Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Die Sklaven kamen heran, die hinter den Musikanten wartend auf der Erde gelegen.
Unterdessen wanderte Charippos an der Seite des Griechen unverdrossen durch Gassen und Tore, über Brücken und weite Plätze. Der Bote verfolgte seinen Weg, ohne sich umzuschauen mit großer Eile. Sie kamen an verschlossenen Tempeln vorüber, vor denen riesige Altäre auf Löwenfüßen standen. Sie überschritten breite Straßen, die so gerade hinliefen, als wären sie mit dem Richtscheit ausgemessen. Der Schein der Laternen, Illuminationen, Fackeln und freibrennenden Feuer widerstrahlte prachtvoll und phantastisch auf den glasierten Tonziegeln hoher Mauern. Sie sahen Türme sich erheben, flammend im unbestimmten Rotlicht, wie aus Dunst erbaut, seltsamer Zierate voll, hochaufstrebend. An Palästen schritten sie vorüber, aus denen kein Laut drang; wie schlafend standen die ungeheuren Bauten auf weiten Terrassen, und menschenköpfige Löwen, sich aufbäumende Bronzeschlangen sahen herab, mit wunderlichem Leben begabt, das ihnen alle Schrecken der Bewegung, nur die Bewegung selbst nicht verlieh. Es tauchten Statuen auf aus schwarzem Stein; in dumpfer Majestät ragten sie, verkörperten die Urnacht, der die Wesen in lautlosem Kampf sich entringen, hatten Augen aus Elfenbein mit goldenen Sternen, und hinter dem starren Lächeln ihrer Lippen schlummerte tückisch die Finsternis des Todes. Sie kamen an hängenden Gärten vorüber, die sich weit emportürmten mit ihrer Palmenpracht, ihren Lorbeerbüschen, ihren vergoldeten Säulen; ein schwerer Duft, ein Hauch wie mit Geheimnissen beladen, wehte herab, und schmeichlerisch sang bisweilen eine Nachtigall.
Klopfenden Herzens erlebte Charippos nun doch diese Stadt. Er vergaß sich selbst, und als sie über eine der gewaltigen Brücken gingen, stand er hoch aufatmend still und klatschte in die Hände. »O herrlicher Strom!« rief er aus und schaute befangen hinunter in das dunkelströmende Wasser, auf dem zahllose Boote und Barken mit blauen, grünen oder roten Laternen fuhren. Und noch einmal brach er aus und erhob treuherzig bewundernd die Arme: »O großes Babylon!«
Er wandte sich ab, um seinem Führer weiter zu folgen, aber dieser war verschwunden.
Er lief einige Schritte nach der Richtung, die der Grieche eingeschlagen haben mußte, glaubte da oder dort den weißen Helmbusch des Menschen zu sehen, doch es war Täuschung. »Eho!« schrie er durch die hohle Hand. Zu seinem Ärger wurde er inne, daß er nicht einmal den Namen des Boten wußte. Es blieben Leute stehen, Babylonier und Perser, die sein auffälliges Treiben beobachteten. Er ging hin und fragte, ob sie nicht einen Mann bemerkt hätten, der so und so ausgesehen. Sie verstanden ihn nicht und schüttelten die Köpfe in ihrer leeren, obwohl würdigen Weise. Er hielt andere an; erkundigte sich nach dem Palast des Satrapen, niemand gab Antwort, niemand wollte ihn verstehen. Sie verachteten den aufgeregten Fremdling.
In Charippos entstand der furchtbare Argwohn, daß er betrogen worden sei, ein Gedanke, der seine Glieder lähmte und den Blick erstarren ließ. Was war im Werk? Hatte er mächtige Feinde?
Nun galt es, den Weg zurück zu finden. Er wußte nicht einmal den Namen des Platzes, wo die ihm anvertraute Abteilung lag. Im Brückentor war makedonische Wache. Er kannte den Befehlshaber, einen gewissen Euktemon, der durch sein von Narben zerfetztes Gesicht berühmt war. Er wagte nicht hinzugehen, aus Furcht, sich zu verraten. Gesenkten Kopfes schlich er rasch vorbei und gab das Losungswort mit verstellter Stimme.
Doch wohin? Nach allen Seiten liefen die unendlichen Straßen und viele lagen leer und finster. Charippos zog den Mantel fester zusammen, drückte den Helm tiefer in die Stirn, so daß die Nackenschiene steil am Hinterkopf abstand, und eilte aufs Geratewohl in die erste dunkle Gasse hinein.
Mißgestaltete Hunde liefen herum und weinten wie Schakale. Immer seltener begegneten ihm Menschen. Das Pflaster dröhnte von seinem Schritt. Die Häuser schienen ausgestorben. Beängstigt irrte er weiter und weiter. Er kam zu einem Zypressenhain. Durch das Dunkel schienen weißliche Gestalten zu schweben und wie Nebel sich an die langen Wipfel festzuklammern. Ein Gebet murmelnd, wollte er hastig vorübergehen, als ihn das Getöse vieler Schritte und der Lärm vieler Stimmen zögern ließ. Er fürchtete Verfolger, und was er getan, lastete schon als Verbrechen auf seinem Herzen. In den Schatten der Bäume tretend, vernahm er deutlich die Stimmen der Nahenden.
Es waren griechische Hauptleute. Sie unterhielten sich laut, fast stürmisch. Sie sprachen vom Tod des Inders Kondanyo; sie hatten mit angesehen, wie er auf den Scheiterhaufen gestiegen war, wie ihn die Flammen erfaßt hatten. Einer von ihnen blieb stehen, und seine Meinung voll Gewicht ausdrückend, sagte er, daß von allen sterblichen Menschen höchstens Sokrates einen gleich schönen und würdigen Tod gestorben sei. Sokrates aber sei gezwungen worden zu sterben, wandte ein anderer ein, der eine tiefe, melodische Stimme hatte, und dieser habe freiwillig auf das Leben verzichtet.
Sie schritten vorbei. Charippos hörte sie aus größerer Ferne lachen, und ihm ward wehe; er ahnte, daß seine Lippen nie wieder lachen würden. Die Geister des Ehrgeizes flohen aus seiner Brust und eine schattenvolle Betrübtheit senkte sich über ihn. Sie verhinderte ihn, seinen Weg fortzusetzen und hielt ihn im Dunkel des Haines fest. Ohne klaren Gedanken, ganz in Trübseligkeit versunken, schritt er tiefer in die Finsternis, die er zu fürchten aufgehört hatte und die so dicht war, daß er oft mit der Schulter oder dem Arm an einen Baumstamm stieß. Er beschloß sich niederzulegen und den Tag zu erwarten, als er plötzlich in eine Lichtung trat, in deren Mitte ein kleiner See das milde und schwache Leuchten des nächtlichen Himmels widerspiegelte. Nur traumhaft sichtbar zeigte sich auf dem Wasser eine Insel, auf der ein Tempelchen stand.
Wie hingezogen, schritt Charippos an den Rand des Wassers, das von heiligen Fischen bewohnt war. Einige tauchten aus der Tiefe auf und glitten silbern schimmernd vorbei, als sei ein Zauberlicht hinter ihren Schuppen verborgen. Sie spürten die Nähe des Fremdlings.
Während Charippos befangen und ratlos über die Wasserfläche blickte, hörte er neben sich die Atemzüge eines Schlafenden. Er erschrak und wollte in den Hain zurückkehren, doch sein scharfes Auge gewahrte, daß der Liegende ein makedonisches Kleid trug. Dies verwunderte ihn; er bückte sich und rüttelte den Arm des Schläfers. Der Mann fuhr empor.
»Was machst du hier?« fragte Charippos, der, dem Einzelnen gegenüber, seine Haltung wieder gewann. Als der Erwachte die Augen rieb und verstört um sich blickte, fuhr er mit einiger Strenge fort: »Wo kommst du her? wer bist du?«
»Was schreist du denn und gebärdest dich, als ob du ganz Asien in der Tasche hättest?« lautete die unwirsche Entgegnung. »Ich bin Arrhidäos, Alexanders Bruder.«
Charippos prallte zurück, als habe er einen Stoß erhalten. Alexanders Bruder! Eine Ehrfurcht ergriff ihn, die dem Grauen verwandt war. Er fiel auf die Kniee, nannte seinen Namen, erzählte abgerissen das Erlebnis dieser Nacht und verschwieg nicht seine Schuld. Er flehte um Rettung, er bat, daß Arrhidäos den Fürsprecher bei Perdikkas mache, falls sich etwas Schlimmes ereignet haben sollte.
Arrhidäos wandte das Gesicht ab und schwieg. Diese Worte waren Musik in seinen Ohren, vermochten sie ihn doch für einen Augenblick über das Gefühl seiner Ohnmacht und Verlassenheit hinwegzutäuschen. Gewiß hätte er Kameraden, Zech-und Spielkameraden zu finden vermocht, aber sein schwärmerischer Sinn, den schalen Vergnügungen abgewandt, verlangte nach der Freundschaft der Besten, Feinsten. Und so in seiner Einsamkeit überstürzte sich seine Phantasie bald in Vorstellungen der Macht und des Ruhms, bald in denen des Untergangs.
»Fürchte dich nicht vor Perdikkas,« tröstete er den zerknirschten Tetrarchen. »Nur wenn du dich klein machst, wird dir Perdikkas groß erscheinen.