Dorian van Delft. Wolfram Christ
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Dorian van Delft - Wolfram Christ страница 4
„Er ist zweifellos älter.“
„Eben. Rein wissenschaftlich betrachtet: Wenn es ein übermenschliches Wesen gibt, und wir reden ja letztlich in unserm christlichen Glauben außerdem von Engeln und Teufeln, müssen also gar nicht nach den alten Griechen, Römern oder Indern schauen, was sollte uns daran hindern zu vermuten, dass die Überlebende von Pompeji nicht ein ebensolches übermenschliches Wesen ist? Vielleicht ist sie ein Engel, der genau darum in der Stadt weilte. Um die Menschen zu warnen.
Denken Sie an Kassandra, die Königstochter von Troja. Ihr war es bestimmt, die Zukunft exakt vorherzusehen. Allein, keiner glaubte ihr. Das war ihr Fluch. Was, wenn es sich um die gleiche Frau handelt? In Troja, in Pompeji und wer weiß wo sonst überall? Was, wenn diese Frau womöglich gar eine Verkörperung der antiken Erdmutter Gaja darstellt?
Winken Sie nicht ab. Woher wollen Sie wissen, dass die heidnischen Völker des Altertums nicht letztlich die gleichen himmlischen Wesen wie wir heute anbeteten, nur dass sie ihnen törichterweise andere Namen gaben? Aus Unwissenheit. Bedenken Sie, Jesus von Nazareth und seine Jünger waren zu Zeiten des Trojanischen Krieges noch nicht geboren und die Israeliten ein unbedeutender kleiner Stamm in der Wüste.
Nehmen wir also an, diese seltsame Frau ist wahrhaftig von Gott dazu ausersehen, den Wesen seiner Schöpfung behilflich zu sein, Naturkatastrophen und andere Gefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen auszuweichen. Nur dass ein teuflischer Zauber sie dazu verdammt, dass niemand jemals ihren Warnungen Glauben schenkt. Wo immer sie erscheint, verschließen die Leute ihre Ohren und Türen. Das ist Kassandras Dilemma, ihre Tragödie.“
„Und warum sollte sie dann ausgerechnet nach Island gehen und sich in einer Höhle verstecken?“
„Aus Enttäuschung. Aus Enttäuschung darüber, dass ihr Tun und Handeln nie einen Widerhall fand. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Aufgabe und können Sie Ihr Leben lang nicht erfüllen. Stellen Sie sich vor, Mr. Atkins, Sie wären Admiral, sollen eine Flotte über den Ocean führen, aber jedes dieser stolzen Schiffe sinkt unweigerlich nach wenigen Tagen. Würden Sie nicht verzweifeln?“
„Ich würde mir das Leben nehmen, Sir. Auch auf die Gefahr ewiger Verdammnis hin. Das könnte ich nicht ertragen. Die vielen toten Seeleute und Passagiere.“
„Sehen Sie, und so geht es unserer vermeintlichen Trollhexe. Sie muss jedes große Sterben vorhersehen, ohne etwas dagegen tun zu können. Sie leidet darunter, ist aber als göttliches Wesen zu Unsterblichkeit verdammt. Folglich ist auch ihr Leiden ewig. Was bleibt ihr übrig?“
„Das klingt logisch“, mischte sich der Kapitän ein. „Der einzige Fleck, wo sie keinem anderen Menschen begegnet, dem sie den Untergang prophezeien könnte, ist eine eisige Höhle auf einer gottverlassenen, menschleeren Vulkaninsel am Ende der Welt. Entschuldigen Sie, Mr. Ingmarson, wenn ich das so sage, aber zu Zeiten Pompejis, lange bevor die Wikinger kamen, war Island mit Sicherheit der entlegenste Flecken, den sie sich vorstellen konnte.“
„Sie müssen sich nicht entschuldigen, Kapitän. Ich nehme Ihnen Ihre Äußerung nicht übel, denn sie entspricht der Wahrheit. Exakt so muss es sich zugetragen haben.“
„Aber warum konnte Erik sie verstehen? Warum nahm er ihre Worte ernst?“ Der zweite Offizier blieb skeptisch.
„Das, lieber Atkins, kann Ihnen niemand beantworten. Vielleicht besaß er eine besondere Gabe. Vielleicht konnte die Frau ihn überzeugen. Vielleicht war die Zeit einfach reif für neue Erkenntnisse. So etwas gibt es in der Wissenschaft nicht selten. Jahrzehnte, Jahrhunderte lang ist der Blick der forschenden Gesellschaft wie vernagelt. Plötzlich, aus dem Nichts, taucht ein Genius auf. Mit einem Mal liegt die Lösung vermeintlich großer Rätsel glasklar vor diesem Manne ausgebreitet und der Rest der Menschheit wundert sich, warum vorher niemand darauf gekommen ist. Obwohl sie im Nachhinein furchtbar simpel wirkt. Denken Sie an Heißluftballone. Oder an die Dampfmaschine. So lange sich unsere Erde dreht, sah bestimmt jeder irgendwann einmal heiße Luft aus dem Kochtopf aufsteigen, Dampf den Deckel beiseite drücken. Und wie lange dauerte es, bis es gescheiten Leuten einfiel, diese Phänomene nutzbar zu machen?“
„Aber wie kamen Sie bei Ihren Recherchen ausgerechnet auf Pompeji? Wie darf ich mir die Hinterlassenschaften der Trollhexe vorstellen?“ wollte ein Händler wissen, der mit uns reiste.
„Tontafeln“, erwiderte mein „wissenschaftlicher Mitarbeiter“. „Ich fand in der Höhle eng mit Runen beschriebene Tontafeln, deren Form und Größe an das alte Babylon erinnern, die jedoch detailliert den Ausbruch des Vesuvs beschreiben.“
„Ha!“ triumphierte Atkins. „Jetzt habe ich Sie! Runen. Wie passen Wikingerrunen zu einer römischen Botschaft, die auf babylonische Art und Weise niedergeschrieben wurde? Das muss eine Fälschung sein. Ganz unzweifelhaft!“
Im Nu war ich hellwach. Hatte ich bis jetzt den mir nur allzu bekannten Ausführungen mit mäßiger Aufmerksamkeit gelauscht und kurz vor dem Hinüberdämmern in ein wohltuendes Nickerchen gestanden, ließen mich die Worte des Offiziers geradezu hochschrecken. War ich womöglich einem raffinierten Schwindel aufgesessen? Der Doktor, ein abgefeimter Betrüger? Misstrauisch sah ich mich in der Runde um.
Der andere Händler nickte zustimmend. Entdeckte ich in seinen Zügen gar ein hämisches Grinsen? Selbst der sonst so kühle Kapitän mit seinem Pokerface zog die Augenbrauen hoch und sah sich zu einem lobenden Kommentar genötigt.
„Nun, die Beweisführung von Mr. Atkins scheint mir absolut schlüssig und überzeugend. Was haben Sie darauf zu erwidern, Doktor Ingmarson?“ Ich gestehe, dass mir das Herz in die Hose rutschte. Wie würde er reagieren? Noch hatte ich die Chance, unser Unternehmen in Rotterdam abzubrechen. Noch waren mir kaum mehr Kosten entstanden als mit jedem anderen Kammerdiener.
Erstaunlicherweise reagierte Ingmarson überhaupt nicht. War er so eiskalt? Beherrschte er seine Gefühle einfach perfekt oder konnte ich aufatmen, weil er sich den Vorwurf zu entkräften in der Lage sah? Der Mann ließ mich und alle anderen lange zappeln. Seelenruhig entzündete er sein Pfeifchen und lehnte sich genüsslich schmauchend zurück. Die Spannung im Raum war mit Händen zu fassen, die Stille erschien mir unerträglich. Unendlich lange Sekunden vergingen, eher er zu einer Antwort ansetzte.
„Sehen Sie, meine Herren, so leicht kann es sein. Moderne Schrift, historische Technik und eine Botschaft, die irgendwo dazwischen liegt. Fertig ist der Betrug. So darf ich Sie doch verstehen, Mr. Atkins?“
„Nun“, der junge Mann zögerte unsicher, „ich wollte Ihnen mit meiner Feststellung keinen Betrug unterstellen. Höchstens einen Irrtum. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Aber wäre es nicht möglich, dass Ihnen ein übler Streich gespielt wurde? Vielleicht von einem neidischen Konkurrenten?“
„Lieber junger Freund, ich befürchte, Sie lesen die falschen Bücher und Zeitschriften. Versuchen Sie bitte, Ihre persönlichen Erfahrungen auf eine Unsterbliche zu übertragen. Ich frage Sie: Welche Mitteilungstechnik verwenden Sie selbst? Wie schreiben Sie? Ist es nicht jene Schreibtechnik, die man Ihnen in frühester Jugend gelehrt hat? Mit Feder und Tinte auf Papier?“
„Nun …“
„Ja oder nein?“
„Ja.“
„Gut, Sie haben seither viele neue Worte gelernt, nicht wahr? Wenn ich richtig orientiert bin, durften Sie sogar fremde Sprachen studieren. Niederländisch, deutsch. Sprachen, die Sie hier an Bord bisweilen benutzen. Und warum?“
„Um mich Passagieren oder Seeleuten aus diesen Ländern