Dorian van Delft. Wolfram Christ
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Unterwegs schmiedeten Doktor Ingmarson und ich bereits eifrig Pläne, wie uns unser weiterer Weg nach Granada führen sollte. Denn nach Tariks Erzählungen, auf die ich hier nicht weiter eingehen will, sind wir uns nahezu vollständig sicher, dass genau dort die Trollhexe zu finden sein muss. Wobei ich den Namen „Trollhexe“ nicht mehr verwenden darf. Ingmarson bat mich darum. Soviel wir bisher über die Wahrsagerin in Erfahrung bringen konnten, neigt er dazu, sie ein für allemal „Kassandra“ zu nennen. Er ist in das Weib regelrecht vernarrt. Dabei kennt er sie gar nicht persönlich. Ich lasse ihm seinen Willen. Er hat ja recht. Ehre, wem Ehre gebührt.
In Rotterdam angekommen, erwartete mich eine böse Überraschung. Neue Einfuhrbeschränkungen und Zölle für maritime Erzeugnisse, die nicht von holländischen Fischern stammen. Egal, ob sie hierzulande überhaupt zu erlangen sind oder nicht. Gieriges Bürokratenpack! Sogar mit meinen Robbenpelzen erziele ich nur mäßige Gewinne. Einerseits überschwemmen wieder einmal die Russen den Markt mit billigen Rauchwaren, andererseits verdirbt die Rivalität zwischen Preußen und Franzosen jegliches Börsengeschäft. Es riecht nach Krieg. Die spanische Krone ist vakant. Beide Großmächte wittern ihre Chance. Sie lassen die Muskeln spielen.
In ihrer Angst agieren unsere Händler vorsichtig. Wenigstens bei Luxusgütern. Sowohl der Norddeutsche Bund als auch das französische Kaiserreich sind wichtige Absatzmärkte. Ihr schwelender Konflikt schneidet uns vom Rest des europäischen Festlandes ab. Ich hätte meinen Pittsburgher Stahl lieber direkt nach Hause bringen sollen. Eisen erzielt in unruhigen Zeiten immer höchste Preise.
Am enervierendsten benimmt sich allerdings mein lieber Dr. Frans Ingmarson. Seitdem er wieder Herr seiner selbst ist, überschwemmt er mich fast täglich mit Sonderwünschen: Schaufeln, Lupen, Pinzetten, Kerzen, Fackeln, Papier, Bleistifte und weiß der Kuckuck was alles. Ich habe ihm jetzt ein festes Budget gesetzt. Mit dem muss er auskommen. Außerdem habe ich ihm einen meiner Lagerarbeiter zugewiesen, der ihm den ganzen Krempel schleppen hilft. Bis zur Abreise.
Unsere Reisegesellschaft selbst soll möglichst klein bleiben. Arbeitskräfte und sonstige Helfer werden wir sicher vor Ort finden. Tarik hat uns einen Begleitbrief an seine Verwandten mitgegeben. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, wird er obendrein einen Boten voraussenden. Also reicht es, wenn uns mein neuer Kammerdiener begleitet.
Der Knabe heißt Fridolin und genauso sieht er aus. Pausbäckig, rotblond mit Stubsnase und Sommersprossen. Keine Schönheit. Ich muss ihn mal fragen, ob seine Mutter aus Irland stammt. Väterlicherseits ist er wohl Deutscher. Sein Familienname lautet Bergmann. Allerdings spricht er akzentfrei niederländisch, weswegen ich es bei seinem Vorstellungsgespräch versäumte, ausdrücklich zu fragen. Muss ich demnächst nachholen.
Fridolin ist etwa fünfzehn Jahre jünger als ich, Mitte zwanzig. Er versteht sein Handwerk blendend. Ein Mann, passend für unsere Zwecke. Jedenfalls auf den ersten Eindruck. Für eine anstrengende, langwierige Reise brauche ich keinen distinguierten Butler englischen Zuschnitts, der sich die Hände nicht schmutzig macht und bestenfalls das Personal zu kujonieren versteht. Wir brauchen einen Menschen mit Herz und Verstand, einer Portion Abenteuerlust und kräftigen Muskeln. Auf diese Arbeitsplatzbeschreibung passte Fridolin von allen Bewerbern am besten.
Ich hoffe, dass wir bald zum Aufbruch bereit sind. Warum die Eile? Ganz klar, jetzt, wo schon so viele von unserem Vorhaben wissen, könnte es auf jede Stunde ankommen. Nur wenn wir die ersten sind, die Kassandra finden, werden wir Nutzen aus dem Geschäft ziehen. Außerdem bin ich neugierig, wie die Geschichte ausgeht.
Gott sei Dank muss ich mich nicht um Johanns Verwandte kümmern. Die wissen noch gar nichts von ihrem „Glück“. Sie wohnen draußen in der Provinz und bekommen nicht viel mit von dem, was bei uns in der Stadt passiert. Jasper wird ihnen am Sonntag einen Kondolenzbesuch abstatten und bei der Gelegenheit Johanns zurückgelassene Habseligkeiten und von mir einen Scheck überreichen.
Tagebuch des Dorian van Delft Sonntag, 5. Juni anno Domini 1870, Rotterdam, in meinem Schlafgemach
Immer noch daheim. Es ist wie verhext. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ständig türmen sich neue Hindernisse auf, die der Reise entgegenstehen. Ob die Trollhexe, pardon, Kassandra, nicht will, dass wir sie finden? Mal hängt es an Visums- oder Zollformalitäten, dann wieder meldet sich unverhofft ein wichtiger Geschäftspartner, dessen Anliegen keinen Aufschub duldet. So wie es aussieht, sitzen wir mindestens weitere vierzehn Tage in Rotterdam fest. Es ist zum Haare raufen. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät.
Tagebuch des Dorian van Delft Montag, 20. Juni anno Domini 1870, Flandern, in einer Postkutsche,
Vor ein paar Minuten haben wir die belgische Grenze passiert. Endlich! Es ging ohne größere Verzögerungen ab. Die Mühen der vergangenen Wochen waren nicht umsonst. Mein Kontorist hat einfach an alles gedacht. Die Papiere sind tadellos. Am interessantesten fanden die Zöllner unsere vielen Arbeitsutensilien. Weil sich Frans Ingmarson jedoch als Archäologe ausweisen konnte und unser Reiseziel nicht in Belgien liegt, verzichteten die Beamten auf langes Prozedere.
Wir haben uns für den Landweg entschieden. Zum einen wegen der Anfälligkeit meines Wikingers bei Wellengang, zum anderen gibt es eine Eisenbahnlinie von Brüssel nach Paris und von da weiter nach Südfrankreich. Praktisch gesprochen:
Wir erreichen Brüssel voraussichtlich gegen Abend. Von dort nehmen wir ein Schlafwagenabteil im Nachtzug und sind schon am nächsten Morgen in Paris. Jasper hat die Billetts telegrafisch bestellt. Unglaublich, was mit moderner Technik alles möglich ist. In Paris kümmern wir uns um eine schnelle Anschlussverbindung und wenn alles gut geht, sind wir in zwei Tagen in den Pyrenäen. Das schafft kein Schiff und keine Kutsche! Ich freue mich auf meine erste Zugfahrt. Bin gespannt, ob ich in so einem stählernen Ungetüm schlafen kann.
Wie heute Morgen in der Zeitung stand, hat Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen gestern erklärt, er sei bereit, die spanische Krone anzunehmen. Es ist ja nun schon die zweite Offerte der Madrider Übergangsregierung nach Ende des Bürgerkrieges. Ich nehme an, Bismarck hat ihm in den Allerwertesten getreten, damit er nicht wieder kneift. Napoleon wird schäumen! Hoffentlich beeinträchtigt der Thronstreit nicht unsere Pläne.
Tagebuch des Dorian van Delft Mittwoch, 22. Juni anno Domini 1870, im Zug von Paris nach Toulouse
Grandios! Wir fliegen förmlich über Felder und durch Wälder dahin. So schnell schafft das kein Jagdwagen der Welt. Nicht mal vierspännig. Und dabei ist so eine Eisenbahnfahrt erstaunlich ruhig. Nur das sanfte klack-klack, klack-klack der Schienenstöße spürt man. Aber das ist nicht halb so enervierend wie das Geholper einer Kutsche auf Kopfsteinpflaster oder gar ungepflasterten Waldwegen.
Wir reisen natürlich erster Klasse. Jedenfalls Doktor Ingmarson und ich. Fridolin sitzt hinten in der vierten Klasse. Ganz in der Nähe des Gepäckwagens. Von dort aus kann er besser die Verladung unserer Koffer überwachen. Er hatte bislang wenig Arbeit. Überall wo wir hinkamen standen sofort dienstbare Geister auf dem Perron, die beim Ein- und Ausladen behilflich waren.
Ich habe von Paris aus die östliche Route über Andorra gewählt, obwohl die etwas länger ist. Das kleine Pyrenäenfürstentum fehlt mir bislang in meiner persönlichen Sammlung kurioser Reiseziele. Außerdem scheint mir die dortige Passstraße zuverlässiger. Im Westen machen seit ein paar Jahren baskische Sezessionisten die Gegend unsicher.
Uns gegenüber im Abteil sitzt eine elegante Pariserin mit ihrer Zofe. Sehr aparte Person. Doktor Ingmarson hat sie gleich in ein kleines Gespräch verwickelt. Irgendwie schreckt der Kerl vor nichts zurück. Ich hätte mich nie getraut, die Dame ohne vorherige offizielle Vorstellung anzusprechen. Aber so sind diese