Aus der Sicht der Fremden. Maria von Hall

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Aus der Sicht der Fremden - Maria von Hall

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angeschaut und vor allem geprüft, wie lange ich schon auf die Wohnung gewartet habe. Dann fragte sie mich freundlich, warum ich die vor vier Jahren angebotene Wohnung nicht angenommen habe und ich konnte ihr jetzt den Grund erklären. Daraufhin habe ich erfahren, dass schon seit Jahren schönere und größere Wohnungen in der Stadt gebaut wurden und dass sie mir jetzt wegen der langen Wartezeit von neun Jahren zwei Wohnungen zur Auswahl geben würde. Ich war überrascht und freute mich, dass sie mir so freundlich entgegenkam. Ihre Haltung mir gegenüber machte mich einfach glücklich.

      Die zwei Wohnungen befanden sich in der Siedlung mit dem Buchstaben W, die weit vom Zentrum der Stadt und auch von der Wohngesellschaft entfernt lag. Ich musste den Bus nehmen. Beide waren überraschend groß, sehr schön und trotz Erdgeschoßlage sehr hell. Nachdem ich mich für eine Wohnung entschieden hatte, fuhr ich zur Wohngesellschaft zurück.

      Da ich diese nun endlich annehmen musste und auch wollte, bekam ich noch an diesem Tag die Zuteilung in die Hand. Da sagte ich mit Bedauern, dass ich doch lieber in der Stadt Mikolow als in Tychy gewohnt hätte. Kaum hatte ich das ausgesprochen, kam die nächste frohe Überraschung. Die Dame sagte nämlich gleich, dass in der Stadt Mikolow auch gebaut wurde. Es wurden gerade eben noch zwei Häuser fertig gebaut und verteilt. „Dort könnten Sie nachfragen, ob jemand die Wohnung mit Ihnen tauschen möchte.“ Das war die perfekte Lösung für mich! Das war tatsächlich ein Glücksfall für mich, weil die Wohnungen zwar zugeteilt worden, aber die künftigen Bewohner noch nicht eingezogen waren. Die nette Dame gab mir die Adresse der Wohngesellschaft in Mikolow und ich habe auf meinem Rückweg nach Hause auch gleich diese aufgesucht. Hier ging es problemlos weiter. Ich bekam die Adresse von einem jungen Ehepaar, das in einem der neu gebauten Häuser in Mikolow eine Zweizimmerwohnung zugeteilt bekommen hatte und lieber in Tychy gewohnt hätte. Ich habe mich sofort mit den jungen Menschen in Verbindung gesetzt und als sie meinen Vorschlag über den eventuellen Umtausch der Wohnungen hörten, waren sie sofort dazu bereit, sich meine Wohnung in Tychy anzuschauen. Ich hatte also wieder Glück. Sie gefiel ihnen sofort und sie haben sich gleich dazu entschieden, sie anzunehmen. Sogar die Lage der Wohnung in der Siedlung W hat den jungen Menschen entsprochen. Nach so vielen Jahren und Strapazen konnte ich mein Wohnungsdilemma endlich lösen. Auch meine ältere Tochter war zufrieden, dass sie jetzt unsere kleine Wohnung in Laziska Gorne für sich alleine nutzen durfte. Nach dem Abitur hat meine Tochter eine Stelle in der Universitätsbibliothek in Katowice angenommen und somit konnte sie schon auf eigenen Beinen stehen. Alle waren zufrieden!

      Im Jahre 1979 bin ich dann von Laziska in die schöne und ruhige Stadt Mikolow umgezogen. Meine jüngere Tochter war damals 16 Jahre alt. Unsere neue Wohnung befand sich im zweiten Stock eines vierstöckigen Hauses, das sich an der Hauptstraße befand, die nach Tychy führte, und aus Betonplatten gebaut worden war. Zum Zentrum hatten wir nur 15 Minuten zu Fuß. Wir alle hätten Grund gehabt, zufrieden zu sein, wenn sich die politische und vor allem die wirtschaftliche Lage im Lande nicht so rapide verschlechtert hätte.

      ***

      Ein paar Monate später reichte das Geld plötzlich nicht mehr zum Leben. Die Lebensmittelpreise stiegen in kürzester Zeit und meine Rente, die ich aus gesundheitlichen Gründen seit Jahren bezogen hatte, reichte plötzlich nur noch für die ersten beiden Wochen im Monat. Die teuerste Ware in den Achtzigerjahren waren eben die Lebensmittel geworden. Nicht nur mir hat die Rente nicht gereicht, sondern auch den Arbeitern und Kleinangestellten der Lohn. Die Menschen in der Stadt haben sogar laut über das Problem zu sprechen angefangen. Die Unzufriedenheit hatte Monat für Monat zugenommen, und als die Regierung Polens im Herbst 1981 wieder die Preise für die Lebensmittel erhöhen wollte, gingen die Menschen im Land auf die Barrikaden. Die ersten Unruhen gab es in der Helling in Danzig unter Lech Walesa, der eine freie und unabhängige Gewerkschaft, die „Solidarnosc“, gründete.

      Damit hat er in Polen eine gewaltige Volksbewegung ausgelöst. Das war der erste Aufstand gegen das sozialistische Regime, nicht nur in Polen, sondern überhaupt in ganz Europa!

      Am 13. Dezember 1981, einem Sonntag, ging ich wie immer in der Früh ins Bad und schaltete um 06:00 Uhr das Radio an. Was ich da hörte, ließ meinen Atem stocken. Wir hatten Krieg! Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich realisieren konnte, dass die polnische Regierung einen Bruderkrieg in Kauf nahm. Wie ich später erfahren habe, war der Krieg schon in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember per Radio proklamiert worden.

      Ich konnte die Stunden bis Montag nicht abwarten. Ich machte mich gleich am Montagmorgen auf den Weg ins Zentrum, um zu sehen, was sich in der Stadt tat. Ich eilte voller Angst und mit pochendem Herzen die Hauptstraße entlang zum Rathaus. Und tatsächlich, das, was ich da sah, war überwältigend! Der riesige Platz vor dem Rathaus wurde belagert. Die Menschenmenge war in Bewegung und redete laut. Ich blieb in der engen, kurzen Straße, die zum Platz führte, stehen – in das Gedränge wollte ich nicht hinein. Plötzlich merkte ich, dass die Straße hinter mir auch schon voller Menschen war und um mich herum wurde es eng. Ich wollte mich schnell zurückziehen, aber es gab keine Möglichkeit mehr. Ich wurde zusammengedrückt und in diesem Moment habe ich das Bewusstsein verloren. Ich wachte im Krankenhaus auf, wo mir ein junger Arzt sagte, dass an diesem Vormittag noch sehr viele weitere Menschen in das Krankenhaus eingeliefert worden waren und dass alle Geschäfte heute geschlossen blieben. Die Stimme des netten Arztes war von tiefem Mitgefühl erfüllt. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Die Angst saß mir weiterhin im Nacken und ich wählte die kleinen Nebenwege, die mich parallel zur Hauptstraße nach Hause führten.

      An diesem Tag konnte ich nichts einkaufen, ich bin nach diesem beängstigenden Erlebnis mit leeren Händen nach Hause zurückgekommen.

      Am nächsten Tag ging ich wieder frühmorgens in die Stadt, um einzukaufen. Das Bild, das sich mir nun bot, war ungewöhnlich. Die Mitte des Platzes war zwar frei, aber vor jedem Geschäft war eine unglaublich lange, doppelte Schlange und vor der Tür des Metzgers, der Molkerei und des Lebensmittelgeschäfts stand jeweils ein Soldat mit einem Gewehr auf der Brust! Die Menschen standen still und ich stellte mich am Ende der Schlange dazu. An diesem Tag konnte ich auch nichts kaufen, weil die Lieferung so knapp gewesen war, dass nur wenige Personen von dem kleinen Angebot Gebrauch machen konnten. Außerdem waren die Regale in allen Geschäften leer! Um etwas Essbares zu bekommen, bin ich dann jeden Tag früher aus dem Haus gegangen. Vor der Molkerei stand ich einmal eineinhalb Stunden in der Schlange und habe nur noch 250 Gramm Quark bekommen, der auch rationiert wurde. Die Milch und der gelbe Käse waren schon ausverkauft. Es gab nichts anderes mehr. Meine 16-jährige Tochter, die glaubte, nicht ohne Fleisch auskommen zu können, hat dann die Initiative ergriffen. Sie hat sich den Wecker am Abend auf 03:00 Uhr

       gestellt, ist schlafen gegangen und tatsächlich um 03:00 Uhr aufgestanden, um sich beim Metzger in die Schlange zu stellen. Hier gab es aber auch keine Auswahl; die Lappen, die auf den Haken hingen, waren nur für die Suppe geeignet und die Schlange vor dem Metzger war lang! Ich habe meine Tochter still bewundert, sie fürchtete den Weg zu der frühen Stunde nicht.

      ***

      Zur Zeit des Bruderkrieges haben meine Schwester und ich uns weiterhin regelmäßig Briefe geschrieben. Sie wollte genau wissen, wie es uns geht, und ich war auch auf ihre neue Heimat neugierig, in der sie seit 1968 lebte. Ihr Mann als Ingenieur hatte damals sofort eine gute Stelle in München bekommen, sie waren beide mit ihren Zukunftsaussichten zufrieden. Toni hat mich in dieser Zeit finanziell unterstützt, vier Mal im Jahr überwies sie mir 150 DM. Ohne ihre finanzielle Hilfe wäre es für uns drei kritisch geworden und mein Herz hätte geblutet, hätte ich meine Töchter in die Fabrik statt auf ein Gymnasium schicken müssen.

      Eines Tages, das war schon im Sommer 1982, habe ich von meiner Schwester, die mit ihrem Mann in Urlaub in Italien weilte, eine Postkarte bekommen. Sie haben schon damals einen Wohnwagen gehabt und sind jedes Jahr nach Italien gefahren. Auch dieses Mal waren sie schon dort und warteten auf den Besuch von ihrem Sohn. Dieser hatte Polen mit fünf Jahren verlassen, war inzwischen zwanzig Jahre alt und in München bei der Bundeswehr bei der Radarüberwachung tätig.

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