Die Frau Pfarrerin und andere Heimatgeschichten. Jeremias Gotthelf

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Die Frau Pfarrerin und andere Heimatgeschichten - Jeremias  Gotthelf

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mehr als eine halbe Stunde, bis er aus der Tiefe auf die Höhe kommt.

      Als Hänsel die Höhe erreicht hatte, wo der Weg sich zu senken beginnt, hineinläuft in die Rinne, welche zu Tal führt, da hetzten die Franzosen wieder in wilder Lust Mann und Rosse. Da hob sich plötzlich Hänsel im Sattel, hieb auf die Vorderrosse ein, stach die Deichselpferde an, daß die wilden Tiere hoch aufsprangen, in gestreckten Laufe niederrannten. Hänsel hatte die Zügel gut gefaßt, kannte genau die kurzen Windungen des Weges und schnurrte mit seinen Franzosen auf Tod und Leben den Berg ab. Wohl, jetzt ging es den Franzosen rasch genug, sie schrien schrecklich erst, dann ward es stille auf dem Wagen, keinen Laut vernahm Hänsel mehr.

      Warum es so stille ward, wußte Hänsel nicht, zum Zurücksehen hatte er keine Zeit. Scharf in Aug und Hand hielt er die Rosse; glücklich machte er die gähe Beugung beim sogenannten Sommerhaus, einem Bade, in welchem die Burgdorfer seit mehr als hundert Jahren sich weiß zu waschen versuchen und es doch nie zustandebringen. Die ganze Bewohnerschaft schoß unter Türen und Fenster, sah mit Beben die rasende Fahrt, sah mit Staunen, wie Hänsel glücklich in die Heerstraße lenkte und der Stadt zufuhr. Leer war der Wagen, nichts als einen kleinen Koffer fand Hänsel, als er vor dem Kaufhause hielt; den warf er ab und fuhr durchs obere Tor weiter in großem Bogen der Heimat zu. Wenn auch keiner seiner Franzosen von ferne zu schauen war, so traute er dem Landfrieden doch nicht, denn es lagen andere im Städtchen; an den Hals ging es ihm, wenn sie seine halsbrechende Rache vernahmen. Sie waren als Brüder ins Land gekommen, als Brüdern war ihnen alles erlaubt; wer sich dagegen sträubte, nicht alles dulden wollte, der versündigte sich an der Brüderlichkeit, an den heiligsten Verhältnissen, riskierte daher die schwerste Strafe, begreiflich. Was eigentlich diese Höllenfahrt für eine Bedeutung habe, begriff man weder im Sommerhaus noch in der Stadt. Hänsel stund niemand Rede, fuhr weiter stillschweigend.

      Im Sommerhaus war reges Leben: ältere Leute badeten, für die junge Welt und wildern Gäste, welche man auf den Nachmittag erwartete, wurde gesotten und gebraten, was man nur Gutes ersinnen konnte, und die Wirtin kannte, was gut war, und wußte, wie man es machte. Überall im Walde, der an das Haus stößt, wurden unter den schönen Buchen Tische und Bänke zurechtgestellt und im Keller Wein gezogen und Bier angezapft, alles gerüstet, daß die Gäste absitzen konnten, nur zu befehlen brauchten und ihren Willen erfüllt sahen. Der Wirt gab in seinem Fach der Wirtin nichts nach, und beide waren darin einig, daß nichts die Gäste wähliger mache – tadelsüchtiger, kritischer, würde man heutzutage sagen – als langes Warten, wogegen rasche Bedienung so gleichsam ein Mantel der Liebe sei, der viele Sünden bedecke. Die Leute hatten also nicht Zeit, zusammenzustehn, die Hände in den Taschen von allen Sorten, und zu klappern nach Herzenslust. Aber wo zwei zusammenkamen, daß sie sich mit der Stimme erreichen konnten, ratschlagten sie, was die Erscheinung möchte gewesen sein und ob eine wirkliche oder eine gespensterhafte, denn, sagten sei, kein Vernünftiger täte so was, und wer es täte, käme nicht lebendig herunter. Sie freuten sich daher alle sehr, den Handel beim Mittagessen, wo sie doch in etwas beieinander absitzen durften, gründlich zu verhandeln. Die Köchin kochte geschwinder, die Stubenmagd deckte rascher, und selbst die Wirtin ließ sich beikommen, rief nötlicher zu Tische, als sie es sonst gewohnt war, und ehe noch der Wirt absaß, hieß sie den Allerweltsbub, das heißt den Jungen, der allen gehorchen sollte und alles machen, was die andern nicht machten, beten. »Seh, Bub, bet, und nicht so gestottert, sondern flätig fort, daß du heute noch fertig wirst!« sagte sie. Der Bub ließ sich dies nicht zweimal sagen und trieb die Gebete (damals betete man vor Tisch wenigstens drei Gebete, das Unservater als Schlußwort nicht gerechnet) über die Zunge, wie Buben ihre Kreisel peitschen durch die Stube. Aber wie flätig das Ding auch ging, noch war das zweite nicht abgehaspelt, als es draußen an die Türe schlug gewaltiglich.

      Man kannte dieses Klopfen, es war französische Manier: die lieben Freunde und Brüder kündigten sich gemeiniglich mit Flintenkolben an. Mit einem Fluche stund der Wirt auf, fand draußen zwei Franzosen und sah noch einen und wieder einen hinkend und blutend den steilen Hohlweg, der Leuen genannt, herabstolpern. Der Wirt zeigte ihnen die nahe Stadt, wo das Quartieramt sei, wo sie hinmüßten, wenn sie einquartiert sein wollten. Aber die großen Weltbürger liebten Weitläufigkeiten nicht, waren Liebhaber von kurzen Manieren. Der Wirt fügte sich, nahm sie auf, mehr aus Mitleid als aus Furcht, denn den erstern kamen immer erbärmlichere nach; er begriff jetzt die Bewandtnis mit den brausenden Rossen und dem leeren Wagen. Das waren eben die Franzosen, welche auf dem Wagen gesessen waren.

      Als die Höllenfahrt so unerwartet anging, hatte es gleich anfangs einige ab dem Wagen gesprengt, wie Motten dahinfahren, wenn man Pelze ausklopft. Den andern verging Hören und Sehen, denn so was hatten sie nie erlebt; sie suchten hinten zum Wagen hinauszukriechen; wem es gelang, wurde immerhin derb am Boden hingeschmissen, daß er einige Zeit das Aufstehen vergaß; andere wurden hinausgerüttelt wie Flöhe von den Hunden; der Rest kam vom Wagen, er wußte nicht, wie. Ein Wunder wars, daß nicht Hälse brachen und das übrige Gebeine samt und sonders. Aber es muß den Franzosen gegangen sein, eben wie es den Flöhen geht, welche von Hunden abgeschüttelt werden: man hat nie gehört, daß eine derselben ein Bein gebrochen hat; kaum sind sie abgeschüttelt, nehmen sie neue Sätze, springen unerschrocken wieder ins erste beste Fell. Sonst waren sie aber doch gequetscht und zerschlagen ganz jämmerlich und fluchten mörderlich; den einen fehlte der Tornister, anderm die Flinte und andern gar der majestätische Dreizipfel, in ein bloßes Sacktuch war das stolze Haupt gehüllt – aber vor allem fehlte der Majestätsverbrecher, der verruchte Hänsel. Bei jedem Schritte den Leuen hinunter, bei jeder Wendung des Weges erwarteten sie den Hänsel zu finden, zerschellt mit Roß und Wagen an einem Häufchen, oder an einem Baumaste hängen wie den Knaben Absolon. Aber sie fanden nichts als alleweil noch einen Kameraden, eine Flinte oder einen Tornister. Wäre das nicht gewesen, sie hätten geglaubt, er wäre durch die Lüfte davongefahren, vom Teufel geholt. Sie suchten ihn im Sommerhause, wollten ihn vom Wirte haben, und als sie ihn nicht fanden, so hätten sie gerne den Wirt für den Hänsel genommen, wie bekanntlich in der Türkei jedes Dorf für alle Verbrechen, in seinen Marchen begangen, verantwortlich ist, entweder den Verbrecher ausliefern oder an seiner Stelle büßen muß, welche Manier die Franzosen bekanntlich als sehr probat nachahmten bis nach Spanien und Rußland hinein. Doch der Wirt hatte gar gewaltige Schultern, während sie sich gar elend fühlten im Gemüt und allen Gliedern; sie begnügten sich daher, zu fluchen so schrecklich als möglich, wollten essen und trinken, verbanden sich gegenseitig und wuschen das Blut ab.

      Das Ereignis mit dem Wagen war also aufgeklärt, und auf den Gesichtern sämtlicher Bewohner des Sommerhauses sah man sogenannte Galgenfreude, und spöttischer Blicke konnte sich niemand enthalten, sooft er einem Franzosen begegnete; und sooft man in den steilen, gewundenen Hohlweg sah, konnte man sich Schauers nicht erwehren; eine solche tolle Tat war noch nie erlebt worden und hat sich nicht wiederholt am Leuen. Die Franzosen sahen wohl, daß man ihnen ihr Elend gönne, entschädigten sich am Essen und Trinken und sagten: »Attendez seulement, wart, Bougre!«

      Nach und nach fanden sich die Gäste ein, ein Badkämmerchen nach dem andern ward besetzt, ein Abendessen nach dem andern bestellt. Niemand ging ins Bad, ohne die große Begebenheit vernommen zu haben und einen spöttischen Blick ins Gastzimmer zu machen, wo die Franzosen ihr Lazarett aufgeschlagen hatten, aßen, tranken, fluchten und schnarchten. Es kamen hinter den Städtlern her aber auch Franzosen, welche im Städtchen lagen, und zwar von der nämlichen Halbbrigade. Sie waren erstaunt, hier Kameraden zu finden in solchem Zustande. Wer Franzosenart kennt, kann sich denken, was nun für ein Geschnatter entstund und welch ein Lärm. Jeder erzählte, jeder brüllte drein, jeder machte seinen Zorn laut und legte ihn an Tag, so geräuschvoll er konnte, jeder ward zum Feind des Landes, in welchem solches begegnet war, und hielt sich für berufen, die den Kameraden widerfahrene Unbill zu rächen. In feindlichem Lande ist alles erlaubt, ein Verbrecher ist, wer schrankenloser Willkür sich nicht fügt, Widerstand entgegensetzt, das sind ihre brüderlichen Begriffe.

      Nun gab es Spektakel; beleidigt wurde, wer in ihre Nähe kam, wer im Freien war, machte sich aus dem Staube, wer im Bade war, machte, daß er drauskam, was aber mancher ehrlichen Bürgersfrau große Mühe kostete, weil ihr ihre Röcke immer verkehrt über das Haupt fielen, und wenn sie endlich recht saßen, so

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