut so, dachte Stahnke, als Zimmermann gerade zum Reden ansetzte und im selben Moment das Telefon klingelte. Geschieht ihm recht. Schnell nahm er mit der linken Hand den Hörer ab, führte ihn zum Ohr und grinste Zimmermann scheinheilig zu, während er mit der flach erhobenen Rechten die Geste des Abstoppens machte: Moment, mein Lieber, erst die wichtigen Dinge.

      Es war Kramer; neckische Idee, aus dem Nebenzimmer anzurufen. »Neues Fax, Chef. Dürfte Sie interessieren.«

      Stahnke schwieg. Ohne Frage keine Antwort – das machte Kramer mit ihm auch immer so.

      »Krüger, Chef. Doktor Wendelin Krüger.«

      Stahnke fixierte Zimmermann, dessen zahnreiches Lächeln nun doch zu schwächeln begann. Ob er es schaffte, ihn mal so richtig wütend zu machen? Eine echte Herausforderung, denn Zimmermann war in zahllosen kommunalparlamentarischen Debatten erprobt, und gewöhnlich war er es, der die anderen wütend machte. Stahnke lächelte gnadenlos weiter. Und schwieg weiter ins Telefon.

      »Krüger ist tot, Chef.« Ha, Kramer hatte aufgegeben. Punkt für Stahnke. Das konnte ja doch noch ein erfolgreicher Tag werden.

      Was hatte Kramer da eben gesagt?

      »Heute früh, kurz nachdem er sein Büro betreten hatte, ist er dort tot aufgefunden worden. Ein Arzt ist bei ihm. Hat gerade hier angerufen.«

      »Ursache?«, fragte Stahnke.

      »Unklar«, antwortete Kramer. »Keine Anzeichen für äußere Einwirkung. Aber der Arzt meinte trotzdem …«

      »Sehr gut«, sagte Stahnke. »Kramer, Sie fahren auf die Insel.«

      »Ja.« Es knackte im Hörer. Stahnke legte ebenfalls auf und erhob sich. »Und Sie, Herr Zimmermann«, sagte er, »Sie beehren mich bitte ein anderes Mal. Wenn Sie mal wieder müssen. Das dürfen Sie hier gerne, wenn’s recht ist. Und wenn Zeit ist.«

      Zimmermanns Gebrüll schallte hinter ihm her bis auf den Flur. Nicht schlecht, dachte Stahnke. Gleich zwei Duelle gewonnen. Vielleicht wird das ja sogar noch ein richtig netter Tag.

      8

      »Kommen Sie, Stahnke, das kann doch einfach nicht alles sein.« Ungeduldig war Marian Godehau schon länger gewesen, jetzt wurde er ärgerlich. »Plötzlicher Kindstod, okay, davon habe ich schon gehört. Aber plötzlicher Tod einer überreifen Führungskraft ohne erkennbare Ursache, das ist ja wohl ein Witz.«

      »Dann lachen Sie doch.« Stahnke war überhaupt nicht nach Spaßen zu Mute. Fast Mittag, die sensationelle Nachricht hatte sich längst herumgesprochen, Marian war zwar der erste, würde aber gewiss nicht der einzige Journalist bleiben, der hier im Verwaltungsgebäude der Optotrans auftauchte, und er wartete immer noch auf eine erste Tendenzmeldung der Ärzte. Bisher vergeblich.

      Krügers Büro war groß, noch größer, als man es hatte vermuten können. So groß, dass sie ruhig im Eingangsbereich warten konnten, ohne unerwünscht viele Details von dem mitzubekommen, was die Ärzte da trieben. Der Tote lag rücklings auf dem rasenweichen Teppich, auf halbem Wege zwischen Schreibtisch und Fensterfront, die langen, hageren Arme und Beine merkwürdig asymmetrisch angewinkelt, so dass Stahnke sich unwillkürlich an ein Hakenkreuz erinnert fühlte.

      Krügers Schreibtisch bestand aus seidig schimmerndem, dunkelbraunem Holz, war der Raumgröße entsprechend gigantisch dimensioniert und ausladend viertelrund, fast wie einer dieser Söller, von denen herab gekrönte wie ungekrönte Herrscher zu ihrem Volk zu sprechen pflegten. Auf der Schreibtischplatte hätte die gesamte englische Königsfamilie samt Queen Mom Platz gefunden. Stahnke konnte sich gut vorstellen, wie Krüger in dem breiten, hochlehnigen Sessel dahinter residiert und Hof gehalten hatte. Dort hatte er bestimmt eine bessere Figur gemacht als damals auf dem maroden Besucherstuhl im 1. Kommissariat, wo er wegen seiner dubiosen Lager vernommen worden war.

      Hinter dem Sessel an der cremefarbenen, dezent strukturierten Wand hing ein Ölgemälde, ebenfalls riesig, eine Wiedergabe der Opto-Fahrzeugwerke, ziemlich naturalistisch, ziemlich langweilig. Stahnke hatte schon andere Gemälde von Industrieanlagen gesehen, hyperrealistische darunter, die von innen heraus zu strahlen schienen und ein deutliches Gefühl für die Faszination dieser Art von Architektur vermittelten. Dieses hier wirkte höchstens durch seine Ausdehnung. Klar, die Opto-Werke waren groß, riesengroß sogar, eine machtvolle Konzernmutter, und hier, im Angesicht des Geschäftsführers der Tochterfirma Optotrans, wurde man nachdrücklich daran erinnert. Sehr nachdrücklich und reichlich plump.

      Weitere, deutlich kleinere Bilder waren über die anderen Wände verteilt, Wände, an denen Stahnke die sonst üblichen Bücher- und Aktenregale vermisste. Deren zumeist ohnehin nur symbolische Bedeutung wurde vermutlich von dem Computer wahrgenommen, dessen 19-Zoll-Monitor auf dem linken Schreibtischflügel thronte.

      Mangels anderer Beschäftigung ließ Stahnke seinen Blick über die Bilder wandern. Norddeutsche Landschaften in Aquarell und Pastell hingen neben abstrakten Werken, ein Stilmix ohne erkennbares Auswahlprinzip. »Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen«. Faust, oder? Immer gib ihm Bildung!

      Dem Schreibtisch gegenüber sah es etwas anders aus, dort hingen ausschließlich kleinere Bilder, lauter Porträts. Würdige

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