Die Heimat. Paul Keller

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Die Heimat - Paul  Keller

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Tee kochen müssen!“

      Mathias Berger lachte, Pluto bellte einen kleinen Jubelhymnus, Hannes fasste ihn um den Hals, und die kleine Karawane zog weiter.

      So kamen sie bei dem kleinen Hause des Lumpenmannes an. Die Liese kam ihnen entgegen. Eine ganze Woche lang hatte sie den Vater wieder nicht gesehen. Nun schmiegte sie sich zärtlich an ihn. Er aber schlang den Arm um sie und fuhr mit der Hand über ihren flachsblonden Kopf.

      „Liese! Nu, Liese! Nu, mei Madel du!“

      Ein ganzer Strom von Liebe ging durch diese paar Worte. Dann kam auch die Schwester Bergers, die ihm seit dem frühen Tode seiner Frau die Hauswirtschaft besorgte. Unterdessen spannten die Knaben den Hund aus und schoben den Wagen in einen kleinen Schuppen. Mathias Berger folgte ihnen. Er hob einen riesigen Sack aus dem Wagen, der prall mit Lumpen gefüllt war, und schüttelte ihn aus.

      „Na, da seht mal! Wenn ich die sortieren werd’, das ist ganz int’ressant. Da ist alles dabei. Wollflecke von Grossmutterkleidern und Kattun von Kinderschürzen, Übrigbleibsel vom Brautstaate und Leinwand von einem Totenhemde. A Lumpenmann kann alles sehen. Es kommt von allem was in seinen Sack.“

      Heinrich folgte gedankenvoll diesen Worten; aber Hannes hörte nicht darauf und machte sich mit einem kleinen Holzkasten zu schaffen.

      In der Stube wurde dieses Schatzkästlein geöffnet. Ein Kinderherz konnte bei solchem Anblick selig sein. Es gab ja auch einige langweilige Dinge in dem Kasten, wie: Fingerhüte, Nähnadeln, Zwirn, Jerusalemer Balsam und Federhalter. Aber sonst? Soldatenbilder, allerhand andere Bilder mit schönen Versen von Gustav Kühn aus Neuruppin, Peitschenschnüre, Pfeifen, Kreisel, Spielmarken, Papierorden, kleine Pistolen, Vogelpfeifen, „goldene und silberne“ Uhren und Fingerringe die schwere Masse mit den prachtvollsten Steinen.

      „Ich möchte gerne a Fingerringel für die Raschdorf-Lene“, sagte Hannes, „weil die mir ofte manchmal a Stückel Wurstschnitte gibt.“

      „Such dir einen aus, Hannes“, sagte der Lumpenmann.

      Der Knabe wühlte mit zitternden Fingern in den Schätzen.

      So mag den Märchenprinzen zumute gewesen sein, die nach dem Wunderring suchten.

      Heinrich stand etwas abseits. Er hielt es wohl mit seiner Gymnasiastenwürde unvereinbar, sich noch für solche Dinge zu interessieren, aber er wandte doch kein Auge von dem Kasten. Schliesslich trat er mit gewaltsam erzwungener Gleichgültigkeit näher.

      „Was ist denn da eigentlich alles?“ fragte er mit ungeheurem Gleichmut.

      „Wenn dir was gefällt, Heinrich, such’ dir nur aus“, sagte Berger freundlich.

      Heinrich tat so, als ob er das durchaus nicht beabsichtige; aber schliesslich prüfte er doch eine kleine Zündblattpistole und liess sich durch einiges Zureden Bergers bewegen, sie nebst einer Schachtel Munition zu behalten. Auch einen silbernen Ordensstern nahm er noch an sich. Dann aber fühlte er das Bedürfnis, wieder ernsthafter aufzutreten.

      „Wissen Sie, Mathias, wer die Lumpenmänner eigentlich in Schlesien eingeführt hat?“

      „Nein“, sagte Mathias, „das weiss ich nicht.“

      „Das hat der Alte Fritz getan“, belehrte ihn Heinrich.

      „Vor der Zeit des Alten Fritz gab’s keine Lumpenmänner in Schlesien.“

      „Da hat der Alte Fritz was sehr Kluges gemacht“, entgegnete Berger.

      „Is überhaupt sehr tüchtig gewesen“, sagte Hannes wohlwollend, um damit zu zeigen, dass er auch in der Geschichte bewandert sei. Dabei stellte er drei Ringe in die engere Wahl: einen Diamantring, einen Rubinring und einen einfachen Silberreif, auf dem das Wort „Liebe“ eingeprägt war.

      „Ja“, nahm Heinrich wieder das Wort, „der Alte Fritz war sehr sparsam, und er wollte nicht, dass die Leute was wegwarfen: Lumpen, Knochen, altes Eisen und so ähnlich. Da setzte er die Lumpenmänner im Lande ein. Und die mussten solche Dinge im Kasten haben wie Sie, Mathias. Und das nennt man Tauschhandel. Wobei es auch auf die neuen Papierfabriken ankam.“

      Bergers Augen leuchteten. „Sieh mal, Heinrich, das is doch hübsch, wenn einer das alles weiss. Ich bin nu schon so lange Lumpenmann, und ich bin es auch gerne; aber ich hab’ noch nie gewusst, wer uns eigentlich erfunden hat. Es wär’ doch hübsch, wenn du weiter studiertest und ein Gelehrter würdest. Nich, Heinrich? Sieh mal, Bauern gibt’s doch massenhaft auf der Welt?“

      Der Knabe fühlte sich geschmeichelt, aber er schüttelte doch den Kopf.

      „Nein, ich will Bauer sein. Ich will den Hof übernehmen. Ich will immer hier sein.“

      „Das is richtig“, stimmte Hannes bei; „wenn du nich da bist, is nischt los zu Hause. Sieh mal, Heinrich, welchen nehm’ ich nu: den mit dem weissen oder den mit dem roten Stein? Den silbernen mit ‚Liebe‘ mag ich nich; da gäb’ mir die Lene am Ende ’ne Backpfeife. Ich denke, ich nehm’ den roten.“

      „Nimm sie beide, Hannes“, sagte der Lumpenmann.

      „Wer die Wahl hat, hat die Qual.“

      „Aber der silberne ist auch niedlich – sehr hübsch ist er“, sagte Heinrich.

      „So behalt ihn“, sagte Berger.

      „Den mit ‚Liebe‘?“ fragte Hannes erstaunt. „Wem willste denn den mit ‚Liebe‘ schenken, Heinrich?“

      Der Quartaner wurde blutrot.

      „Ach, niemand“, stotterte er, „niemand, vielleicht der Liese.“

      Und er gab das unechte kleine Ringlein der Liese, der Tochter Bergers, die schon lange mit roten Wangen hinter ihm gestanden hatte.

      *

      Am Abend noch, als die Sonne im Verlöschen war, ging Mathias Berger die Dorfstrasse hinab nach der Schule. Die beiden Knaben waren längst zu Hause; die kleine Liese lag im Bett und schlief und hatte das silberne Ringlein am Finger.

      Der alte Dorfkantor Johannes Henschel sass an einem Harmonium und spielte aus einer Orgelpartitur.

      „Es ist eine schwere Sache, eine sehr schwere Sache, Herr Kantor, wegen der ich komme“, sagte Berger.

      „Was ist denn?“

      „Herr Kantor, eh’ ’s Ihnen die anderen sagen: Ihr Schwiegersohn, der Herr Raschdorf, verliert bei der Fabrik sein Geld.“

      Das blasse Gesicht des alten Lehrers wurde noch um einen Schein fahler, und die welke Rechte fuhr nach der Brust. „Bei den Aktien?! Ist das möglich, Berger? Ist das möglich?“

      Mathias Berger sah den Alten mitleidig an.

      „Es ist so, Herr Kantor. In Altwasser drüben der Teichmann verliert auch dreitausend. Von dem weiss ich’s. Fünfzehn Prozent kriegen die Aktionäre ’raus, das ist alles.“

      Ein Zittern ging über das Antlitz des alten Mannes. Dann stützte er den Kopf schwer auf die Hand.

      „O mein Gott!“

      Es

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