Ein unerwartetes Geständnis. Christa Wagner

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Ein unerwartetes Geständnis - Christa Wagner

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verlaufen. Sie hatte kaum etwas erlebt, war nur selten aus dem Dorf rausgekommen, so gut wie nie in den Urlaub gefahren. Ihre Kontakte beschränkten sich im Großen und Ganzen auf die Dorfgemeinschaft.

      Simone kehrte mit dem Kaffee zurück, setzte sich und nahm einen kräftigen Schluck. Er tat ihr gut.

      Bärbel lächelte in sich hinein. »Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Hab dem Papa damals versprochen, dass ich keinem Menschen davon erzähle, auch dir nicht. Dir schon gleich gar nicht.«

      Simone horchte auf.

      »Aber in den letzten Monaten hab ich viel Zeit gehabt und hin- und herüberlegt. Es geht nicht anders, ich muss wohl mein Versprechen an Reinhard brechen. Heute ist die Gelegenheit. Alle anderen sind fort. Ich habe extra nur die Hälfte der Morphine genommen, damit ich mehr Kraft habe und nicht so leicht eindöse.«

      Berührt strich Simone ihr über die eingefallene Wange. »Ist es etwas Schlimmes?«

      Mutter lächelte. »Nein, eigentlich nicht. Ich habe dir ja schon immer viel von meiner Kindheit erzählt, mein Schatz, auch weil du so interessiert warst, du weißt eigentlich auch ziemlich alles.

      Aber eines hab ich ausgespart oder bei Nachfragen nur kurz und beiläufig erwähnt, das war meine Zeit in Würzburg, als ich bei Tante Alice gewohnt habe. Und erst jetzt habe ich mich entschlossen, dir davon wahrheitsgemäß zu berichten, denn sie hat mich sehr geprägt, mehr als alles andere.

      Für mich hat es damals, trotz meiner guten Noten, weder Schul- noch Berufsalternativen gegeben. Die Kreisstadt mit den höheren Schulen lag zu weit entfernt, um die Strecke mit dem Fahrrad bewältigen zu können; Schulbusse verkehrten erst viel später.

      Außerdem war ich als einziges Kind meiner Eltern dafür vorgesehen, ihren Hof weiterzuführen. So habe ich halt, wie viele andere Jugendliche aus dem Dorf, eine landwirtschaftliche Lehre absolviert.

      Meine Mutter, also deine Oma Marga, hatte damals schon eine Herzschwäche, und dein Opa war froh, wenn ich es war, die ihm bei der schweren Arbeit helfen konnte.

      Aber im Spätsommer 1966 veränderte sich meine Welt mit einer Kette von Ereignissen, von denen du keinerlei Ahnung hast. Damals war ich knapp achtzehn Jahre alt, hatte meine landwirtschaftliche Lehre bereits hinter mir und bewirtschaftete zusammen mit meinen Eltern unseren kleinen Hof.«

       2

      Ende August 1966 besuchte uns Tante Alice aus Würzburg. Ich freute mich immer, sie zu sehen, denn sie brachte mit ihrem Temperament frischen Wind in unser Haus. Sie war, wie du vielleicht noch weißt, Vaters Halbschwester, mehr als zehn Jahre jünger als er, schlank, modisch gekleidet, geschminkt.

      Wenn Vater sie diesbezüglich anspitzte, entgegnete sie schnippisch, als Verkäuferin im Kaufhof sei gutes Aussehen unverzichtbar, doch davon verstehe er wohl nichts.

      Als Alice diesmal an einem strahlenden Spätsommernachmittag ankam, lief Mutter ihr gleich entgegen und erklärte, ihr Bruder Erich sei im Weinberg.

      »Ach, Mensch, da würde ich auch gern mal wieder hin«, sagte Alice. »Nach der Autofahrt tut mir ein kleiner Spaziergang gut. Bärbel, kommst du mit?«

      Nichts lieber als das. Ich hätte ansonsten bloß wieder meiner Mutter helfen müssen: Hof kehren, putzen, Abendessen richten.

      Kaum hatten wir das Dorf hinter uns gelassen, zündete sich Alice eine Zigarette an, inhalierte und blies mit einem tiefen Wohllaut den Rauch wieder hinaus.

      »Herbstzeitlosen! Schau mal dort rüber, Tante Alice!« Ich zog sie mit an den Wegrand. »Es sind die ersten, die ich dieses Jahr sehe. Was für ein zartes Violett!«

      »Ja, wirklich schön, Bärbel. Aber sie sind eben auch ein Anzeichen, dass der Sommer bald vorbei sein wird.«

      Wir gingen weiter. Sie schaute mich an. »Ach, Bärbel, langweilst du dich denn nicht in diesem Kuhdorf? Vor zwanzig Jahren wollte ich nur noch weg von hier.«

      Ich kicherte: »Du hast auch nie so recht hierher gepasst. Sogar Vater gibt zu, dass die Stadt das Richtige für dich ist.«

      Sie grinste. »Na, dann muss es wohl stimmen.« Dann schaute sie mich fragend an. »Und wie ist das bei dir?«

      »Klar ist es hier oft öde. Aber was soll ich denn machen? Ich hab doch gar keine Wahl. Die Eltern schaffen die Arbeit nicht allein. Und Mama ist, wie du weißt, nicht die Gesündeste.«

      »Ist denn in Zukunft der kleine Hof überhaupt eine Lebensgrundlage für dich?«

      »Kaum. Das wissen auch meine Eltern.« Halb im Spaß fügte ich hinzu: »Aber Vater hofft, ich heirate einen von den großen Jungbauern, dann könnten wir die Höfe zusammenlegen.« Angesichts der Vorstellung schüttelte ich den Kopf und musste grinsen. »Und wenn das nichts wird, ist es das Mindeste, dass ich einen tüchtigen Handwerker heimbringe und den Hof als Nebenerwerb führe.«

      »Na, das sind ja vielversprechende Aussichten«, sagte Alice und schürzte die Lippen. »Aber jetzt mal im Ernst: Was möchtest du denn selbst? Hast du nicht manchmal das Bedürfnis rauszukommen aus diesem Kaff, irgendwo anders zu sein, vielleicht einmal Stadtluft zu schnuppern?«

      »Irgendwie schon. Aber ich hab ja nur Landwirtschaft gelernt. Das Jahr Fremdlehre auf dem Hof in Gnodsdorf war bereits ein Problem für die Eltern. Sie sind auf meine Hilfe angewiesen.«

      »Zum Donnerwetter noch einmal! Ich habe nicht deine Eltern gefragt, sondern dich.«

      Betroffen schwieg ich. Was wusste meine Tante schon, welche Rücksichten ich zu nehmen hatte.

      Alice legte ihre warme Hand auf meinen Arm. »Du bist eine gute Tochter, die beste. Aber hättest du nicht mal Lust, zu mir nach Würzburg zu kommen? Nur für ein paar Monate. Ich könnte dir einen guten Job vermitteln. Über den Winter könnten deine Eltern doch auf dich verzichten.«

      »Vater lässt das nicht zu. Du kennst ihn doch.«

      »Schon. Das wird sicher nicht ganz leicht. Aber wenn du wirklich willst …« Sie brach den Satz ab, wandte ihren Blick wieder mir zu.

      Ich nickte, so heftig ich konnte.

      »Gut! Lass nur mich mal machen«, sagte Alice zufrieden.

      Wir näherten uns dem Weinberg von der Bergseite her. Vor uns fielen die Drahtreihen mit den dichten, grünen Rebenzeilen steil den Hang hinunter. Alice zog noch einmal lustvoll an ihrer Zigarette und zertrat sie.

      Wir öffneten das schmale Türchen im Zaun und schlüpften hinein. Gleich links davon stand, an der höchsten Stelle des Grundstücks, ein von meinem Vater selbst gezimmertes Weinbergs-Häuschen, auf das er sehr stolz war. Wir ließen uns auf der Terrasse nieder. Vater war weiter unten im Weinberg zu sehen.

      Alice formte ihre Hände zu einem Trichter und rief: »Hallo, Erich. Hier sind zwei, die dich von der Arbeit abhalten wollen.« Sie seufzte: »Hatte ganz vergessen, wie himmlisch dieser Blick ist: das Aischtal, die Burg Hoheneck, die Frankenhöhe. Ein Traum!«

      »Ich dachte, es ist ein Kaff«, sagte ich grinsend.

      Alice knuffte mich in die Seite.

      Vater

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