Die Heimat. Paul Keller
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Frau Glase blähte sich vor Stolz und Überlegenheit.
„Was ich weiss, weiss niemand“, sagte sie kühl.
Nun brach das Chaos wieder los.
Das wäre doch unrecht, so was nicht zu sagen. Man hätte doch keine Geheimnisse. Es wär’ doch nichts dabei. Überhaupt sei das gar nicht recht, erst so zu tun. Weitergesagt würde doch nichts. Es seien doch alle immer sehr freundlich zur Glasen gewesen. Eine habe gar bei ihr Pate gestanden. Und sie seien doch unter sich. Oder vielleicht wisse sie überhaupt nichts. Das letzte Argument allein zündete; Frau Glase richtete sich auf. Sie sah die Zweiflerin verächtlich an und wandte sich darauf an die Allgemeinheit.
„Aber, dass ihr nischt weitersagt!“
Über ein Schock Finger fuhr beteuernd nach der Gegend des Schürzenlatzes.
„Ich hab’ durchs Fenster gesehen, bloss wegen des Jungen, es tut einem leid um das Kind, es war ganz durchnässt ...“
„Natürlich tut’s einem schrecklich leid. Weiter!“
„Na, also da war erst der Berger allein und dann ...“
„Dann? Weiter, Glasen!“
„Dann kam die Frau.“
„Wir haben sie gesehen! Wir haben ja gesehen! Weiter, Glasen! Dann kam die Frau. Und, und was war da?“
Frau Glase machte eine Kunstpause und weidete sich an der Spannung ihrer Mitschwestern. Ein so grosses und stolzes Gefühl hatte sie noch nie empfunden in ihrem Leben.
„Weiter, Glasen! Erzähl doch weiter!“
„Um den Hals genommen hat a sie.“
„Um den Hals genommen!“ Da wieherten sie.
„Um den Hals genommen und geküsst!“
„Geküsst!“
Das Wort kam von allen zu gleicher Zeit. Dann war es still. Es arbeitete zu sehr in diesen Weibern; sie konnten nicht reden. Schreck, Freude, Sensationslust fuhren wie ein jäher Sturm über ihre flachen Seelen, und der eigene Schlamm rührte sich und warf Blasen. Allmählich nur beruhigten sie sich. Aber jetzt waren sie stiller. Sie traten dichter zusammen und tuschelten und raunten und taten entrüstet und verbargen ein Lachen, und waren alle sehr vergnügt.
Ein Riese nahte der Gruppe; er trug zwei schwere Eimer mit Wasser in den Händen. Schweigend, ohne auch nur hinzusehen, wollte er vorübergehen.
Da drang ein Laut an sein Ohr, der ihn verwirrte. Er machte ein unbeholfenes Gesicht und glaubte, er habe sich getäuscht; aber ein zweites und drittes Wort fing er wider Willen auf. Da wurden ihm die Eimer schwer, und er stellte sie auf die Erde. Noch so ein böses Wort, noch eins. Da reckte sich der Riese.
„Dreckschleudern, sauelendige! Wollt ihr die Fresse halten! Wollt ihr wohl gleich die Fresse halten?!“
Und ein Eimer eiskaltes Wasser ergoss sich über die Köpfe der Weiber, ihm folgte blitzschnell der zweite.
Kreischen, Gellen, eilige Flucht, Lachen oder auch zornige Zurufe der Männer, und August Reichel, der Schaffer, stand allein und zitterte zum ersten Mal in seinem Leben.
Eine Weile stand er ganz stumm und dumm da. Hilflos blickte er in die leeren Eimer. Es war richtig, er hatte sie ausgegossen und eine laute lange Rede dazu gehalten. Es wunderte ihn, dass er etwas gesagt hatte. Das Ausgiessen fand er ohne weiteres in Ordnung. Einem Manne, der lachend herankam und fragte, was denn der Schaffer mit den Weibern habe, gab er keine Antwort. Er ergriff nun seine Eimer und ging verdrossen nach dem Bache zurück, von wo er gekommen war.
Es soll wenig so peinliche Dinge auf der Welt geben, wie wenn jemand, der gerade mit Lust und Begeisterung schimpft, unvermutet mit Wasser begossen wird. Bei irgendeinem Heidenvolke hatte einmal der Gott der Gerechtigkeit den Einfall, das unverhoffte Wasserbad vom Himmel aus für alle schimpfenden und verleumdenden Menschen einzuführen; aber der Gott der Weisheit widerriet ihm und sagte, da käme die Welt aus der Sündflut nicht mehr heraus.
Ein Teil der Weiber schlich still nach Hause. Das waren jene, die nicht bloss froren, sondern sich auch schämten; denn es waren auch viele gutmütige dabei. Die anderen liefen zu ihren Männern und schimpften mehr als zuvor, und die Männer nahmen sich der durchnässten Ehefrauen an und schimpften mit.
So hatte August Reichel, der dumme, gute Riese, mit seinen zwei Eimern Wasser nichts gelöscht, er hatte nur Öl in ein böses Feuer geschüttet.
Die Aufgeregten zogen sich ein wenig zurück und standen beratend beieinander.
Und es kam einer heran, der bisher mit offenem Munde und blöden, glänzenden Augen ganz dicht am Feuer gestanden hatte – Gustav Schräger, der idiotische Sohn des Gastwirts. Immer nach drei Schritten blieb er stehen und starrte in die lodernde Glut. Und dann reckte er die Hände in die Luft, als wolle er die Flammen aneifern, immer höher emporzuschlagen.
„O je, es wird kleiner! Es ist nicht gross! Uff! Uff! Hu! Brr! Aah!“
Die Weiber deuteten auf den Idioten und lachten. Dann riefen sie ihn an. Er kam langsam näher, grinste und sagte ganz unvermittelt:
„Der Herr Raschdorf hat’s angezündet!“
Die Gesellschaft schrak bei diesem Wort zusammen.
„Gustav, wirste still sein! Das sagt man doch nich! Aber Gustav!“
Der Idiot schnitt eine Grimasse.
„Ich weiss es! Er hat’s angezündet! O! Ah! Dort, das is fein! Hoch! Hoch! Brr!“
Er wollte wieder zum Feuer zurück, aber ein Weib hielt ihn am Arm fest.
„Wie kannste denn sowas sagen, Gustav? Das darfste doch nich.“
Er sah sie grinsend an: „Es is schön! Und es wird noch ein Mann verbrennen! Pass auf! Und sie werden ihn tragen! Siehst du! Siehst du! Dort! Ooh – ooh!“
Er wollte sich losreissen, aber das Weib hielt ihn fest.
„Gustav, du musst’s uns sagen. Wie kannste denn sagen: der Herr Raschdorf hat’s angezündet? Du wirst ja eingesperrt, wenn das ’rauskommt.“
Der Idiot sah sie an und zog ein weinerliches Gesicht. „Ich lass mich nich einsperren! Ich will nich! Ich will zum Feuer! Ich sag’s meinem Vater! Lass mich doch los! Du zwickst mich in meinen Arm!“
„Aber woher weisste denn das vom Herrn Raschdorf, Gustav?“
„Er will mich ’rausschmeissen! Gar nischt zu sagen! Es war kalt! Es war so kalt!“
„Aber a hat doch nich angezündet?“
„A hat’s gesagt. A hat gesagt, a zünd’t an. Lass mich los! A hat’s gesagt! Und ich soll ’raus – ’raus – du zwickst mich so – alte Gans!“
Der Idiot brach in Heulen aus. Vergebens versuchten die Weiber, ihn zu beruhigen. Er riss sich los und lief