Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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      Nicht lan­ge nach dem großen Krie­ge stand um die Abend­zeit ei­nes Vor­früh­lings­ta­ges ein Mann an ei­nem der West­fens­ter sei­nes Hau­ses und hob, in Ge­dan­ken ver­lo­ren, den Blick von ei­nem al­ten und un­an­sehn­li­chen Buch, das er in den Hän­den hielt. Der große Abend­him­mel, wol­ken­los und von fer­nen Feu­ern bren­nend, er­füll­te durch das wei­te Fens­ter den gan­zen Raum mit röt­li­chem Licht. Die far­bi­gen Ein­bän­de in der Bü­cher­wand glüh­ten, die fremd­ar­ti­gen Waf­fen und Mas­ken in ei­nem seit­li­chen Schrank schim­mer­ten in ei­nem fast bö­sen Glanz, und der un­ter Qualm und Ne­bel feu­ern­de Kreu­zer auf dem ein­zi­gen Bil­de an der Wand schi­en, so be­glänzt, ge­ra­des­wegs in den flam­men­den Ab­grund ei­ner Göt­ter­däm­me­rung hin­ein­zu­stür­men.

      Aber das ver­zau­bernds­te Licht sam­mel­te sich auf der ge­wölb­ten Flä­che des rie­si­gen Glo­bus, der auf ei­nem schwar­zen So­ckel frei vor der Mit­te der Bü­cher­rei­hen stand. Sei­ne Ge­bir­ge wa­ren mit brau­nen Er­he­bun­gen an­ge­deu­tet, sei­ne Ebe­nen wie Wie­sen ge­tönt, von dem Netz­werk der Stro­me durch­floch­ten, und sei­ne blau­en Mee­re schim­mer­ten nun pur­purn im Abend­licht.

      Die Bli­cke des Man­nes, vom Lich­te ge­löst, wen­de­ten sich dem be­strahl­ten Ab­bild der Erd­ku­gel zu, wo die klei­nen In­sel­grup­pen wie Per­len im In­di­schen Ozean schwam­men und der Pik von Co­lom­bo einen spit­zen Schat­ten über die Flut zu wer­fen schi­en. Die Küs­ten der Mee­re wa­ren mit ei­nem fei­nen Glut­strich ge­gen die Fest­län­der ab­ge­setzt, und jen­seits des Hi­ma­la­ja, auf den gel­ben ti­be­ta­ni­schen Län­dern, schi­en schon eine schwei­gen­de Däm­me­rung auf frem­de Stern­bil­der zu war­ten.

      Lan­ge blieb der Mann in die­ses Bild ver­sun­ken, bis es un­ter grün­li­chen und grau­en Schat­ten im­mer mat­ter wur­de, die Küs­ten ver­schwam­men, die Tä­ler sich ver­dun­kel­ten und es zu ei­ner blas­sen Schei­be er­losch, ei­nem fer­nen Gestir­ne gleich im Rau­me schwe­bend.

      Im letz­ten Licht nahm der Mann noch ein­mal das Buch vor die Au­gen, als woll­te er sich ei­ner be­stimm­ten Stel­le ver­ge­wis­sern, dass sie auch noch da­ste­he, nicht mit­ge­löscht von der Däm­me­rung der Welt. Dann ließ er es sin­ken und blick­te hin­aus, die lin­ke Schlä­fe an den Vor­hang des Fens­ters ge­legt. Sein Ge­sicht über dem dunklen Rock emp­fing nun das letz­te Abend­licht. Schat­ten sam­mel­ten sich un­ter der Stirn und in den tie­fen Fal­ten, die von den Na­sen­flü­geln zum Mun­de lie­fen, und so war das Ge­sicht nun nicht un­ähn­lich ei­nem ver­klei­ner­ten und ver­schmä­ler­ten Ab­bil­de je­ner Erde, die vor den Bü­cher­rei­hen schweb­te, de­ren Tä­ler im Schat­ten ver­dun­kel­ten und de­ren Um­ris­se sich ver­lo­ren, so­dass nur ein mat­ter Schein an der Stel­le des Ge­gen­ständ­li­chen blieb.

      Spä­ter, als die Tür sich plötz­lich öff­ne­te und das Licht des Flu­res fast grau­sam in den schwei­gen­den Raum hin­ein­brach, ließ der Mann sich Zeit, das Ge­sicht nach der im Tür­rah­men Ste­hen­den zu wen­den, und be­vor er sie er­blick­te, tra­ten zu­erst die we­ni­gen nun er­hell­ten Din­ge des Rau­mes in sein Be­wusst­sein: das Bild des Kreu­zers an der Wand, der nun. wie im Licht ei­nes Schein­wer­fers, im­mer noch aus den Pan­zer­tür­men sei­ne düs­ter­ro­ten Sal­ven schoss, eine schma­le Bü­cher­säu­le, die scharf be­grenz­te Bahn ei­nes ro­ten Tep­pichs und eine schma­le Kan­te des Glo­bus, die wie eine Si­chel leuch­te­te.

      Dann erst sah er die Frau, die im Abend­kleid auf der Schwel­le stand und den blo­ßen Arm nach dem Licht­schal­ter aus­streck­te.

      »Lass das!« sag­te er scharf.

      Sie hielt in der Be­we­gung inne, ohne den Arm sin­ken zu las­sen, und auch wenn sie nicht im Licht ge­stan­den hät­te, wür­de er ge­wusst ha­ben, dass sie lä­chel­te, nicht ohne Spott, aber auch nicht ohne Scho­nung.

      »Träumt man wie­der?« frag­te sie.

      »›Man‹ hat ge­le­sen«, er­wi­der­te er, trat an den Schreib­tisch und leg­te das ge­öff­ne­te Buch sorg­fäl­tig auf die lee­re Plat­te. »In ei­nem Psalm, in dem man seit der Kon­fir­ma­ti­on nicht mehr ge­le­sen hat­te, und dort hat man den Vers ge­fun­den: ›Wir brin­gen un­se­re Jah­re zu wie ein Ge­schwätz.‹ Dar­über hat man nach­ge­dacht.«

      »Hel­den und Den­ker«, sag­te sie mit ih­rer tie­fen Stim­me, »das ist uns nun üb­rig­ge­blie­ben aus dem Krie­ge …«

      Es habe Zeit­al­ter ge­ge­ben, mein­te der Mann, die auf einen sol­chen Be­sitz sehr stolz ge­we­sen sei­en.

      Ja, aber eben Zeit­al­ter … nun je­doch, nach die­sen furcht­ba­ren Jah­ren, wol­le man we­der kämp­fen noch den­ken, son­dern eben le­ben, nichts als le­ben.

      Auch die Tie­re woll­ten das, und zwar das al­lein.

      Ja, das sei eben das Schö­ne und Ge­sun­de an ih­nen. Sie lä­sen we­der Psal­men noch starr­ten sie in die Abend­däm­merung.

      »Manch­mal«, sag­te er, in­dem er auf die be­leuch­te­te Kan­te des Glo­bus starr­te, »ver­ste­he ich nun die ganz ein­fa­chen, ganz pri­mi­ti­ven Män­ner, die ab und zu die Lust an­kommt, ihre Frau­en zu schla­gen …«

      Sie lach­te, ganz hei­ter und sorg­los, und un­ter ih­rer Hand brach nun doch ohne War­nung das wei­ße Licht aus der Kup­pel un­ter der De­cke her­aus. »Das muss ich se­hen«, sag­te sie, »den Mann, den die­se Lust eben an­ge­kom­men ist.«

      »Ich habe nicht von mir ge­spro­chen«, er­wi­der­te er und sah sie über den Raum hin­weg fins­ter an. Ihre Ge­stalt war schmä­ler ge­wor­den in die­sen dump­fen Jah­ren, ihre Züge schär­fer, ihre Au­gen glän­zen­der. Nur ihr Kin­der­mund war der glei­che ge­blie­ben, trotz der leuch­ten­den Far­be, die sie nun auf­trug, klein, mit weh­mü­tig ge­neig­ten Win­keln, und nie­mals wuss­te er, ob sie im Zorn oder im Wei­nen er­be­ben wür­den.

      Sei­ne Ge­dan­ken gin­gen zu­rück zu der Zeit ih­rer ers­ten Lie­be, und er be­griff, wie viel der Krieg ih­nen al­len ge­raubt hat­te. »Geh nun«, sag­te er freund­lich, »es führt ja doch zu nichts …«

      Ihre Hand mit den fun­keln­den Rin­gen strich

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