Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 1. Ambrosius von Mailand
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57. So lasset uns denn hineilen zum Leben: wenn Jemand das Leben berührt, so wird er leben. So berührte jenes Weib, das den Saum des Kleides berührte, in Wahrheit das Leben: darum hörte sie das gnadenreiche Wort: „Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin in Frieden!“ Wenn Derjenige, welcher einen Todten berührt, unrein wird, so ist Derjenige, welcher den Herrn des Lebens berührt, dadurch gerettet. So suchen wir ihn denn, aber nicht unter den Todten, damit nicht auch uns gesagt wird, wie jenen Frauen: „Was suchet ihr den Lebendigen bei den Todten? Er ist nicht hier, sondern auferstanden.“ Zeigt uns doch der Herr selbst, wo wir ihn suchen sollen, wenn er sagt: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: ich steige auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu eurem und meinem Gott.“ 64 Suchen wir ihn, wo Johannes ihn suchte und fand: er suchte ihn „im Anfange“ und fand den Lebendigen beim Lebendigen, den Sohn beim ewigen Vater. Wir sollen ihn suchen am Ende der Zeiten, wir sollen seine Füße umschließen, ihn anbeten und sein Wort vernehmen: „Fürchtet euch nicht!“ Fürchtet euch nicht vor den Sünden dieser Welt, nicht vor den Ungerechtigkeiten der Zeit, nicht vor den Stürmen der Leidenschaften: ich bin die Verzeihung der Sünden. Fürchtet euch nicht vor der Finsterniß, denn ich bin das Licht der Welt; fürchtet euch nicht vor dem Tode, denn ich bin das Leben. Wer immer zu mir kommt, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit. Ja, er ist die Fülle der Gottheit; ihm ist Ruhm und Ehre und ewige Glorie jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen.
Fußnoten:
1. V. Mos. 30, 15.## 2. Gleichwohl ist der Tod in unserem Sinne eine Wohlthat, weil er uns von zahllosem Elende befreit. 3. Wir können einen dreifachen Tod unterscheiden. Zunächst schließt die Sünde ein Sterben ein. „Die Seele, welche sündigt,“ sagt der Prophet, [^2] „die stirbt.“ Wir reden aber auch von einem mystischen Tode bei Demjenigen, welcher der Sünde abstirbt und sein Leben in Gott beginnt. Darauf geht das Wort des Apostels: „Wir sind mit ihm durch die Taufe zum Tode begraben.“ Sonst aber S. 374 ist der Tod die Scheidung von Seele und Leib, welche den Lauf dieses Lebens abschließt. Unzweifelhaft ist jener Tod, der in der Sünde erfolgt, ein Übel, wie der andere Tod, in welchem man von tödlicher Sündenschuld wieder gerechtfertigt wird, ein unbeschreiblich hohes Gut ist. Der Tod im dritten Sinne des Wortes endlich liegt zwischen gut und böse: er erscheint den Gerechten als ein Gut, während er den Meisten Furcht einflößt; er befreit zwar Alle, aber doch erfreut er nur Wenige. Was aber den Tod schwer macht, liegt nicht im Sterben selbst, sondern in unserer Gebrechlichkeit: wir lassen uns von körperlichem Wohlbehagen und von unserer Lebenslust derart gefangen nehmen, daß wir erschrecken, wenn es sich um den Abschluß eines Lebenslaufes handelt, der doch im Grunde reicher an Bitterkeit als an Freude ist. Heilige und weise Männer dachten anders; sie seufzten über die lange Dauer dieser irdischen Wanderschaft. „Aufgelöst und mit Christo zu sein“ erschien ihnen als ein schöneres Ziel. Und mit Job mochte Mancher den Tag seiner Geburt verfluchend ausrufen: „Verloren sei der Tag, an dem ich geboren ward.“ [^3]
2. Ekkl. 4, 2.
3. Ekkl. 6, 3.
4. Ps. 38, 13.
5. Der Psalmist hat freilich einen andern Gedanken. Er ruft flehentlich zu Gott in seiner Leidensqual: „Wende deinen Zornesblick von mir ab!“
6. Matth. 6, 34.
7. I. Mos. 47, 9.
8. Phil. 1, 21.
9. Ps. 115, 17―15.
10. Gal. 6, 14.
11. Kor. 4, 10.
12. Kor. 4, 12.
13. Js. 58, 6. Der Prophet mahnt vor dem bloß äusserlichen Fasten ohne Herzensbekehrung: „Kann dergleichen als ein Fasten gelten, wie ich’s gerne habe, als ein Tag, da der Mensch seine Seele kasteiet? Niedersenken wie einen Schilfstengel seinen Kopf und Sacktuch und Asche sich unterbetten, ― heissest du Das ein Fasten, wie ich es gerne habe: Auflösen Knäuel der Bosheit, aufknüpfen Knebel der Unterjochung und Entlassung Niedergestoßener als Freier, und daß ihr jeglich Joch zersprenget?“
14. Koloss. 2, 21. Der Apostel will Das, was der heilige Ambrosius in jenen Worten findet, nicht sagen. Er warnt an der angeführten Stelle im Gegentheile vor der Irrlehre, nach welcher verboten sein soll, Dinge zu kosten oder auch nur zu berühren, welche nach Gottes Absicht zum Gebrauche und durch den Gebrauch zur Vernichtung bestimmt sind.
15. Ps. 4, 5.
16. Job 10.
17. Mos. 23, 10.
18. Der Prophet Jsaias sagt 49, 16 nicht, wie Ambrosius citirt: „Ecce ego pinxi muros tuos,“ sondern: „Sieh, auf die Handfläche habe ich dich gezeichnet; deine Mauern stehen vor mir immerfort.“ Das sagt der Herr, um die Möglichkeit abzuweisen, als könnte er jemals Sions vergessen. Die LXX haben dem Sinne nach Dasselbe, wenn sie auch τὰ τείχη als Objekt fassen: „Ἴδου, ἐπὶ τῶν χειρῶν μου ἐξωγράφησά σου τὰ τείχη, καὶ ἐνώπιόν μου εἶ διὰ παντός.“ Die Verwendung der Stelle, wie Ambrosius sie für zulässig erachtete, ist also nicht statthaft.
19. Ps. 33, 16.
20. Hohes Lied 8, 10.
21. Ambrosius benutzt in Vorstehendem die Erzählung aus Platon’s Symposion 203 B. Die Art der Benutzung verräth aber, daß der Heilige sich dabei auf sein Gedächtniß verlassen habe, da Plato die Sache doch anders und sicher nicht in Anlehnung an das hohe Lied darstellt. Nach ihm handelt es sich darum, zu erweisen, daß die „Liebe“ zwischen Gottheit und Menschheit vermittele; Porus, der Gott der reichsten Fülle, ist bei einem der Venus zu Ehren gegebenen Feste trunken geworden und lagert im Garten des Zeus; dort findet ihn Penia, die Göttin der Armuth (οὐ σοφὴ καὶ ἄπορος), und wird die Mutter des Gottes der Liebe. Den Sinn der platonischen Fabel hat Stallbaum (zu dieser Stelle) mit folgenden Worten angegeben: „Quum intellexisset, amorem h. e. pulchri et boni studium contineri insatiabili quadam cupiditate rerum maxime exoptatarum; verissime duplicem cujusque amantis esse vidit statum, alterum indigentiae, quatenus studio illi boni atque pulchri nondum satisfactum esset, alterum divini cujusdam fervoris, quo correptus animus raperetur ad ea, quae bona esse vidisset…“ ― Der heilige Ambrosius hat πρός nicht als mythische Person, sondern als „Becken, Kanal“ gefaßt.
22. Hohes Lied 4, 12 ff.
23. Ebd. 5, 1.
24. V. Mos. 15, 9.
25. Ps. 141, 4.
26. Joh. 14, 6.
27. Ps. 22, 3.
28. Ebd. 61, 2.
29.