Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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schloß sich wieder.

      Wenn Ulrich in ihrer Gegenwart von allgemeinen Dingen sprach, so mochte sie es nicht. Sie fühlte sich mit Recht bei allen ihren Fehltritten doch immer inmitten einer Menge ihr ähnlicher Menschen und hatte ein richtiges Empfinden für das Ungesellige, Übertriebene und Einsame seiner Art, sie mit Gedanken, statt mit Gefühlen zu bewirten. Immerhin hatten sich in ihr dabei Verbrechen, Liebe und Traurigkeit jetzt zu einem Ideenkreis vereint, der höchst gefährlich war. Ulrich kam ihr nun beiweitem nicht mehr so einschüchternd und vollkommen vor wie beim Beginn des Wiedersehns; aber zur Entschädigung hatte er etwas Knabenhaftes gewonnen, das ihren Idealismus aufregte wie ein Kind, das sich an etwas nicht vorbeitraut, um seiner Mutter ans Herz zu eilen. Sie empfand schon die längste Zeit eine aufgelokkerte, nicht in Rand noch in Band gefaßte Zärtlichkeit für ihn. Aber seit Ulrich ihre erste Andeutung davon abgewiesen hatte, legte sie sich gewaltsam Zurückhaltung auf. Sie hatte die Erinnerung, wie sie bei ihrem letzten Besuch hier entkleidet und hilflos auf seinem Diwan gelegen war, noch nicht verwunden und hatte sich vorgenommen, wenn es sein müßte, lieber mit Hut und Schleier bis zum Ende auf ihrem Stuhl sitzen zu bleiben, damit er verstehen lerne, daß er jemand vor sich habe, der sich nötigenfalls ebenso zu beherrschen wisse wie die Rivalin Diotima. Bonadea vermißte immer zu der großen Erregung, in die sie durch die Nähe eines Liebhabers geriet, die große Idee; freilich ist das etwas, das man leider vom ganzen Leben sagen könnte, das viel Erregung und wenig Sinn hat, aber Bonadea wußte das nicht, und sie suchte irgendeine Idee zu äußern. An denen Ulrichs fehlte ihr die Würde, die sie nötig hatte, und es ist wahrscheinlich, daß sie eine schönere und gefühlvollere suchte. Aber ideales Zögern und gemeine Anziehung, Anziehung und eine schreckliche Angst, vorzeitig angezogen zu werden, mischten sich dabei mit dem Antrieb des Schweigens, in dem die versagten Handlungen zuckten, und der Erinnerung an die große Ruhe, die sie für eine Sekunde mit ihrem Geliebten verbunden hatte. Schließlich war das so, wie wenn ein Regen in der Luft hängt und es kann nicht regnen: eine Benommenheit, die sich über die ganze Haut ausbreitete und Bonadea mit der Vorstellung schreckte, sie könnte die Beherrschung verlieren ohne es zu merken.

      Und plötzlich zuckte eine körperliche Illusion daraus hervor, ein Floh. Bonadea wußte nicht, ob er Wirklichkeit oder Einbildung war. Sie fühlte einen Schauer im Gehirn, einen unglaubwürdigen Eindruck, als ob sich dort eine Vorstellung aus der schattenhaften Gebundenheit der übrigen losgemacht hätte, aber doch nur eine Einbildung wäre; und zugleich einen unbezweifelbaren, wirklichkeitsgetreuen Schauer auf der Haut. Sie hielt den Atem an. Wenn etwas, tripp trapp, die Treppe heraufkommt, und man weiß, die Treppe ist leer, und doch hört man ganz deutlich tripp trapp, ist es so. Bonadea begriff wie von einem Blitz erhellt, daß das eine unfreiwillige Fortsetzung des verlorenen Schuhes sei. Es bedeutete ein verzweifeltes Auskunftsmittel für eine Dame. Dennoch fühlte sie in dem Augenblick, wo sie den Spuk bannen wollte, einen heftigen Stich. Sie kreischte leise auf, bekam hochrote Wangen und forderte Ulrich auf, ihr suchen zu helfen. Ein Floh bevorzugt die gleichen Gegenden wie ein Liebhaber; der Strumpf wurde bis zum Schuh untersucht, die Bluse mußte an der Brust geöffnet werden. Bonadea erklärte, daß er von der Straßenbahn käme oder von Ulrich gekommen sei. Aber er war nicht zu finden und hatte keine Spuren hinterlassen.

      «Ich weiß nicht, was das war!» sagte Bonadea.

      Ulrich lächelte unerwartet freundlich.

      Da fing Bonadea wie ein kleines Mädchen, das sich schlecht aufgeführt hat, zu weinen an.

      64

      General Stumm von Bordwehr besucht Diotima

      General Stumm von Bordwehr hatte Diotima seine Aufwartung gemacht. Das war jener Offizier, den das Kriegsministerium in die große gründende Sitzung entsandt hatte, wo er eine Rede hielt, die auf alle Eindruck machte, ohne aber hindern zu können, daß bei der Aufstellung der Ausschüsse für das große Friedenswerk, die nach dem Muster der Ministerien geschah, das Ministerium des Krieges aus naheliegenden Gründen übergangen wurde. – Er war ein nicht sehr stattlicher General mit einem kleinen Bauch und einer kleinen Lippenbürste an der Stelle des Schnurrbarts. Sein Gesicht war rund und hatte etwas von Familienkreis bei Abwesenheit jedes Vermögens über das in der Heiratsvorschrift für Truppenoffiziere geforderte hinaus. Er sagte zu Diotima, dem Soldaten sei im Beratungszimmer eine bescheidene Rolle angemessen. Es verstehe sich überdies aus politischen Rücksichten von selbst, daß das Kriegsministerium bei der Bildung der Ausschüsse nicht berücksichtigt werden konnte. Dennoch wage er zu behaupten, die geplante Aktion solle nach außen wirken, was aber nach außen wirke, sei die Macht eines Volks. Er wiederholte, daß der berühmte Philosoph Treitschke gesagt habe, Staat sei die Macht, sich im Völkerkampf zu erhalten. Die Kraft, die man im Frieden entfalte, halte den Krieg fern oder kürze seine Grausamkeit zumindest ab. Er sprach noch eine Viertelstunde lang, bediente sich einiger klassischer Zitate, an die er sich, wie er hinzufügte, noch aus der Gymnasialzeit mit Vorliebe erinnerte, und behauptete, daß diese Jahre des humanistischen Studiums die schönsten seines Lebens gewesen seien; suchte Diotima fühlen zu lassen, daß er sie bewundere und von der Art, wie sie die große Sitzung geleitet habe, entzückt gewesen sei; wollte nur noch einmal wiederholen, daß recht verstanden ein Ausbau der Wehrmacht, die hinter der anderer Großstaaten weit zurückstehe, die ausdrucksvollste Bekundung friedlicher Gesinnung bedeuten könnte, und erklärte im übrigen, vertrauensvoll zu erwarten, daß eine breite, volkstümliche Teilnahme an den Fragen des Heeres von selbst kommen werde.

      Dieser liebenswürdige General versetzte Diotima in tödlichen Schreck. Es gab damals in Kakanien Familien, wo Offiziere verkehrten, weil ihre Töchter Offiziere heirateten, und Familien, deren Töchter Offiziere nicht heirateten, entweder weil kein Geld für die Heiratskaution vorhanden war oder aus Grundsatz, so daß dort auch keine Offiziere verkehrten; Diotimas Familie hatte aus beiden Gründen zu der zweiten Sorte gehört, und die Folge war, daß die gewissenhaft schöne Frau eine Vorstellung vom Militär mit ins Leben nahm, ungefähr so wie die Vorstellung eines mit bunten Lappen behängten Todes. Sie erwiderte, es gebe so viel Großes und Gutes auf der Welt, daß die Wahl nicht leicht falle. Es sei ein großer Vorzug, inmitten eines materialistischen Treibens der Welt ein großes Zeichen geben zu dürfen, aber auch eine schwere Pflicht. Und schließlich solle die Kundgebung aus der Mitte des Volkes selbst aufsteigen, weshalb sie ihre eigenen Wünsche ein wenig zurückstellen müsse. Sie setzte ihre Worte sorgfältig, wie mit schwarzgelben Bindfäden geheftet, und verbrannte sanfte Räucherwerkworte der hohen Bürokratie auf ihren Lippen.

      Aber als der General sich verabschiedet hatte, brach das Innere der hohen Frau ohnmächtig zusammen. Wenn sie eines so niederen Gefühls wie Hasses fähig gewesen wäre, würde sie diesen rundlichen kleinen Mann mit den schwänzelnden Augen und den Goldknöpfen am Bauch gehaßt haben, aber da ihr das unmöglich blieb, empfand sie eine dumpfe Beleidigung und konnte sich nicht sagen, warum. Sie öffnete trotz der Winterkälte die Fenster und rauschte mehrmals im Zimmer auf und ab. Als sie die Fenster wieder schloß, hatte sie Tränen in den Augen. Sie war sehr erstaunt. Das geschah nun schon zum zweitenmal, daß sie grundlos weinte. Sie erinnerte sich an die Nacht, wo sie an der Seite ihres Gatten Tränen vergossen hatte, ohne eine Erklärung dafür zu besitzen. Diesmal war das lediglich Nervöse des Vorgangs, dem kein Inhalt entsprach, noch deutlicher; dieser dicke Offizier trieb ihr die Tränen aus den Augen wie eine Zwiebel, ohne daß ein vernünftiges Gefühl mitsprach. Mit Recht wurde sie davon beunruhigt; eine ahnungsvolle Angst sagte ihr, daß irgendein unsichtbarer Wolf um ihre Hürden schleiche und daß es hoch an der Zeit sei, ihn durch die Macht der Idee zu bannen. Auf diese Weise kam es, daß daß sie sich nach dem Besuch des Generals vornahm, mit größter Beschleunigung die in Aussicht genommene Versammlung großer Geister zustandezubringen, die ihr behilflich sein sollte, der patriotischen Aktion einen Inhalt zu sichern.

      65

      Aus den Gesprächen Arnheims und Diotimas

      Es erleichterte Diotimas Herz, daß Arnheim gerade von einer Reise zurückgekehrt war und ihr zur Verfügung stand.

      «Ich

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