Dorian van Delft. Wolfram Christ
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Nun, ich beherrsche ein wenig deutsch. Die Sprache unterscheidet sich nur geringfügig von der unseren. Beide entstammen der gleichen Wurzel. Französisch spreche ich fließend. Deshalb sehe ich mich in der Lage, den Wortlaut des merkwürdigen Gesprächs einigermaßen vollständig wiederzugeben. Ihr Anführer, ein Leutnant, begann mit der Befragung. Einer der beiden Sergeanten übersetzte:
„Wer sind Sie und wo kommen Sie her?“
„Was wollen Sie von uns?“
„Die Fragen stellen wir.“
„Binden Sie mich los und ich sag’s Ihnen vielleicht.“ Es setzte eine schallende Ohrfeige. Ging man so mit einem verbündeten Spitzel um?
„Falsche Antwort. Ich wiederhole: Wer sind Sie und woher kommen Sie?“
„Leck mich.“ Die nächste Ohrfeige. Ich hielt es für nötig, einzugreifen.
„Lassen Sie ihn in Ruhe!“ rief ich auf Französisch. „Ich trage hier die Verantwortung. Wenn Sie etwas wissen wollen, fragen Sie mich.“ Der Offizier schien unentschlossen, drehte sich nach kurzem Überlegen aber zu mir um.
„Gut Monsieur, dann lassen Sie mich eben Ihre Geschichte hören.“
„Ich nehme an, die kennen Sie besser als ich. Welcher feige Hund hat Sie beauftragt, mich aufzuhalten?“ Die dritte Ohrfeige traf mich. Ein heftiger Schlag. Meine Wange brannte und mein Kopf dröhnte.
„Was wollen Sie in Spanien?“ Ich nahm all meinen Mut zusammen und grinste ihn frech an.
„Sommerfrische, Mynheer. Wir sind holländische Sommerfrischler auf dem Weg ans Mittelmeer.“ Ich erwartete eine weitere Ohrfeige. Sie blieb aus. Stattdessen zog der Kerl seine Pistole, entsicherte und hielt sie mir an die Stirn.
„Wenn du kleiner Saboteur mich zum Narren halten willst, zeige ich dir, wie Le Grande Nation mit Verrätern umzugehen pflegt.“ Saboteur? Verräter? Was sollte das denn? Womöglich eine Verwechslung?
„Nichts für ungut, Herr Leutnant. Ich sag Ihnen alles. Aber Sie nehmen Ihren Schießprügel weg.“ Der Offizier grinste.
„Dachte mir, dass Sie für gute Argumente empfänglich sind. Ich nehme die Pistole weg. Aber seien Sie versichert, um die standrechtliche Erschießung kommen Sie sowieso nicht herum, wenn sich unsere Informationen bewahrheiten sollten. Ihre einzige Chance auf mildernde Umstände ist ein umfassendes Geständnis.“
„Was denn für ein Geständnis um Himmelswillen?“
„Euer Auftrag, Schätzchen. Wir kennen euren großen Zampano. Uns interessiert nur, welchen konkreten Auftrag er euch mitgegeben hat. Raus mit der Sprache! Wer seid ihr, was wollt ihr?“
Ich war perplex. Wie meinte er das mit dem Auftrag? Und von welchem „Zampano“ sprach er? Ingmarson konnte mir leider nicht helfen. Er sprach kein Französisch. Wahrscheinlich war es das Beste, die Karten auf den Tisch zu legen. Der Franzose wurde ungeduldig. Er spielte schon wieder mit dem Revolver.
„Wird’s bald?“
„Schon gut. Ich weiß zwar nicht genau, wie Sie das alles meinen, aber von mir aus. Mein Name ist van Delft. Dorian van Delft. Ich bin ein Händler aus Rotterdam. Sie können sich gern meine Reisepapiere ansehen. Der Mann neben mir ist der isländische Forscher und Archäologe Dr. Frans Ingmarson und der junge Mann, mit dem Sie zuerst so nett geplaudert haben, ist mein Diener Felix Bergmann.“
„Der Deutsche?“
„Keine Ahnung ob er Deutscher ist. Ich habe ihn als Holländer eingestellt.“
„Hübsche Tarnung. Und was genau plant ihr jetzt in Spanien?“
„Was wir planen? Nun so genau lässt sich das nicht sagen.“
„Klar, erst mal bisschen schnüffeln, wie?“
„Wenn Sie das so nennen wollen. Ich würde eher sagen, recherchieren. Wir wollen in Andalusien nach einer etwas schrulligen alten Frau suchen. Die Dame stammt aus der Heimat unseres Archäologen und verfügt über Kenntnisse, den Erdaufbau betreffend.“ Genauer musste der Kerl die Geschichte nicht kennen.
„Den Erdaufbau?“
„Ja, manche Leute wie unser Doktor betrachten sie als weise Frau, andere als Hexe. Deshalb hat sie Zuflucht in Spanien gesucht.“
„Eine Hexe?“
„Ja.“
„Aus Island?“
„Wenn ich es Ihnen sage.“ Was folgte, daran erinnere ich mir nur noch schemenhaft. Mich traf ein harter Schlag an den Kopf.
Anmerkungen von Dr. Frans Ingmarson, Rotterdam im Januar 1871
Dieser französische Offizier schreckte offenbar vor nichts zurück. Als er Mynheer van Delft den Pistolenknauf auf den Schädel hieb, dachte ich, dies sei das Ende. Van Delft sank sofort auf seinem Sitz zusammen und gab keinen Mucks mehr von sich. Nur die Handfesseln verhinderten, dass er zu Boden fiel. Völlig zusammengekrümmt hing er an den Stricken und kippte zur Seite. Blut floss aus einer klaffenden Wunde an der Schläfe. Als nächster bekam ich Schläge. Ich beteuerte zwar immer wieder, seine Sprache nicht zu sprechen, aber der Franzose verstand mich natürlich ebenso wenig wie ich ihn und sein Dolmetscher sprach wohl nur deutsch. Ich wünschte mir, ich könnte sterben. So schön schnell wie Mynheer van Delft. Wäre ich bloß auf unserer Insel geblieben. Gott sei Dank mischte sich Fridolin ein.
Erinnerungen von Fridolin Bergmann, Rotterdam im Januar 1871
Um ganz ehrlich zu sein, ich kapierte das alles nicht. Erst schlagen sie meinen Herrn zu Brei, dann verprügeln sie den Doktor. Warum? Ich konnte den Mund nicht halten und brüllte den Franzmann wütend an.
„Hören Sie auf mit dem Unsinn! Der Mann versteht Sie nicht. Der ist Isländer und spricht nur isländisch. Dazu etwas niederländisch, englisch und Latein, soviel ich weiß. Aber mit Fremdsprachen haben Sie’s ja nicht so. Wenn Sie was wissen wollen, reden Sie mit mir!“ Tatsächlich hörte der Kerl auf und wandte sich mir zu.
„Interessant. Der vermeintliche Diener meldet sich zu Wort. Wollen Sie mir wenigsten die Wahrheit sagen, mein Herr?“
„Die Wahrheit haben Sie von Mynheer van Delft schon gehört. Wenn Sie uns nicht glauben, ist das Ihr Pech.“
„Pech? Da lachen ja die Hühner. Ich schätze, Sie haben Lust, die nächste Tracht zu beziehen. Richtig?“ Er machte eine Drohgebärde. Ich zeigte mich unbeeindruckt.
„Falsch. Ich bin Kammerdiener und stolz darauf. Im Gegensatz zu Ihnen helfe ich Menschen