Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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gleiche höflich abwartende Haltung wie die Ministerialen bewahrt, ohne die kleinste Kundgebung herzlicher Übereinstimmung seinem Gesicht entschlüpfen zu lassen. Man schien ein Gefühl zu haben, wie wenn unerwartet auf der Straße jemand laut und zu allen zu sprechen beginnt; alle, auch die, welche eben an gar nichts dachten, fühlen dann plötzlich, daß sie zu ernsten, sachlichen Zwecken unterwegs sind oder daß mit der Straße Mißbrauch getrieben wird. Der Professor hatte, während er sprach, mit Befangenheit zu kämpfen gehabt, gegen die er seine Worte abgerissen und bescheiden durchpreßte, als verschlüge ihm Wind den Atem; nun aber wartete er, ob ihm Antwort werde, und zog diese Wartehaltung auf dem Gesicht nicht ohne Würde wieder ein.

      Es wirkte auf alle gleich einer Rettung, als sich nach diesem Zwischenfall der Vertreter der kaiserlichen Zivilkanzlei rasch zum Wort meldete und der Versammlung eine Übersicht der Stiftungen und Widmungen gab, die im Jubiläumsjahr aus Allerhöchster Privatschatulle zu gewärtigen sein würden. Es begann mit der Zuwendung für den Bau einer Wallfahrtskirche und einer Stiftung zur Unterstützung unbemittelter Kooperatoren, dann marschierten die Veteranenvereine Erzherzog Karl und Radetzky, die Kriegerwitwen und -waisen aus den Feldzügen 66 und 78 auf, es kamen ein Fonds zur Unterstützung ausgedienter Unteroffiziere und die Akademie der Wissenschaften, und so ging es weiter; diese Listen hatten nichts Aufregendes an sich, sondern ihren festen Ablauf und gewohnten Platz bei allen öffentlichen Äußerungen des Allerhöchsten Wohlwollens. Als sie herabgelassen waren, stand denn auch gleich eine Frau Fabrikant Weghuber auf, die eine um das Wohltätigkeitswesen sehr verdiente Dame war, völlig unzugänglich der Vorstellung, daß es etwas Wichtigeres geben könne als die Gegenstände ihrer Sorgen, und sie trat mit dem Vorschlag einer «Groß-Österreichischen-Franz-Josefs-Suppenanstalt» an die Versammlung heran, die mit Zustimmung zuhörte. Nur bemerkte der Vertreter des Ministeriums für Kultus und Unterricht, daß auch bei seiner Behörde eine gewissermaßen ähnliche Anregung eingelaufen sei, nämlich ein Monumentalwerk «Kaiser Franz Josef I und seine Zeit» herauszugeben. Aber nach diesem glücklichen Anlauf trat wieder Schweigen ein, und die meisten der Anwesenden fühlten sich in eine peinliche Lage gebracht.

      Wenn man sie am Herweg gefragt hätte, ob sie wüßten, was geschichtliche, große oder dergleichen Ereignisse seien, würden sie das gewiß bejaht haben, doch gegenüber der gespannten Zumutung, ein solches Ereignis zu erfinden, war ihnen allmählich flau zumute geworden, und es regte sich so etwas wie das Murren einer sehr natürlichen Natur in ihnen.

      In diesem gefährlichen Augenblick unterbrach die taktsichere Diotima, die Erfrischungen vorbereitet hatte, die Sitzung.

      43

      Erste Begegnung Ulrichs mit dem großen Mann In der Weltgeschichte geschieht nichts Unvernünftiges, aber Diotima stellt die Behauptung auf, das wahre Österreich sei die ganze Welt

      In der Pause bemerkte Arnheim: Je umfassender die Organisation sei, desto weiter würden die Vorschläge auseinander gehen. Dies sei ein Kennzeichen der nur auf den Verstand aufgebauten gegenwärtigen Entwicklung. Aber gerade deshalb stelle es einen ungeheuren Vorsatz dar, ein ganzes Volk zu zwingen, daß es sich auf den Willen, die Eingebung und das Wesentlichebesinne, welches tieferalsder Verstand hege.

      Ulrich antwortete mit der Frage, ob er denn glaube, daß aus dieser Aktion etwas entstehen werde?

      «Ohne Zweifel;» erwiderte Arnheim «große Geschehnisse sind immer der Ausdruck einer allgemeinen Lage!» Diese sei heute gegeben; und schon die Tatsache, daß eine Zusammenkunft wie die heutige irgendwo möglich gewesen sei, beweise ihre tiefe Notwendigkeit.

      Da sei aber etwas schwer zu Unterscheidendes dabei, meinte Ulrich. «Etwa angenommen, der Komponist des letzten Operettenwelterfolgs wäre ein Intrigant und würde sich zum Weltpräsidenten aufwerfen, was doch bei seiner ungeheuren Beliebtheit im Bereich des Möglichen läge: wäre dies nun ein Sprung in der Geschichte oder ein Ausdruck der geistigen Lage?»

      «Das ist ganz unmöglich!» sagte Dr. Arnheim ernst. «Ein solcher Komponist kann weder ein Intrigant noch ein Politiker sein; es ließe sich sein komisch-musikalisches Genie sonst nicht begreifen, und in der Weltgeschichte geschieht nichts Unvernünftiges.»

      «In der Welt aber doch so viel?»

      «In der Weltgeschichte niemals!»

      Arnheim war sichtlich nervös. In der Nähe standen Diotima und Graf Leinsdorf in lebhaft leisem Gespräch. Se. Erlaucht hatte der Freundin nun doch sein Erstaunen darüber ausgedrückt, bei diesem ausnehmend österreichischen Anlaß einen Preußen zu treffen. Er hielt es schon aus Taktgründen für gänzlich ausgeschlossen, daß ein Staatsfremder in der Parallelaktion eine führende Rolle spielen könne, obgleich Diotima auf den vorzüglichen und beruhigenden Eindruck hinwies, den solche Freiheit von politischem Eigennutz auf das Ausland ausüben müsse. Da änderte sie aber ihre Kampfweise und vergrößerte überraschend ihren Plan. Sie sprach vom Takt der Frau, der eine Gefühlssicherheit sei und sich zu innerst an die Vorurteile der Gesellschaft nicht kehre. Se. Erlaucht solle nur einmal auf diese Stimme hören. Arnheim sei ein Europäer, ein in ganz Europa bekannter Geist; und gerade weil er kein Österreicher sei, beweise man durch seine Teilnahme, daß der Geist als solcher in Österreich eine Heimat habe, und plötzlich stellte sie die Behauptung auf, das wahre Österreich sei die ganze Welt. Die Welt, erläuterte sie, werde nicht eher Beruhigung finden, als die Nationen in ihr so in höherer Einheit leben wie die österreichischen Stämme in ihrem Vaterland. Ein Größer-Österreich, ein Weltösterreich, darauf habe sie in diesem glücklichen Augenblick Se. Erlaucht gebracht, das sei die krönende Idee, die der Parallelaktion bisher gefehlt habe. – Hinreißend, pazifistisch gebietend stand die schöne Diotima vor ihrem erlauchten Freund. Graf Leinsdorf konnte sich noch nicht entschließen, seine Einwände aufzugeben, aber er bewunderte wieder einmal den flammenden Idealismus und die Weite des Blicks dieser Frau und erwog, ob es nicht doch vorteilhafter wäre, Arnheim ins Gespräch zu ziehen, als gleich auf so folgenschwere Anregungen zu antworten.

      Arnheim war unruhig, weil er dieses Gespräch witterte, ohne es beeinflussen zu können. Er und Ulrich wurden von Neugierigen umgeben, welche die Person des Krösus angezogen hatte, und Ulrich sagte gerade: «Es gibt mehrere tausend Berufe, in denen die Menschen aufgehen; dort steckt ihre Klugheit. Wenn man aber das allgemein Menschliche und allen Gemeinsame von ihnen verlangt, so kann eigentlich nur dreierlei übrigbleiben: die Dummheit, das Geld oder höchstens ein wenig religiöse Erinnerung!» «Ganz richtig, die Religion!» schaltete Arnheim nachdrücklich ein und fragte Ulrich, ob er denn glaube, daß sie schon völlig und bis auf die Wurzeln verschwunden sei? – Er hatte das Wort Religion so laut betont, daß Graf Leinsdorf es hören mußte.

      Se. Erlaucht schien inzwischen mit Diotima einen Ausgleich geschlossen zu haben, denn geführt von der Freundin näherte er sich jetzt der Gruppe, die sich taktvoll auf löste, und sprach Dr. Arnheim an.

      Ulrich sah sich mit einemmal allein und konnte die Lippen nagen.

      Er begann – weiß Gott wieso, um sich die Zeit zu vertreiben oder um nicht so verlassen dazustehn – an die Wagenfahrt zu dieser Zusammenkunft zu denken. Graf Leinsdorf, der ihn mit sich genommen hatte, besaß als moderner Geist Kraftwagen, aber da er zugleich am Überlieferten festhielt, benützte er zuweilen auch ein Gespann zweier prächtigen Braunen, das er samt Kutscher und Kalesche beibehielt, und als der Haushofmeister seine Befehle einholte, hatte Se. Erlaucht es angemessen gefunden, zur gründenden Sitzung der Parallelaktion mit solchen zwei schönen, fast schon historischen Geschöpfen zu fahren. «Das ist der Pepi, und das ist der Hans», erläuterte Graf Leinsdorf unterwegs; man sah die tanzenden braunen Hügel der Kruppen und zuweilen einen der nickenden Köpfe, der im Rhythmus zur Seite blickte, daß der Schaum vom Maul flog. Es war schwer zu begreifen, was in den Tieren vor sich ging; es war ein schöner Vormittag, und sie liefen. Vielleicht sind Futter und Laufen die einzigen großen Pferdeleidenschaften, wenn man berücksichtigt, daß Pepi und Hans verschnitten waren und die Liebe nicht

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