Kampf um Wien. Hugo Bettauer

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Kampf um Wien - Hugo Bettauer

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das Verhältnis der Gatten, aber sowie das Kind groß genug war, um durch ein Ausstrecken der Ärmchen zur Mutter oder zum Vater seine größere Sympathie zu bezeugen, wurde die Entfremdung noch stärker. Lola überströmte mit ihrer ganzen Zärtlichkeit das Kind, sie sang ihm deutsche Lieder vor, lehrte ihm die ersten deutschen Worte, sprach nie englisch mit ihm, entzog ihn so bald als möglich der schwarzen Amme, ja sie brachte es dazu, daß sein kleiner Milchbruder Sam ebenfalls Deutsch erlernte.

      O’Flanagan tobte und wetterte dagegen, aber vergebens, in diesem Punkt blieb die kleine ängstliche Frau stark, und wenn Flanagan schrie, daß die Wände zitterten, sah sie ihn nur groß und erstaunt an, ohne zu tun, wie ihr Gatte wollte.

      Ralph hing denn auch mit viel größerer Zärtlichkeit an seiner Mutter, als es amerikanische Jungens sonst tun, und noch als er die Mittelschule besuchte, las er am liebsten gute deutsche Bücher, die ihm die Mutter heimlich kommen ließ. Als er sechzehn war, machte allerdings Flanagan dem ein Ende, indem er den Jungen zuerst nach San Franzisko, dann nach Chikago in die Lehre zu Geschäftsfreunden schickte, so daß die ewige Wienerin allein und einsam in dem kalten großen Haus zu St. Paul zurückblieb.

      Sechs Jahre hindurch mußte Ralph in der Fremde bleiben, sich allein sein Brot verdienen, bis ihn der Vater zurückrief.

      Er trat nun in den väterlichen Betrieb ein, ohne zu ahnen, wie groß dieser eigentlich war. Es gab da eine sehr komplizierte Korrespondenz mit einem Dutzend Aktiengesellschaften, zahllosen Sägewerken und Forsten, niemand aber bekam einen vollen Einblick in die Geschäfte, da O’Flanagan alle Fäden in der Hand behielt und schwerwiegende Dinge nie mit seinem Sohn, sondern nur mit dem alten Prokuristen Herbert Walker beriet.

      So innig das Verhältnis Ralphs zu seiner Mutter war, so wenig gut stand er mit dem Vater. Dieser sah in ihm einen durchaus unamerikanischen Schwärmer, einen halben Deutschen, einen müßigen Menschen, den die dummen deutschen Bücher viel mehr interessierten als die Geschäfte, der überhaupt keinen merkantilen Sinn hatte, ja es nicht einmal verstand, ordentlich energisch gegen die Arbeiter und Büroangestellten aufzutreten. Und einmal, zwei Jahre vor dem Beginn dieser Geschichte, kam es, als Ralph sich eines entlassenen Arbeiters annehmen wollte, zu einer heftigen Szene, die seitens des alten Flanagan mit den Worten beschlossen wurde:

      „Wahrhaftig, am liebsten würde ich die Millionen, die ich erworben, in den See werfen! Du wirst es nie verstehen, ein solches Vermögen zu halten oder gar zu vermehren.“

      Damals erfuhr Ralph zum erstenmal, daß sein Vater Millionär sei.

      Der große Weltkrieg kam, Ralph wurde rasch zum Offizier befördert, bevor er aber dazu kam, an die französische Front abzugehen, waren die Mittelmächte niedergebrochen, Deutschland gedemütigt und Österreich bei lebendigem Leib zerstückelt. Bitterlich weinte die noch immer zart und mädchenhaft aussehende Frau Lola, wenn sie von dem Elend Wiens, dem Hunger der Wiener Kinder, dem Jammer der alten Rentner las, und was sie an Geld, mit dem sie recht knapp gehalten wurde, erübrigen konnte, wanderte über den Ozean nach Wien. Lebendiger als je zuvor wurde ihr die Erinnerung an die geliebte Vaterstadt, stundenlang erzählte sie abends, wenn Ralph verdrossen und mit seinem Leben unzufrieden bei ihr saß und ihr Gatte noch bis in die Nacht hinein im Kontor arbeitete, von Wien, von der einzigartigen Schönheit dieser Stadt, ihren milden Sitten, die überall in Musik ausklängen, von Wiener Herzlichkeit und Gemütlichkeit.

      Am 2. Dezember 1921 brachten die amerikanischen Zeitungen übertriebene Berichte von den Plünderungen, die in Wien vor sich gegangen seien, von Bränden, die die halbe Stadt verwüstet hätten, von tausenden Toten und offener Anarchie. Frau Lola, die sich nicht hatte abgewöhnen können, amerikanischen Zeitungen zu glauben, weinte in ihrem Bett stundenlang, am Morgen fühlte sie sich schwach und elend, der Arzt stellte ein schweres Herzleiden, Erbschaft ihrer Mutter, fest, und als der alte, weiß gewordene O’Flanagan alle Anordnungen traf, um seine Frau nach dem milden Süden der Floridanischen Küste zu schikken, war es zu spät. Die kleine Wienerin starb in den Armen des Sohnes und ihre letzten Worte waren:

      „Wenn du einmal nach Wien kommst ...“

      Ein halbes Jahr später verlor Ralph auch den Vater. Es war die Nachricht eingelangt, daß ein mächtiges Sägewerk, fünfhundert Kilometer von St. Paul entfernt, in Brand geraten sei und O’Flanagan ließ es sich nicht nehmen, in der Nacht die Fahrt per Auto dorthin anzutreten. Ungeduldig feuerte er den Chauffeur zu immer größerer Geschwindigkeit an, bis der mächtige Wagen gegen einen Prellstein fuhr, sich überschlug und unter seinen Trümmern O’Flanagan begrub.

      Unmittelbar nach dem Leichenbegängnis, an dem ganz St. Paul teilnahm, wurde das Testament eröffnet, und Ralph erfuhr zu seinem maßlosen Erstaunen, daß er Alleinherr eines Vermögens war, das alle Begriffe übertraf. Die Zeitungen übertrieben nicht wesentlich, als sie verkündeten, daß der kaum dreißigjährige Ralph O’Flanagan einer der reichsten Männer, wenn nicht gar der reichste der Welt sei, und die Erbschaftsbehörden waren wochenlang beschäftigt, bevor sie vollen Einblick in den Umfang der O’Flanaganschen Betriebe gewannen. In eingeweihten Kreisen sprach man davon, daß O’Flanagan der Herr eines Großteils der amerikanischen Wälder und der Besitzer von drei Viertel Aktien der größten Holzindustrien des Landes gewesen sei. Man munkelte von einem Totalvermögen von mehr als tausend Millionen Dollar, womit Rockefeller auf die zweite Stelle verdrängt worden sei.

      Ralph stand all dem fassungslos gegenüber. Er hatte das Leben eines beliebigen Durchschnittsamerikaners geführt, als erwachsener Mensch von seinem Vater einen Gehalt bezogen, der knapp für seine kleinen Auslagen reichte, die ersehnte Europareise war ihm nicht gestattet worden, wenn eine Rechnung vom Buchhändler kam, schimpfte sein Vater über unsinnige Verschwendung, karg und hart war seine ganze Jugend gewesen und nun stand er plötzlich als moderner Krösus, als unabhängiger Herr und Gebieter, dem die ganze Welt gehörte, da.

      Daß er nicht das Zeug in sich hatte, weiterhin den Industriekönig zu spielen und Millionen zu erraffen, wußte Ralph ganz genau, und er war beglückt, als wenige Wochen nach Vaters Tod der alte Walker ihm vorschlug, aus allen den vielen Unternehmungen eine einzige große Aktiengesellschaft zu bilden, an deren Spitze er nur nominell stehen würde. Einige Wochen vergingen mit den Vorbereitungen, dann konnte der junge O’Flanagan in Begleitung seines Dieners und Milchbruders Sam nach New York fahren, wo die Verhandlungen zum Abschluß kamen. Die ganz Nordamerika, Kanada und Mexiko umspannende American Wood- and Forest Trust Company war gebildet, Ralph O’Flanagan ihr nomineller Präsident, ohne eigentlichen Beruf, aber mit dem vollen Bewußtsein der Verantwortung, die ihm sein unschätzbares Vermögen auferlegte, stand er der Zukunft gegenüber.

      Wie sich diese Zukunft vorläufig gestalten würde, stand für ihn vollständig fest. Die letzten Worte seiner geliebten Mutter waren schicksalsbestimmend. Er wollte in seine Urheimat, in die Stadt, aus der er durch das Herz seiner Mutter die Liebe zu allem Höheren geerbt hatte. Er wollte dieses Wien, das er liebte, ohne es zu kennen, erfassen, wollte sehen, ob sich der Niedergang eines Kulturzentrums durch werktätige Arbeit, der fast unversiegbare Mittel zur Seite standen, aufhalten ließe.

      Und so kam Ralph O’Flanagan im Dezember des Jahres 1922 nach Wien und machte seinen ersten Spaziergang durch die Straßen einer Stadt, die ihm fremd war und doch mit jedem Schritt ein wärmeres und behaglicheres Empfinden gab.

      5. Kapitel

      Das Mädchen in der Elektrischen.

      Ralph verließ den Graben, ging aufs Geratewohl durch die Bognergasse über Hof und Freyung und zollte den Bankpalästen seine Bewunderung. Diese stieg, als ihm ein Passant auf seine Frage mitteilte, daß das Neugebäude der Kreditanstalt erst vor einem Jahr fertig geworden sei. Also hatte man in Not und Verarmung, trotz Teuerung und rasender Geldentwertung doch Mittel und Wege gefunden, um einen stolzen, kostbaren Bau zu errichten, einen Bau, der jenem Kapitalismus dient, dessen Ende nach

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