Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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Generaldirektoren und Direktoren der Banken, Hütten, Konzerne, Bergwerke und Schiffahrtsgesellschaften in ihrem Innern die böswilligen Menschen seien, als die sie oft hingestellt werden. Abgesehen von ihrem sehr entwickelten Familiensinn, ist die innere Vernunft ihres Lebens die des Geldes, und das ist eine Vernunft mit sehr gesunden Zähnen und schlichtem Magen. Sie alle waren überzeugt, daß die Welt viel besser wäre, wenn man sie einfach dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überließe, statt Panzerschiffen, Bajonetten, Majestäten und wirtschaftsunkundigen Diplomaten; bloß weil die Welt ist, wie sie ist, und einem alten Vorurteil zuliebe ein Leben, das zuerst dem eigenen und dadurch erst dem allgemeinen Vorteil dient, tiefer bewertet wird als Ritterlichkeit und Staatsgesinnung, und Staatsaufträge moralisch höher stehen als private, waren sie die letzten, nicht damit zu rechnen, und machten sich bekanntlich die Vorteile, die bewaffnete Zollverhandlungen oder gegen Streikende eingesetztes Militär dem öffentlichen Wohl bieten, kräftig zunutze. Auf diesem Wege führt aber das Geschäft zur Philosophie, denn ohne Philosophie wagen heute nur noch Verbrecher anderen Menschen zu schaden, und so gewöhnten sie sich daran, in Arnheim junior eine Art vatikanischen Vertreters ihrer Angelegenheiten zu erblicken. Bei aller Ironie, die sie für seine Neigungen bereit hatten, war es ihnen angenehm, an ihm einen Mann zu besitzen, der ihre Bedürfnisse auf einer Bischofsversammlung ebensogut zu vertreten vermochte wie auf einem Soziologenkongreß; ja er gewann schließlich einen ähnlichen Einfluß auf sie, wie ihn eine schöne und schöngeistige Gattin ausübt, welche die ewige Kontortätigkeit schmält, aber dem Geschäft nützt, weil sie von allen bewundert wird. Nun braucht man sich dazu nur noch die Wirkung Maeterlinckscher oder Bergsonscher Philosophie, angewendet auf die Fragen von Kohlenpreis und Kartellierungspolitik vorzustellen, um zu ermessen, wie niederdrückend bald in Paris, bald in Petersburg oder Kapstadt der jüngere Arnheim auf Industriellenversammlungen und in Direktionsbüros wirken konnte, sobald er dahin als der Gesandte seines Vaters kam und von Anfang bis zu Ende angehört werden mußte. Die Erfolge für das Geschäft waren ebenso bedeutend wie geheimnisvoll, und aus alledem entstand das bekannte Gerücht von des Mannes überragender Bedeutung und seiner glücklichen Hand.

      So könnte noch mancherlei von Arnheims Erfolg erzählt werden. Von den Diplomaten, welche das ihnen wesensfremde, aber wichtige Gebiet der Wirtschaft mit der Vorsicht von Männern behandelten, die einen nicht ganz verläßlichen Elefanten zu pflegen haben, während er mit ihm in der Sorglosigkeit des eingeborenen Wärters umging. Von den Künstlern, denen er selten nützte, ungeachtet dessen sie doch das Gefühl hatten, mit einem Mäzen zu verkehren. Endlich von den Journalisten, die sogar den ersten Anspruch hätten, daß man von ihnen erzähle, weil sie es waren, die durch ihre Bewunderung Arnheim erst zu einem großen Mann machten, ohne den verkehrten Zusammenhang zu bemerken; denn man hatte ihnen einen Floh ins Ohr gesetzt, und sie glaubten das Gras der Zeit wachsen zu hören. Die Grundgestalt seines Erfolgs war überall die gleiche; umgeben von dem Zauberschein seines Reichtums und dem Gerücht seiner Bedeutung, mußte er immer mit Menschen verkehren, die ihn auf ihrem Gebiet überragten, aber er gefiel ihnen als Fachfremder mit überraschenden Kenntnissen von ihrem Fach und schüchterte sie ein, indem er in seiner Person Beziehungen ihrer Welt zu anderen Welten darstellte, von denen sie keine Ahnung hatten. So war es ihm zur Natur geworden, einer Gesellschaft von Spezialmenschen gegenüber als Ganzes und ein Ganzer zu wirken. Zuweilen schwebte ihm eine Art Weimarer oder Florentiner Zeitalter der Industrie und des Handels vor, die Führerschaft starker, den Wohlstand mehrender Persönlichkeiten, die befähigt sein müßten, die Einzelleistungen der Technik, Wissenschaft und Künste in sich zu vereinen und von hohem Standpunkt zu lenken. Die Fähigkeit dazu fühlte er in sich. Er besaß das Talent, niemals in etwas Nachweisbarem und Einzelnem überlegen zu sein, wohl aber durch ein fließendes und jeden Augenblick sich aus sich selbst erneuerndes Gleichgewicht in jeder Lage obenauf zu kommen, was vielleicht wirklich die Grundfähigkeit eines Politikers ist, aber Arnheim war außerdem überzeugt, daß es ein tiefes Geheimnis sei. Er nannte es «das Geheimnis des Ganzen». Denn auch die Schönheit eines Menschen besteht beinahe in nichts Einzelnem und Nachweisbarem, sondern in jenem zauberhaften Etwas, das sich sogar kleine Häßlichkeiten dienstbar macht; und genau so sind die tiefe Güte und Liebe, die Würde und Größe eines Wesens fast unabhängig von dem, was es tut, ja sie sind imstande, alles, was es tut, zu adeln. Auf geheimnisvolle Weise geht im Leben das Ganze vor den Einzelheiten. Mögen also immerhin kleine Leute aus ihren Tugenden und Fehlern bestehn, so verleiht der große Mensch seinen Eigenschaften erst ihren Rang; und wenn es das Geheimnis seines Erfolges ist, daß dieser aus keinem seiner Verdienste und keiner seiner Eigenschaften recht verstanden werden kann, so ist eben dieses Vorhandensein einer Kraft, die mehr ist als jede ihrer Äußerungen, das Geheimnis, auf dem alles Große im Leben ruht. So hatte es Arnheim in einem seiner Bücher beschrieben, und als er dies niederschrieb, glaubte er beinahe, das Überirdische an der Mantelfalte gefaßt zu haben, und ließ das auch im Text durchblicken.

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      Beginnende Gegensätze zwischen alter und neuer Diplomatie

      Der Verkehr mit Personen, deren Sonderfach der Geburtsadel war, machte darin keine Ausnahme. Arnheim dämpfte seine eigene Vornehmheit ab und beschränkte sich so bescheiden auf Geistesadel, der seine Vorzüge und Grenzen kennt, daß nach einer Weile die Träger hochadeliger Namen neben ihm wirkten, als hätten sie vom Tragen dieser Last einen gekrümmten Arbeiterrücken. Wer das am schärfsten beobachtete, war Diotima. Sie erkannte das Geheimnis des Ganzen mit dem Verstand eines Künstlers, der seinen Lebenstraum in einer Weise verwirklicht sieht, die jedes Bessermachen ausschließt.

      Sie war nun wieder völlig mit ihrem Salon ausgesöhnt. Arnheim warnte vor Überschätzung der äußeren Organisation; grobe materielle Interessen würden sich der reinen Absicht bemächtigen; er legte mehr Wert auf den Salon.

      Sektionschef Tuzzi sprach dagegen die Befürchtung aus, daß man auf diesem Wege über einen Abgrund von Reden nicht hinauskommen werde.

      Er hatte ein Bein über das andere geschlagen und die stark geäderten, mageren dunklen Hände davor gekreuzt; er sah mit seinem Bärtchen und den südländischen Augen neben dem in einem tadellosen Anzug aus weichem Stoff aufgerichtet dasitzenden Arnheim aus wie ein levantinischer Taschendieb neben einem Bremenser Handelsherrn. Es stießen da zwei Vornehmheiten aufeinander, und die österreichische, die sich, einem vielfach zusammengesetzten Hochgeschmack entsprechend, gerne mit einem Stich ins Nachlässige gab, hielt sich keineswegs für die geringere. Sektionschef Tuzzi hatte eine nette Art, sich nach den Fortschritten der Parallelaktion zu erkundigen, als ob er nicht selbst und unmittelbar wissen dürfte, was in seinem Hause vorgehe. «Wir wären froh, wenn wir möglichst bald erfahren könnten, was geplant wird» sagte er und blickte seine Gattin und Arnheim mit einem freundlichen Lächeln an, das ausdrücken sollte, ich bin in diesem Fall ja hier ein Fremder. Danach erzählte er, daß das gemeinsame Werk seiner Frau und Sr. Erlaucht den Amtsstellen schon schwere Sorgen bereite. Der Minister hatte während des letzten Vortrags bei Sr. Majestät vorgefühlt, welche äußeren Kundgebungen aus Anlaß des Jubiläums unter Umständen auf Allerhöchste Billigung rechnen dürften, namentlich, wie weit an Allerhöchster Stelle der Plan genehm sein möchte, dem Zuge der Zeit vorgreifend, sich an die Spitze einer internationalen pazifistischen Aktion zu stellen; – denn das wäre die einzige Möglichkeit, erläuterte Tuzzi, wenn man den bei Sr. Erlaucht aufgetauchten Gedanken eines Weltösterreich politisch fassen wolle. Aber Se. Majestät in Allerhöchst Ihrer weltbekannten Gewissenhaftigkeit und Zurückhaltung, erzählte er weiter, hätte sofort mit der energischen Bemerkung abgewehrt: «Ah, i mag mi net vordrängen lassen»; und nun wisse man nicht, ob es sich dabei um eine ausgesprochen entgegenstehende Allerhöchste Willensmeinung handle oder nicht.

      Tuzzi verfuhr so in einer zarten Weise unzart mit den kleinen Geheimnissen seines Berufs, wie es ein Mann tut, der gleichzeitig größere gut zu bewahren weiß. Er schloß damit, daß die Gesandtschaften jetzt die Stimmung der fremden Höfe zu ergründen hätten, weil man der Stimmung des eigenen nicht sicher sei und doch irgendwo einen festen Punkt gewinnen müsse. Denn am Ende wären rein handwerklich ja viele Möglichkeiten gegeben, von der Einberufung einer allgemeinen Friedenskonferenz, über eine Zwanzig-Herrscher-Zusammenkunft, bis hinab zur Ausstattung des

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