Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten. Wilhelm Bölsche

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Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten - Wilhelm Bölsche

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begann, da stand er recht eigentlich mit beiden Beinen auf diesem Lande. Von Anfang an hat es ihn ziemlich gnädig behandelt, dieses Land. Der Kulturmensch ist nicht als durstendes Kind der Wüste aufgewachsen. Das erste halbwegs deutliche Stück Kulturgeschichte, das wir kennen, geht noch durch den letzten Teil der sogenannten Diluvialzeit und ihre Nachwehen. Das war eine Zeit auffällig feuchtkühlen Klimas. Verbarrikadierte es eine Weile die gemäßigten Nordgebiete mit Eis, so wirkte es umgekehrt weiter südlich als eine große Regenperiode, die auch heute trockene Länder dort sehr fruchtbar gehalten haben muß, was für die ältere Kulturgeschichte wahrscheinlich von der allergrößten Wichtigkeit gewesen ist. Nachher erlebte der Mensch dann nördlich eine Epoche allgemeiner Klimamilderung mit einem Überschwang noch an bequemen Flüssen und Seen im Binnenlande. Selbst die Grassteppe hat ihm gerade sein größtes Geschenk gegeben, nämlich den Ackerbau. Und wo er sich wirklich in die Wüste gewagt hat, da ist es erst später und mehr freiwillig geschehen. In seinen guten Stunden ist ihm seine Erde also trotz rauher Gebirge und Urwälder doch immer als ein werdender Garten erschienen. Im Ideal träumte er sie als Paradies, und er hat dieses Paradies doch nicht immer als ein verlorenes gedacht, sondern in starken Augenblicken auch als eines, das mit kluger Arbeit mehr und mehr zu erringen sei. Unheimlich aber war ihm das Wasser, wo es nicht als befruchtender Strom, sondern als graue wogende, unabsehbar endlose Meeresfläche erschien. Lange blieben ihm die großen Ozeane absolute Verkehrsgrenzen, so unüberschreitbar wie für uns heute der leere Weltraum zwischen zwei Planeten. Ganz, ganz langsam vollzog sich erst der Versuch einer mühsamen Anpassung, einer zaghaften Bewältigung auch hier mit dem Werkzeug, dem Schiff. Die homerischen Gedichte stehen schon im Zeichen einer notdürftigen Schiffahrt auf einem kleinen Binnenmeer, aber ebenso sind sie noch im Zeichen der Meeresangst; Poseidon ist der greuliche Verderber im Gegensatz zum guten Zeus, der auf Bergen und Bergwolken sitzt. Und ganz abscheulich war der Gedanke, es möchte dieses Meer eines Tages aufbäumen, in den schönen Erdengarten roh eindringen und das Land verschlingen. In seiner höchsten Steigerung lebt dieses Grauen in der Erzählung von der dämonischen Riesenflut, der Sintflut, fort.

      In alten Tagen soll das Wasser einmal so hoch gestiegen sein, daß es die ganze bewohnbare Erde überschwemmte; so hoch zuletzt, daß sogar die Gipfel der Berge überflutet wurden; wenn Bewohner des Landes damals dieser Flut entkommen sind, so konnten sie es nur mit Hilfe eines Schiffs, das so lange auf den Wogen trieb, bis die Wasser sich wieder zurückzogen. In ungefähr dieser Form fand und findet sich die Sage bei den verschiedensten Völkern. Uns ist sie am geläufigsten in dem biblischen Bericht, der sie mit dramatischer Anschaulichkeit schildert. Im alten Babylon läßt sie sich in auffällig ähnlicher Form bis ins dritte Jahrtausend vor Christus zurück verfolgen. In einer auch von hier beeinflußten Gestalt dauerte sie noch bei den antiken Griechen fort. Sie klingt an in den indischen Veden und der nordischen Edda und tritt selbständig stark auf im alten Persien. Fast gar nicht bekannt bei den Negervölkern Afrikas, beschäftigt sie um so lebhafter heute noch die Phantasie fast aller Südseeinsulaner. In Amerika lebt sie in ungezählten Varianten von den Eskimos im höchsten Norden an durch alle Indianerstämme durch bis tief nach Südamerika herab, und die verklungenen Kulturstaaten von Mexiko und Peru hatten sie so genau in ihrer Geschichts- und Religionsbibel wie die Babylonier oder Hebräer.

      Vielgestaltig ist ihre Einkleidung je nach dem Glaubenskreise und sonstigen Weltmythus so verschiedenartiger Völker. Im altpersischen Bericht trifft die ungeheure Flut noch auf keine Menschen, sondern rafft nur dämonische Ungetüme, die das böse Prinzip geschaffen hat, dahin. In der Edda berührt sie nur die vormenschliche Zeit der Riesen, von denen sich ein Paar in einem Boot rettet. Bald ist sie nur ein chaotischer Naturspuk, bald wieder wird sie aufgenommen in die sittlichen Erzählungen, mit denen eine moralische Wahrheit im anschaulichen Gleichnis beigebracht werden soll; die schreckliche kommt, weil die Menschen böse waren, und nur der Gute überlebt; in diesem ethischen Kleide geht die Sintflut (als »Sündflut«, wie man das deutsche Wort später darauf anspielend umgeändert hat) in der Bibel; aber die Idee eines Strafgericht kehrt beispielsweise auch bei den Fidschiinsulanern in einer offenbar dort ganz ursprünglichen Form wieder. In dem älteren babylonischen Bericht steht hinter dem schauerlichen Todesurteil eine Vielheit von Göttern; in dem jüngeren biblischen hat nur der eine Gott die ganze Tragödie des Untergangs und der Errettung in seiner allmächtigen Hand. An vielen Stellen tritt der Bericht uns entgegen im Gewande eines mehr oder minder anmutigen kleinen Volksmärchens, oft mit humoristischen Zügen; daneben aber stehen die dichterischen Ausgestaltungen schon im Kunstepos wie in der babylonischen Erzählung oder in der mexikanischen Legende. Gern kehren gewisse kleine Züge auch an den entferntesten Ecken wieder: so daß das rettende Schiff (die Arche der Bibel) an einem hohen Berggipfel landet, oder daß, wie die Taube der Bibel, Tiere ausgesandt werden, um das Fallen der Gewässer zu erkunden. In manchen Fällen ist ja hier ohne Absicht in die Dinge hineingemogelt worden: Missionare haben z. B. heutigen Naturvölkern aus dem biblischen Text erzählt, das ist weitergegeben, mit echter Volksüberlieferung vermischt und bei anderer Gelegenheit einem andern Missionar oder Forscher, der einheimischen Sintflutsagen nachfragte, ganz gemütlich als alt und echt aufgetischt worden. Aber nicht alle Übereinstimmungen lassen sich so erklären.

      Läßt man den ethisch-religiösen Lehrinhalt und die ersichtlichen dichterisch-mythischen Ausschmückungen beiseite, so hat das Interesse lange und bis heute immer wieder bei der Frage verweilt, ob nicht im Kern der Sintflutsage die Erinnerung an ein wirkliches naturgeschichtliches, ein geologisches Ereignis stecken könne: die Erinnerung an eine erdumspannende Wasserkatastrophe, die im Morgenrot der Völker tatsächlich noch einmal unsern ganzen Planeten betroffen hätte.

      Unsere Wissenschaft auf ihrem heutigen Stande muß die Möglichkeit in dieser Form mit ruhiger Gewißheit verneinen.

      In der Sintflutsage kommt schon Schiffahrt vor. Das deutet auf eine gewisse Höhe der Kultur. Die allgemeine Wasserbedeckung aller Erdteile müßte also mindestens seit Beginn der menschlichen Kulturgeschichte stattgefunden haben. Die geologische Beschaffenheit der Erdoberfläche lehrt uns aber genau die Dinge kennen, die innerhalb dieser Zeit auf dem Lande gewirkt und verändert haben. Eine Unmenge geologischer Ereignisse hat sich da noch vollzogen. Die großen Gletscher der Eiszeit sind heruntergetaut, Schwemmgrund und Staubmassen haben sich gehäuft, Gestein ist zu Schutt verwittert, Ströme haben ihr Bett verändert oder eingeschränkt, Tropfstein ist in Höhlen gewachsen und hat uraltes Kulturmaterial überdeckt, Vulkane haben ausgeworfen, Seen haben ihren Wasserspiegel niedriger gelegt, Korallentiere haben an ihren Riffen gebaut und so viel anderes mehr. Doch keine leiseste Spur verrät eine allgemeine Überflutung aller Länder durch den Ozean. Aus dem Bestand und der Verbreitung der Tiere und Pflanzen während dieser Zeitspanne aber können wir den durchaus sicheren Beweis führen, daß eine solche Überschwemmung nicht stattgefunden haben kann. Auch wenn überhaupt bei solcher allgemeinen Flut sich wunderbarerweise irgendwo Landtiere und Landpflanzen erhalten hätten, so würde die geographische Verbreitung der Arten seither doch eine grundlegend andere sein müssen, als sie tatsächlich ist. Es war eine Frage, die schon in den Tagen des strengsten biblischen Sintflutglaubens bei den Kirchenvätern und wieder dann nach der Entdeckung von Amerika öfter erörtert worden ist: wie sich nach Landung der Arche in Asien die geretteten Landtiere, die doch nicht Ozeane durchschwimmen konnten, wieder bis auf die einsamen Inseln im Weltmeer hätten verbreiten können; die einen meinten, Noah habe sie besonders übergesetzt, eine etwas umständliche Sache; die andern nahmen für diesen Fall ein Neuentstehen durch eine Art Urzeugung ohne Archenanschluß an, wobei man aber fragen konnte, warum überhaupt Noah Tiere mitnahm, wenn das möglich war. Es ist aber gar nicht nötig, daß man einem ehrwürdigen Dokument der Menschheit in dieser Form einzeln zusetzt; denn die naturgeschichtlichen Tatsachen lassen nach dieser ganzen Seite überhaupt nicht die allermindeste Ungewißheit mehr darüber, daß eine derartige Sintflut als Gesamtkatastrophe nicht stattgefunden hat.

      Wenn also in der Völkersage eine echte geologische Erinnerung stecken soll, so könnte sie nur auf ein räumlich beschränktes Ereignis gehen, irgendeine böse Hochflut, die ein gewisses Küstenland oder Inselgebiet einzeln einmal betroffen hätte. Man hat daran gedacht, daß alle Rassen, alle Völker der Menschheit doch wohl in sehr alten Tagen von einem einzigen bestimmten Fleck Erde ausgegangen wären, und daß sie noch vor ihrer Zerstreuung

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