Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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den Schneegipfel erblickt, der aus dem Morgendunkel ins erste Blau steigt, über deren Schulter, ehe sie die perlmutterzarte Wärme der Haut mit den Fingern berührte. Dann kostete sie von dem fein verwickelten Geruch der Hand, die schläfrig unter der Decke hervorkam, um sich küssen zu lassen, und nach Schmuckwässern des Vortags roch, aber auch nach den Dünsten der Nachtruhe; hielt den Morgenpantoffel dem suchenden nackten Fuß entgegen und empfing den erwachenden Blick. Es wäre aber die sinnliche Berührung mit dem großartigen Frauenkörper beiweitem nicht so schön für sie gewesen, würde sie nicht völlig durchstrahlt worden sein von der moralischen Bedeutung Diotimas.

      «Hast du für Seine Erlaucht den Stuhl mit den Armlehnen hingestellt? An meinen Platz die kleine silberne Glocke? Auf den Platz des Schriftführers zwölf Bogen Papier gelegt? Und sechs Bleistifte, Rachelle, sechs, nicht bloß drei, am Platz des Schriftführers?» sagte Diotima diesmal. Rachel zählte bei jeder dieser Fragen innerlich noch einmal an den Fingern alles ab, was sie getan hatte, und erschrak heftig vor Ehrgeiz, als stünde ein Leben auf dem Spiel. Ihre Herrin hatte einen Morgenrock umgeworfen und begab sich ins Beratungszimmer. Ihre Art, «Rachelle» zu erziehen, bestand darin, daß sie diese bei allem, was sie tat oder unterließ, daran erinnerte, man dürfe es nie bloß als seine persönliche Angelegenheit betrachten, sondern müsse an die allgemeine Bedeutung denken. Zerschlug Rachel ein Glas, so erfuhr «Rachelle», daß der Schaden an sich ganz bedeutungslos sei, daß aber das durchsichtige Glas ein Symbol der alltäglichen kleinen Pflichten bedeute, die das Auge kaum noch wahrnehme, weil es sich gerne auf Höheres richte, denen man indes gerade darum besonderen. Aufmerksamkeit widmen müsse und Rachel konnten bei solcher ministeriell höflichen Behandlung die Tränen in die Augen treten, vor Reue und Glück, während sie die Scherben zusammenfegte. Die Köchinnen, von denen Diotima korrektes Denken und Erkenntnis begangener Fehler verlangte, hatten schon oft gewechselt, seit Rachel im Dienst war, aber Rachel liebte diese wundervollen Phrasen von ganzem Herzen, so wie sie den Kaiser, die Begräbnisse und die strahlenden Kerzen im Dunkel der katholischen Kirchen liebte. Hie und da log sie, um sich aus einer Patsche zu ziehen, aber sie kam sich danach sehr schlecht vor; ja sie liebte vielleicht sogar kleine Lügen, weil sie dabei im Vergleich mit Diotima ihre ganze Schlechtigkeit fühlte, gestattete sich das aber gewöhnlich nur dann, wenn sie etwas Falsches heimlich schnell noch in Wahrheit umwandeln zu können hoffte.

      Wenn ein Mensch zu einem anderen derart in allem und jedem aufblickt, kommt es vor, daß ihm sein Körper geradezu entzogen wird und wie ein kleiner Meteorit in die Sonne des anderen Körpers stürzt. Diotima hatte nichts auszusetzen gefunden und ihre kleine Dienerin freundlich auf die Schulter geklopft; dann begaben sie sich in die Badestube und begannen die Toilette für den großen Tag. Wenn Rachel das warme Wasser mischte, Seife schäumen ließ oder mit dem Frottiertuch Diotimas Körper so dreist abtrocknen durfte, als wäre es ihr eigener Körper, so machte ihr das viel mehr Vergnügen, als wenn es wirklich bloß ihr eigener Körper gewesen wäre. Der kam ihr nichtig und vertrauensunwürdig vor, es lag ihr ferne, auch nur vergleichsweise an ihn zu denken, ihr war, wenn sie die statuenhafte Fülle Diotimas berührte, zumute wie einem Bauernlümmel von Rekrut, der einem strahlend schönen Regiment angehört.

      So wurde Diotima für den großen Tag gewappnet.

      42

      Die große Sitzung

      Als die letzte Minute zur bestimmten Stunde hinüberschwang, erschien Graf Leinsdorf in Begleitung Ulrichs. Rachel, die schon glühte, weil bis dahin ununterbrochen Gäste gekommen waren, denen sie öffnen und aus den Kleidern helfen mußte, erkannte diesen sofort wieder und nahm befriedigt zur Kenntnis, daß auch er kein beliebiger Besucher gewesen sei, sondern ein Mann, den bedeutungsvolle Zusammenhänge in das Haus ihrer Herrin geführt hatten, wie sich jetzt zeigte, da er in Gesellschaft Sr. Erlaucht wiederkam. Sie flatterte an die Zimmertüre, die sie feierlich öffnete, und hockte sich danach vor dem Schlüsselloch hin, um zu erfahren, was nun vor sich gehen werde. Es war ein breites Schlüsselloch, und sie sah das rasierte Kinn des Gouverneurs, die violette Halsbinde des Prälaten Niedomansky sowie die goldene Säbelquaste des Generals Stumm von Bordwehr, den das Kriegsministerium entsandt hatte, obgleich es eigentlich nicht eingeladen worden war; es hatte trotzdem in einer Zuschrift an den Grafen Leinsdorferklärt, daß es bei einer so «hochpatriotischen Angelegenheit» nicht fehlen wolle, wenn es auch mit ihrem Ursprung und zu gewärtigenden Verlauf nicht unmittelbar zu tun habe. Das hatte Diotima aber vergessen, Rachel mitzuteilen, und so war diese durch die Anwesenheit eines Offiziers bei der Besprechung sehr erregt, konnte aber vorläufig von den Dingen, die im Zimmer vor sich gingen, nichts weiter herausbringen.

      Diotima hatte unterdessen Se. Erlaucht empfangen und für Ulrich nicht viel Aufmerksamkeit gezeigt, denn sie stellte die Anwesenden vor und präsentierte Sr. Erlaucht als ersten Dr. Paul Arnheim, wobei sie erklärte, daß ein glücklicher Zufall diesen berühmten Freund ihres Hauses hergeführt habe, und wenn er auch als Ausländer nicht beanspruchen dürfe, in aller Form an den Sitzungen teilzunehmen, so bäte sie doch, ihn ihr persönlich als Ratgeber zu lassen; denn – und hier fügte sie sofort eine sanfte Drohung an – seine großen Erfahrungen und Beziehungen auf international kulturellem Gebiet und in den Zusammenhängen dieser Fragen mit denen der Wirtschaft seien für sie eine unschätzbare Stütze, und sie habe bisher allein darüber berichten müssen und würde wohl auch in Zukunft nicht so bald ersetzt werden können und sei sich trotzdem ihrer ungenügenden Kraft nur zu sehr bewußt.

      Graf Leinsdorf sah sich überfallen und mußte sich zum erstenmal seit dem Beginn ihrer Beziehungen über eine Taktlosigkeit seiner bürgerlichen Freundin wundern. Auch Arnheim fühlte sich betreten, wie ein Souverän, dessen Einzug nicht gebührend geordnet worden ist, denn er war fest überzeugt gewesen, daß Graf Leinsdorf von seiner Einladung wisse und sie gebilligt habe. Aber Diotima, deren Gesicht in diesem Augenblick rot und eigensinnig aussah, ließ nicht locker, und wie alle Frauen, die in Fragen der Ehemoral ein zu reines Gewissen haben, vermochte sie eine unausstehliche weibliche Zudringlichkeit zu entwickeln, wenn es sich um eine ehrbare Angelegenheit handelte.

      Sie war damals bereits verliebt in Arnheim, der in der Zwischenzeit einigemal bei ihr gewesen war, aber in ihrer Unerfahrenheit hatte sie keine Ahnung von der Natur ihres Gefühls. Sie besprachen miteinander, was eine Seele bewegt, die zwischen Fußsohle und Haarwurzel das Fleisch adelt und die wirren Eindrücke der Zivilisation in harmonische Geistesschwingungen verwandelt. Aber auch das war schon viel, und weil Diotima an Vorsicht gewöhnt und zeitlebens bedacht gewesen war, sich niemals bloßzustellen, kam ihr diese Vertraulichkeit zu plötzlich vor, und sie mußte sehr große Gefühle mobilisieren, geradezu schlechthin große, und wo findet man die am ehesten? Dort, wohin alle Welt sie verlegt: im historischen Geschehen. Die Parallelaktion war für Diotima und Arnheim sozusagen die Verkehrsinsel in ihrem anschwellenden seelischen Verkehr; sie betrachteten es als ein besonderes Schicksal, was sie in einem so wichtigen Augenblick zusammengeführt hatte, und es gab zwischen ihnen nicht die kleinste Meinungsverschiedenheit darüber, daß das große vaterländische Unternehmen eine ungeheure Gelegenheit und Verantwortung für geistige Menschen sei. Auch Arnheim sagte das, obschon er niemals anzufügen vergaß, daß es dabei in erster Linie auf starke, im Wirtschaftlichen ebenso wie im Bereich der Ideen erfahrene Menschen ankäme und dann erst auf den Umfang der Organisation. So hatte sich in Diotima die Parallelaktion untrennbar mit Arnheim verknotet, und die Vorstellungsleere, die anfangs mit diesem Unternehmen verbunden gewesen war, hatte einer reichen Fülle Platz gemacht. Es rechtfertigte sich die Erwartung, daß der Schatz von Gefühl, der im Österreichertum ruhe, durch preußische Gedankenzucht gekräftigt werden könne, auf das glücklichste, und so stark waren diese Eindrücke, daß die korrekte Frau kein Empfinden für den Gewaltstreich hatte, den sie unternahm, als sie Arnheim einlud, der gründenden Sitzung beizuwohnen. Nun war es zu spät, um sich eines anderen zu besinnen; aber Arnheim, der diesen Zusammenhang ahnend begriff, fand in ihm etwas wesentlich Versöhnliches, so unwillig ihn auch die Lage machte, in die er gebracht worden war, und Se. Erlaucht war im Grunde seiner Freundin viel zu wohlgesinnt, um seinem Erstaunen einen schärferen als den unwillkürlichen Ausdruck zu geben; er schwieg zu Diotimas Erklärung, und nach einer peinlichen kleinen Pause reichte er Dr. Arnheim liebenswürdig

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