FriesenFlut. Nané Lénard
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„Was?“, rief Oma Pusch voller Schreck. „Lina hat eine Glatze?“
Wieder schüttelte Hinnerk den Kopf.
„Toter Kopf am Strand“, stöhnte er und hielt sich am Türrahmen fest.
„Ich verstehe nur Bahnhof“, gab Oma Pusch zu, „lag da einfach so ein Schädel rum? Ein echter? Und wer war hinter dir her?“
„Darf ich mich erst mal setzen?“, bat Hinnerk. „Ich kann nicht mehr.“
Oma Pusch sah, dass er trotz des roten Gesichts ganz weiß um Mund und Nase war. Aber er war auch nass und dreckig. Geschickt warf sie fast im Vorbeigehen eine Decke über den Sessel und bat Hinnerk, Platz zu nehmen. Der rettete sich praktisch in letzter Sekunde mit zwei großen Schritten ins Wohnzimmer und ließ sich hineinsinken.
„Danke“, keuchte er, „ich bin zu alt für so was!“
„Wenn du mir jetzt noch erklären könntest, was du genau meinst“, sagte Oma Pusch. „Müssen wir was wegen Lina unternehmen?“
„Nein“, erklärte ihr Hinnerk. „Das wird der Alte schon erledigt haben, der hinter mir her war.“
„Also, jetzt mal der Reihe nach und schön von vorn“, befahl Oma Pusch und brachte ihm ein Glas Wasser. Sie trug wegen der Hitze nur eine dünne Bluse über ihren Shorts und beäugte ihn kritisch. „Aber zuerst runter mit den Klamotten. Denkst du, es wäre Winter? Warum trägst du so warme Sachen?“
Hinnerk machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ich hab nix anderes.“
Oma Pusch seufzte. „Warte, ich habe noch was von meinem verblichenen Fridtjof. Das gebe ich dir. Was du jetzt anhast, packen wir ein. Ich wette, dass es dir schon besser gehen wird, wenn du nicht so überhitzt bist.“
Gesagt, getan. Sie kramte in ihrem Schrank und kam mit einem Hawaiihemd zurück. Es war schrecklich bunt. In der anderen Hand trug sie ein paar Knickerbocker, die knallgelb ins Auge stachen.
Am liebsten hätte Hinnerk sie gefragt, ob sie noch alle Steine auf der Schleuder hätte, aber er biss sich lieber auf die Zunge und quetschte ein „Danke“ heraus. Dass sie aber nun auch noch wartete, bis er sich auszog, ging überhaupt nicht.
„Kann ich mal dein Bad …?“, weiter kam er nicht.
„Nee, Hinnerk, da habe ich grade frisch gewienert. Zieh dich man gleich dort um, wo sowieso schon alles dreckig ist. Ich gehe unterdessen in die Küche“, kündigte sie an und verschwand. Jetzt war der auch noch etepetete, als ob sie noch nie einen Kerl in Unterwäsche gesehen hatte.
In Wirklichkeit war das aber mit Hinnerks Feinrippmodellen so eine Sache. Sie waren viel zu groß, mit ihrem Eingriff nicht wirklich modern und keineswegs sauber. Er hatte also allen Grund, damit nicht vor einer Dame zu posieren. Plötzlich kam ihm eine Idee.
„Du, Lotti“, rief er ihr zu, „hast du vielleicht auch noch was für drunter?“ Alles war besser, als das, was er anhatte.
„Ja, klar!“, kam es aus der Küche.
Hinnerk hätte schwören können, dass da etwas Schalk in ihrer Stimme gelegen hatte.
„Ich werf es dir zu und drehe mich weg, ja?“, erkundigte sie sich. Dann hörte man die Schranktür. „Für Fridtjofs Geschmack kann ich nichts“, sagte sie mit unterdrücktem Gnickern, als sie Unterhemd und -hose über ihre Schulter hinweg in Richtung Hinnerk schmiss.
Der staunte nicht schlecht, was er da in den Händen hielt. Das schwarze Netzhemd ging ja noch, aber was war das für eine Unnerbüx? So wenig Stoff. Da hatte man wohl gespart. Wie rum die nur gehörte, fragte er sich, wollte aber Oma Pusch nicht bemühen. Der dünne Faden konnte kaum vorne sein, also probierte er es andersherum. Nun lag der rot-schwarze Stoff notdürftig wie ein Feigenblatt über seinem Gehänge, das über die Jahre der Schwerkraft zum Opfer gefallen war. In seinem Hintern klemmte der Faden. So hielt es wenigstens. Den Rest würde die Kanarienvogelhose kaschieren, hoffte er. Außerdem war das Ensemble weniger warm und er musste sich ja glücklicherweise vor niemandem ausziehen.
„Kannst wieder reinkommen“, rief Hinnerk Oma Pusch zu.
Sie brachte eine Stofftasche für die ollen Klamotten mit und setzte sich aufs Sofa.
„So, und nu vertell mi alls!“, forderte sie ihn auf.
Hinnerk, der sich zwar verkleidet wie ein Clown vorkam, ging es trotzdem besser, darum holte er weit aus.
„Also, das war so …“, begann er und erzählte ihr brühwarm von den Ereignissen des frühen Morgens.
Schmiere stehen
Während Oma Pusch zuhörte, geriet sie mehr und mehr in Verzückung. Was Hinnerk da berichtete, klang aufregend und spannend. Sofort war ihre Neugier geweckt. In ihrem Kopf ratterte es. Sie musste überlegen, was nun zu tun war. Die Situation war nämlich wegen der Touristen nicht einfach. Bei früheren Mordfällen hatte sie noch vor der Saison ermitteln können. Aber jetzt lärmte es überall am knatschvollen Strand, nachdem die Hotelbüfetts abgeräumt oder die „Spätstücker“ aus ihren Ferienwohnungen gekommen waren. Trotzdem konnte man nicht davon ausgehen, dass sich die Menge nur mit sich selbst beschäftigte und Sandburgen um ihre Strandkörbe baute. Neugierige Augen gab es immer. Wenn Oma Pusch und Hinnerk also tätig werden und den Kopf genauer unter die Lupe nehmen wollten, brauchten sie einen Sichtschutz und am besten auch jemanden, der Schmiere stand. Da Lina mit Sicherheit ausfiel, weil man sie wegen ihrer Ohnmacht ins Krankenhaus gebracht hatte, blieb nur Oma
Puschs Freundin aus dem Süderriff. Rita war schon über Jahrzehnte hinweg ihre Wegbegleiterin und neuerdings ihre zuverlässige Partnerin in Sachen Mordermittlung. Meist saßen die beiden Frauen gemeinsam in Oma
Puschs Kiosk und verkauften die überall an der Küste bekannten, ja fast schon als legendär zu bezeichnenden Rollmopsbrötchen. Fischburger mit Pfiff sozusagen, denn Oma Pusch hatte etwas Einzigartiges erfunden: Sie spritzte einen Schuss Honig über den Bratrollmops, sodass sich eine wohlige Mischung aus süß und sauer im Mund der Kunden einstellte. Ein Genuss, der dermaßen gut ankam, dass seine Erfinderin darüber nachdachte, ihn zum Patent anzumelden.
Ein paar Kleinigkeiten sollten wir über Charlotte (Lotti) Esen noch erzählen. Nicht jeder, der dieses Buch in den Händen hält, kennt das Urgestein aus Neuharlingersiel bereits. Oma Pusch ist eine Dame ohne Alter, gewissermaßen ein zeitloser Mensch, der auf eine große Familie stolz sein kann und mit nahezu jedem in der Umgebung verwandt ist. Fünf Kinder und 13 Enkel sorgen für manche Turbulenzen in ihrem Dasein, aber auch für glückliche Momente. Drei Männer hat sie überlebt und ist finanziell unabhängig. Das hat sie ihrem letzten namens Fridtjof zu verdanken, der glücklicherweise eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte, bevor er auf hoher See beim Fischfang verunglückte und zu Nordseesand wurde. Man hat ihn nie gefunden. Böse Zungen munkelten, es hätte einen Deal zwischen den Ehepartnern gegeben und der olle Fischer läge längst an einem herrlich weißen Strand in der Karibik, aber das ist natürlich Humbug.
Ach, eins fragen Sie sich noch? Wieso nennt man die Hobbyermittlerin Oma Pusch? Doch das darf ich leider nicht mehr erwähnen. Ich höre ihre Standpauke heute noch, weil ich Familieninterna im ersten Buch „FriesenNerz“ ausgeplappert habe. Mir klingeln jetzt noch die Ohren. Also: Bitte einfach nachschauen! Doch nun zurück zur Geschichte:
Oma