Die Heimat. Paul Keller
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Mathias Berger nahm wieder das Wort.
„Sehn Sie, Herr Kantor, das ist ja eigentlich nicht meine Sache. Es geht mich gar nischt an. Aber Sie wissen ja, ich bin Ihn’n viel Dank schuldig. Wie ich a blutarmer Junge war, ohne Vater und Mutter, da haben Sie mich aufgenommen und mich grossgefüttert. Das vergess’ ich nich, und wenn ich hundert Jahr werd’. Was mir das jetzt leid tut, kann ich gar nicht sagen. Aber, Herr Kantor, der Herr Raschdorf sollte sich nich mit ’m Schräger einlassen. Das is a grundschlechter Kerl!“
„Der Gastwirt? Ach nein, Berger! Der hat ja meinem Schwiegersohn immer noch ausgeholfen, wenn’s einmal fehlte.“
„Ausgeholfen, Herr Kantor! Warum denn? Warum denn? Weil a ihn nach und nach ganz in seine Gewalt kriegen will. Bloss darum! Ich sag Ihnen, dem dicken Kerle wird erst ganz wohl sein, wenn a beide Höfe hat. Darauf spekuliert a, darauf hat a’s abgesehn! Schräger is Raschdorfs grösster Feind!“
Der alte Kantor schüttelte unwillig den Kopf.
„Das müssen Sie nicht sagen, Berger, das ist unrecht! Schräger hat sein Geld auf die letzte Hypothek gegeben. Der ist ein Freund von meinem Schwiegersohn.“
Mathias Berger erhob sich.
„Na, da – da tut mir’s leid, dass ich was gesagt hab’.“
„Setzen Sie sich, Berger, setzen Sie sich doch wieder! Sie sehen zu schwarz. Der Schräger und mein Schwiegersohn sind Freunde. Sie sind zusammen in die Schule gegangen, sie sind zusammen aufgewachsen. Schräger ist nicht schuld. Das ist halt Unglück, Berger, schreckliches Unglück! O Gott, ich weiss ja nicht, was werden soll! Fünftausend Taler! Und mir hat er immer nichts gesagt, wie’s steht, nichts!“
Eine Pause entstand. Beide Männer starrten vor sich hin.
„Um Ihre Tochter tut mir’s leid“, sagte Berger endlich leise.
Der alte Lehrer wandte sich ab.
„Und um den Jungen, um den Heinrich! Heute sagt a mir, a will nich studieren; a will Bauer werden – übernehmen die Wirtschaft –, das is ja a Jammer.“
Ernst und gross wandte der Alte die Augen dem schlichten Manne gegenüber zu.
„Ich hab’ ein Unrecht begangen, Mathias – ich, nicht der Schräger. Ich musste dem Raschdorf die Anna nicht geben. In so einem Gut muss Geld sein! Was waren da die paar Pfennige, die ich ihr mitgeben konnte? Gar nichts! Gar nichts! – Und nun ist das Elend da. Ich bin schuld daran, Mathias, – ich!“
Berger richtete sich auf.
„Herr Kantor, nehmen Sie’s nich übel, aber das is – das is Unsinn, was Sie da sagen! Sie sind nich schuld! Der Raschdorf stand sehr gut da. Der brauchte keine reiche Frau. Bei dem ging’s ohne Mitgift. Aber wie hat a gelebt? Wie a gnädiger Herr! Immer oben ’raus! Und das Schlimmste: a hat sich mit dem Schräger eingelassen, und das is und bleibt a Malefizlump, und wenn a noch so scheinheilig tut, und wenn Sie noch so für ihn reden.“
Der Kantor schüttelte den Kopf.
„Es wäre schlecht, Mathias, einem zweiten die Schuld zu geben, wenn uns ein Unglück trifft. Und selbst, wenn er ihm zugeredet hat, wer konnte das ahnen? Den Ausgang konnte niemand wissen. Es ist eine bittere Sache, Mathias, wenn man alt ist und ein einziges Kind hat, und dem geht’s so!“
Als der Lumpenmann heimging, lag die Sommernacht über dem schlummernden Dorfe. Ernte! In schweren, schwülen Zügen atmete draussen das todgeweihte Feld.
Mathias Berger blieb stehen und sah noch einmal nach dem Schulhause zurück, das ihm in seiner Kindheit ein zweites, besseres Vaterhaus gewesen war, und wohin ihn auch jetzt noch eine leise Sehnsucht immer wieder führte. Er liebte den alten Mann dort, der so gutmütig und kurzsichtig war, dass er die Bosheit der Menschen nicht erkannte, nicht die Bosheit, aber auch nicht die geheimen, tiefen Leiden, die dicht neben ihm bluteten.
Als bettelarmes Kind hatte ihn der Kantor aufgenommen in sein Haus, ihn erzogen, ihn auch ausser der Schulzeit unterrichtet. Da war der Mathias mit der Schul-Anna zusammen aufgewachsen, und sie hatten gelebt wie Bruder und Schwester. Später ging Mathias als Bergmann in die Grube. Aber wenn er einen freien Sonntag hatte, war er im Schulhause. Da war leise, während er heranwuchs, die Liebe in sein Herz gekommen. Es hatte niemand was gewusst, nicht der Kantor und auch nicht die Anna. Es wäre ja so schrecklich frech und undankbar gewesen, wenn er etwas davon gezeigt hätte, er, der arme Kohlenschlepper.
Bis sie sich verlobte. Da war es zu Ende gewesen mit seiner Fassung. Er brachte es nicht mehr über sich, ins Schulhaus zu gehen. Und damals hat es dann die Anna gewusst. Der Kantor hat sich bloss gewundert und über den Abtrünnigen geärgert.
Ach, die schwere Arbeit in der Kohlengrube. So allein sein in den düsteren Stollen unter der Erde und gar keine Hoffnung haben für alle Zukunft. Das hielt Berger nicht aus.
Ein Verwandter von ihm starb und hinterliess ihm ein Häuslein und das Lumpenhandelgeschäft. Der Kantor wollte von dem Berufswechsel nichts wissen; aber Mathias war froh, dass er nun immer im Freien sein konnte, herumwandern in der Welt bei vielen Leuten und nicht mehr allein sein musste mit seinem Herzenskummer. Da wurde er allgemach wieder ruhiger und heiterer. Nach einigen Jahren heiratete er ein braves Mädchen. Er hatte ihr keine trübe Stunde bereitet, sie ihm auch nicht. Aber sie starb schon nach einem Jahr, als die Liese geboren wurde.
Da war er wieder einsam. Und über Ehe und Grab kam manchmal in stillen Stunden aus der Jugendzeit die alte Liebe wieder, ganz wunschlos, aber doch schmerzhaft tief – so wie heute, da sie krank und schwach nun doch der Armut entgegengehen sollte, der Armut, die allein ihm einstmals verbot, sie zu begehren.
Von fernher kam ein Gewitter, und Mathias ging heim.
Anfang des nächsten Oktober kam Heinrich wieder nach Hause. Es waren Herbstferien. Ein Dienstjunge holte ihn mit einem kleinen Korbwagen vom Bahnhof ab. Die grossen, schwarzen Augen des Knaben hingen unverwandt an den heimischen Bergen. Immer, wenn er von der flachen Oderebene da unten kam und zum ersten Male wieder die Hügel des prächtigen, reichgegliederten Waldenburger Berglandes aufsteigen sah, schlug sein Herz schneller, gerade als ob auf den einsamsten jener Berge ein heiliger Friede wohne, wo allein alle Bangigkeit gestillt und alle Sehnsucht vergessen würde.
Und doch war die Landschaft trübe. Die bunten Blätter zitterten an den Bäumen, und weisse Nebelschleier zogen über die leeren Wiesen. Die Weiden standen wie gebückte, krumme Greise an den Bächen und Teichen, als wollten sie sich hinunterstürzen und sterben. Und der Wind sang in den hohen Pappeln am Wege ein Lied vom fernen Sommer und von toter Freude.
Aber es war die Heimat, die Heimat, die dieser Knabe schmerzhaft liebte, an die er alle Tage dachte, da er ihr fern sein musste.
Langsam fuhr der Wagen die sandige Strasse entlang. Der Kirchturm des Dorfes ragte auf; da lief ein Zittern über die Gestalt des Kindes, und die feine Gestalt reckte und dehnte sich, mehr zu sehen, mehr von der Heimat. Dann kam ein Grenzweg, und nun war Heinrich Raschdorf auf väterlichem Boden. Ein glückseliges Leuchten brach aus seinen Augen. Jetzt war es aus mit Sehnsucht, Heimweh und Herzeleid, jetzt fühlte er sich sicher und geborgen. Hier auf heimischer Erde wäre er dem gefürchtetsten Lehrer sicher und lächelnd entgegengetreten; hier hätte er sie nur einmal haben mögen, alle seine Mitschüler; beide Hände würde er ausstrecken und sagen:
„Seht ihr, hier bin ich zu Hause! Hier wohnen mein Vater und meine Mutter und mein Grossvater und alle, die ich kenne. Und alle die