Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten. Wilhelm Bölsche

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Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten - Wilhelm Bölsche

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wenigstens möglich. Wir wissen von dem großen Geheimnis der Rassenzerspaltung und Urheimat der Menschheit so wenig, daß es nichts verschlüge, hier noch ein paar Geheimnisse mehr ins Vordunkel zu legen. Inzwischen ist aber merkwürdig, daß dann nicht alle Völker die Sage besitzen und besaßen. Die Neger, denen sie so auffällig fehlt, müßten zur Zeit ihrer Begründung schon nicht mehr im Ursitz dabei gewesen sein. Selbst so schwindelt einem aber noch bei der Vorstellung, wie alt die Sage sein müßte, wenn sie überhaupt bis hinter Rassentrennungen reichen soll. Und man kann jedenfalls niemand verdenken, wenn er einfacher durchzudringen versucht.

      Die Sage könnte zwar an eine örtliche Überschwemmung anknüpfen, aber solche Überschwemmung könnte öfter in alten Kulturtagen an weit verschiedenen Stellen erfolgt sein und sehr verschiedene Völker könnten durch ähnliche Ereignisse der Art zu einer ähnlichen Überlieferung unabhängig voneinander gekommen sein. Die ähnlichen Einzelzüge würden sich dann aus der Gesetzmäßigkeit erklären, die schließlich auch im Fabulieren und Ausschmücken herrscht, sowie aus gewissen sachlichen Notwendigkeiten, die der gleiche Naturanlaß überall zeitigen mußte. Bei jeder grimmen Flut müssen Schiffe, wenn sie da waren, eine Rolle gespielt haben; Klippen, wo ein solches Schiff zuerst landete, müssen immer wieder im Bericht vorgekommen sein; einen Vogel auf gefährlicher Meerfahrt mitzunehmen und auf Kundschaft fliegen zu lassen, ob er die Landrichtung finde und den unschlüssigen Schiffern weise, ist ein uralter Brauch, der auch sonst in antiken Sagen und alten Reiseberichten seine Rolle spielt; noch von Kolumbus wird berichtet, daß er sich aus einem zufällig vorbeifliegenden Zug Papageien vergewisserte, ob in der Wasserwüste vor ihm Land liege oder nicht. Und ebenso mußte der Schreck über das schauerliche Abenteuer sich in der Rückschau immer wieder zu dem moralischen Schluß auswachsen, daß hier ein Strafgericht waltete für die Verlorenen, ein Gnadengeschenk für die Geretteten. Solche Dinge würden also nicht den Zusammenhang all der Flutsagen beweisen, sondern nur bestätigen, daß vor ähnlichen Ursachen die verschiedensten Menschen immer das gleiche tun, glauben und hinzudichten seit Urtagen. Man ist allgemein heute in der Völkerkunde mehr geneigt, Übereinstimmungen in Sitten und Gedanken so zu erklären, anstatt gleich zu kühnen Verwandtschaftshypothesen seine Zuflucht zu nehmen.

      Verschiedene der einzelnen Flutberichte enthalten auch die deutlichsten Anzeichen einer Katastrophe, wie sie lokal nur dort möglich war, wo heute noch das betreffende Volk sitzt. Was man in chinesischen Chroniken als Sintflutbericht bezeichnet hat, ist nichts anderes als die unverkennbare Beschreibung von besonders verheerenden Ausbrüchen des Stromes Hoangho durch Risse seiner natürlichen Uferleisten aus sogenanntem Lößstaub; solche Ausbrüche kommen dort heute noch vor. Und wenn bei den Kordilleren-Indianern Südamerikas in ihrer Sintflut Erdbeben und Vulkanausbrüche mitspielen, so fühlt man ebenso den Heimatboden. Selbst für die berühmteste Gestalt der Sage, die babylonisch-biblische, hat aber schon vor Jahren der große Wiener Geolog Eduard Sueß den ansprechenden Beweis versucht, sie auf ein durchaus örtliches Ereignis in der mesopotamischen Niederung am Euphrat und Tigris zu beziehen. Der ältere babylonische Bericht scheint in der Tat noch eine ganze Reihe erkennbarer naturgeschichtlicher Lokalfarben zu geben. Die Erde habe gezittert, die Wasser (Brunnen) der Tiefe seien ausgebrochen, Sturm und Finsternis seien über das Land gekommen, und der Wogenschwall sei vom Meer heraufgestürmt. Das alles würde für ein furchtbares Erdbeben im Gebiet des persischen Meerbusens sprechen, bei dem das Grundwasser aus Bodenspalten brach und mit dessen höchster Steigerung sich, wie so oft, ein gewaltiger Zyklon oder Wirbelsturm im Meer verband, der die Wassermassen tief ins Land hineintrieb. Wenn sich bei den ersten Vorstößen des Bebens Menschen auf Schiffe gerettet hatten, so mußten diese Schiffe dabei weit nordwärts über die ganze Niederung bis an die begrenzenden Berge verschleppt werden, wo sie ganz wie die Arche des Berichts stranden konnten. Wir brauchen nicht ins Sagenland zu gehen, um die zerstörenden Wirkungen solcher vom Meere kommenden Zyklone und Erdbebenfluten kennen zu lernen.

      Schließlich wäre sogar möglich, daß die Menschheitskultur auf einer sehr frühen Stufe durch eine Zeitlage durchgegangen wäre, die solchen lokalen Überschwemmungen allgemein besonders günstig war. Wenn die Geologie auch nichts von einer Wasserbedeckung der Erde weiß, so lassen sich doch wohl Spuren merken einerseits, wie erwähnt, von einer großen Regenzeit (Pluvialperiode), die über die äquatornäheren Gebiete der Erde parallel zu der nordischen diluvialen Eiszeit hingegangen ist, andrerseits von einem mächtigen Anschwellen der Flüsse und Binnenseen, das im Gefolge des wiedereintretenden Schmelzens dieser großen Eismassen sich vollzogen haben muß. Werden diese ganzen Vorgänge sich auch über Jahrtausende verteilt haben, so mag im einzelnen doch in ihnen ein häufigerer Anlaß zu bösen örtlichen Katastrophen gelegen haben, und daß der frühere Kulturmensch diese Dinge noch miterlebt hat, ist gewiß. Wenn man die Sage also durchaus für sehr alt halten will, mag man wenigstens diese geologische Urerinnerung noch hineinbringen. Auch sie kann aber schon an den verschiedensten Stellen und von getrenntesten Völkern unabhängig erworben sein.

      Doch wie das alles nun sei: auch in ihrer strengsten, starrsten und abenteuerlichsten Form, wie die Sintflutlegende geglaubt worden ist, hat sie für einen bestimmten Fortschritt des menschlichen Wissens und wahren Naturerkennens einen ganz unschätzbaren Gewinn gehabt. Während sie nämlich die Phantasie der Menschen unterhielt mit dem Schauergemälde einer schwarzen Riesenflut, die einst die ganze Menschenerde überschwemmt habe, schuf und schärfte sie ganz in der Stille den Kulturmenschen den Blick für eine ganz andere, sozusagen geräuschlose Art, wie in langen langen Zeiträumen wirklich Wasser und Land, Feste und Meer im weitergehenden Maße auf dieser Erde sich verwandelt, miteinander abgewechselt und einander abgelöst haben mußten.

      In den Tagen des fröhlichsten Glaubens an die echte Sint- und Sündflut, wie sie im Buche stand, geschah es im wachsenden Kulturlande Europa immer öfter, daß sinnende Köpfe bei dem verweilten, was in der Praxis längst Kinder und Wilde gewußt hatten und was selbst den uralten steinzeitlichen Diluvialmenschen, deren Schmuck und Werkzeug wir heute noch ausgraben, schon durchaus geläufig gewesen sein muß: nämlich der Tatsache, daß selbst tief drinnen im Binnenlande (in Gegenden, wohin bei heutiger Sachlage der Dinge schlechterdings niemals auch der größte Zyklon vom Meere her Ozeanwasser verschwemmen könnte) aus dem harten Fels, der unsern altvertrauten Heimatswald trägt oder neben unserm Acker ansteht oder bei unserm Steinbruchbetrieb tief heraufkommt, die Schalen und Reste meerbewohnender Muscheln und anderer Seetiere versteint, aber doch noch im Umriß unzweideutig erkennbar gelegentlich zutage treten. Stellenweise sehen solche Schälchen trotz ihrer Versteinerung noch so nett aus, daß z. B. jene Diluvialmenschen in ihren Höhlen sie schon mit besonderer Liebe als Schmuck zusammengesucht und bewahrt hatten. Der Sintflutgläubige mußte darin zunächst ja den greifbarsten Beweis seiner Sintflut selber sehen, die eben auch bis hierher gelangt sei und ihre Austern oder Seeigel verfrachtet hätte; gelegentlich mögen Flutsagen sogar bei ihrer Entstehung unmittelbar schon durch solche Funde angeregt und beeinflußt worden sein. Und wenn der Gläubige gar hoch im Alpengebirge solche ansehnliche Muschel aus dem harten Stein brach, so erschien ihm schier leibhaftig zunächst das biblische Bild von den Wassern, die angeblich viele Ellen hoch bis über die höchsten Berggipfel hinaus gestiegen waren. Im 18. Jahrhundert gibt es einen spaßhaften Streit, in dem der Freigeist Voltaire die Sündflut anzweifelte, weil er allgemein die Autorität der Bibel nicht mehr gelten lassen wollte, die Anhänger aber eben auf diese Muscheln in den Alpen verwiesen; da bestritt Voltaire auch die natürliche Herkunft dieser Muscheln selber und meinte, sie seien wohl einst von den Hüten vorbeiziehender Pilger, die sich gewohnheitsmäßig mit Mittelmeermuscheln schmückten, verloren worden. Der tapfere Kämpe hatte in diesem Falle sachlich unrecht, die Muscheln stammten wirklich aus dem Stein. Aber auch die Sintflutler hatten deshalb nicht recht. Denn diese Muscheln entstammten nicht einer mythischen Allgemeinflut aus Menschentagen, sondern sie deuteten mit dem Gestein, das sie umschloß und das selber nichts anderes war als versteinter uralter Meerschlamm, auf Zeiten, länger als alle bisherige Menschenahnung und älter als alle Menschenüberlieferung. Und sie deuteten dort auf ein uralt fortwaltendes Geheimnis, wunderbarer eigentlich noch als der plötzliche Ruck und Schreck einer dahinbrausenden und sich wieder verlierenden einzelnen Sintflut. An dieser Stelle, die jetzt tief im Binnenlande oder durch noch seltsamere Verwandlung gar hoch auf dem wolkenragenden Gebirge lag, hatte einst wirklich der Ozean geblaut, lebendigen Seeigeln und Pilgermuscheln

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