Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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er nicht, und er woll­te al­les ken­nen, die gan­ze Erde, wie sie rund und schwei­gend vor sei­ner Bü­cher­wand schweb­te. Ge­fecht und Schlacht, Tod und Zer­stö­rung, das konn­te nicht al­les sein. Ir­gend­wo schleif­ten die zer­ris­se­nen Zü­gel die­ses Wa­gens über die Erde, und so lan­ge muss­te man ge­hen, bis sie über einen hin­weg­feg­ten und man ver­su­chen konn­te, ein Stück zu er­grei­fen. Den Sinn muss­te man zu fin­den su­chen; nicht das Gan­ze, die Lö­sung, das Letz­te, aber ein Stück­chen Sinn, den Schim­mer ei­nes Pla­nes, und dann woll­te man in Got­tes Na­men noch ein­mal an­fan­gen.

      Der Weg führ­te über eine Brücke, die sich hoch und weit über Schie­nen­strän­ge spann­te. Im Os­ten er­lo­schen die Lich­ter all­mäh­lich in der Nacht, und er sah die Fern­zü­ge hin­ein­brau­sen in die schwei­gen­de Schwär­ze, die schon über Äckern und Wäl­dern stand. Im Wes­ten aber scho­ben die Si­gna­le sich dicht zu­sam­men, wei­ße, rote und grü­ne Lich­ter, wie in ei­ner Ha­fen­ein­fahrt. Ein lei­ser Wind ging über sei­ne Hän­de, die auf dem kal­ten Ei­sen des Ge­län­ders la­gen, und es war nun al­les wie­der wie vor frem­den Küs­ten, mit halb­ge­lösch­ten Feu­ern, wo man nach trü­ge­ri­schen Licht­sek­to­ren steu­er­te und der Tod, schwei­gend, aber wach­sam, un­ter den Ster­nen hing.

      Dann saß er auf dem Ver­deck ei­nes Au­to­bus. Die Licht­re­kla­men wur­den zahl­rei­cher, wil­der und ge­hetz­ter, die Stra­ßen be­leb­ten sich, Por­tiers stan­den wie Kö­ni­ge in Mar­mor­ein­gän­gen, und über die Köp­fe der Men­ge ho­ben sich far­bi­ge Arme mit Zei­tun­gen, und hei­se­re Stim­men schri­en die Ern­te des Ta­ges aus, die Kur­se, die Mor­de, die Streiks, die Re­vo­lu­tio­nen.

      Tho­mas stieg aus und ließ sich trei­ben. Die Men­ge schluck­te ihn auf wie der Strom einen Trop­fen. Krüp­pel kau­er­ten an den Git­tern der Vor­gär­ten, und ihre ein­tö­ni­gen Ver­se fie­len wie stump­fe Mes­ser in die Men­ge. Geld klirr­te, und die meis­ten Hän­de fuh­ren schnell zu­rück, als hät­ten sie sich los­ge­kauft von dem stei­ner­nen Ant­litz des Krie­ges, das im­mer noch über die Dä­cher hin­un­ter­starr­te. Die brei­ten Hüte der Heils­ar­mee tauch­ten ab und zu aus licht­über­flu­te­ten Ein­gän­gen auf, und die Ge­sich­ter dar­un­ter blick­ten still und wie ent­rückt, als hät­ten sie schon auf der Schwel­le Hohn oder Mit­leid ab­ge­streift, die sie dort in­nen emp­fan­gen hat­ten.

      Ei­nen Au­gen­blick lang lä­chel­te Tho­mas, als ihm der Ge­dan­ke kam, was sie für Ge­sich­ter ma­chen wür­den, wenn er zu Hau­se als Of­fi­zier die­ser Heil­s­trup­pe er­schei­nen wür­de. Tho­mas, der Leut­nant Got­tes. Gott war fort­ge­gan­gen, aber die Pro­phe­ten ka­men. Aus al­len Kel­ler­höh­len stie­gen sie em­por, auf den Tri­bü­nen ho­ben sie die nack­ten, ver­zehr­ten Arme, in den Par­la­men­ten be­schwo­ren sie das Reich der Lie­be, aus den Ster­nen ris­sen sie Weis­heit und Schick­sal: aber der En­gel war fort, der ein­zi­ge, der die Lose trug und wuss­te.

      Ein Po­li­zist mit wei­ßen Hand­schu­hen sperr­te die Kreu­zung. Je­mand rief Tho­mas an, und er trat un­lus­tig an den hal­ten­den Wa­gen. Ein Ka­me­rad von sei­nem letz­ten Schiff, und er rück­te zur Sei­te, um ihm Platz zu ma­chen. Aber Tho­mas schüt­tel­te den Kopf. Nein, eine Bar sei nichts für ihn, er wol­le noch in der fri­schen Luft blei­ben. Was er denn trei­be? O … nichts … er war­te. Der an­de­re lä­chel­te: »Soll­test zu mir auf die Bank kom­men, Tho­mas«, sag­te er. »Geld wird dort ver­dient, sage ich dir, und das Gan­ze ist so wie ein Nacht­ge­fecht. Du weißt nie, wie du her­aus­kommst, aber wenn du her­aus­kommst, hat es ge­lohnt. Soll ich dir einen Tipp ge­ben, Tho­mas? Macht mehr aus als dei­ne Pen­si­on für ein Jahr!«

      Nein, auch da­für dank­te Tho­mas. Die Stra­ße wur­de frei, und der Wa­gen fuhr lang­sam an. »Mach’s gut, Tho­mas! Bis zum nächs­ten Or­log …«

      Eine Wei­le blick­te er dem Wa­gen nach, dann bog er die nächs­te Stra­ße zur Stadt­bahn ein. Ihn ver­lang­te plötz­lich, den Strom zu se­hen, dunkles Was­ser, in dem die Mas­ten sich spie­gel­ten und über dem die Ster­ne stan­den. Nein, der Er­folg konn­te nicht das Letz­te sein. Auch Spie­ler hat­ten Er­folg, aber ihr Le­ben ging nicht in die Bü­cher ein, aus de­nen Kin­der ler­nen, wie man le­ben soll. Ein gu­ter Of­fi­zier war je­ner ge­we­sen und ein gu­ter Ka­me­rad, aber wenn man die Uni­form aus­zog, muss­te man wohl mehr sein als dies. Das Le­ben ver­lang­te mehr, als ein Kriegs­schiff ver­langt. Un­ge­wiss­heit über­fiel ihn wie­der, und im Au­gen­blick dach­te er, dass es gut sein müss­te, Adres­sen zu schrei­ben oder Pa­ke­te aus­zu­tra­gen, ir­gen­det­was, das das Blut in den Fin­gern be­we­gen wür­de. Es gab kei­ne Fei­er­jah­re für jun­ge Hän­de.

      Er blieb an ei­nem Blu­men­la­den ste­hen und starr­te auf die Glä­ser mit Treib­h­aus­flie­der. Wenn ich ge­schos­sen hät­te, grü­bel­te er, so wür­den sie mich er­schla­gen ha­ben und al­les wür­de gut sein … eine Se­kun­de ver­säumt, nein, eine hal­be Se­kun­de … die Ent­schei­dung ver­passt, das ist es, wes­halb der En­gel nicht kommt …

      In der Stadt­bahn saß ein al­ter Mann ihm ge­gen­über, der auf ein Blatt Pa­pier starr­te, das mit Krei­sen und Zei­chen be­deckt war. Sein Haar fiel bis zum Rock­kra­gen, und sei­ne Füße steck­ten in wun­der­li­chen, viel­fach ge­flick­ten Re­form­schu­hen. Wie reich und ge­dul­dig ist die­se Zeit, dach­te Tho­mas. Soll­te sie nicht auch für mich einen Platz und ein Ziel ha­ben? Man muss nur war­ten, bis die Ma­gnet­na­del zu be­ben be­ginnt …

      Der Mann sah seuf­zend auf und blick­te Tho­mas an. Er hat­te gute Au­gen, von ei­nem et­was wäs­se­ri­gen Braun, lei­se er­staunt und viel ge­prüft, und Tho­mas dach­te, dass eine Kuh so vor sich hin­se­hen könn­te, wenn sie au­ßer der Rei­he ge­mol­ken wür­de. Doch miss­fiel ihm der Ver­gleich so­fort, und er ta­del­te sich, dass er so über Men­schen ur­tei­le.

      Doch da hob der Mann den Zei­ge­fin­ger der rech­ten Hand und sag­te flüs­ternd: »Stein­bock, nicht wahr? Drei­und­zwan­zigs­ten De­zem­ber bis drei­und­zwan­zigs­ten Ja­nu­ar, ja?«

      Aber Tho­mas ver­gaß sei­ne gu­ten Vor­sät­ze über dem Form­lo­sen und Ver­trau­li­chen der An­spra­che. »Nein«, er­wi­der­te er schroff und wech­sel­te den Platz.

      Der Stern­kun­di­ge stieg an der nächs­ten Hal­te­stel­le aus, und als er die Tü­ren öff­ne­te, beug­te er sich ohne Krän­kung zu Tho­mas und flüs­ter­te hin­ter der vor­ge­hal­te­nen Hand: »Die Knie sind be­denk­lich beim Stein­bock … sehr ge­fähr­lich … im­mer schön auf die Knie ach­ten, mein Herr!« Er lä­chel­te freund­lich, hob noch ein­mal mah­nend den Zei­ge­fin­ger und ver­schwand.

      Die Stra­ße senk­te sich leicht zum Strom, und als Tho­mas die Stu­fen zum Boll­werk hin­un­ter­schritt, dach­te er an sei­ne Knie und lä­chel­te. Dann ging er lang­sam am Was­ser ent­lang.

      Die Flut zog dun­kel und trä­ge da­hin, mit zit­tern­den Stern­bil­dern, die auf der glei­chen Stel­le ver­harr­ten. Käh­ne la­gen an der Mau­er ver­täut, die Deck­plan­ken glänz­ten, und die Bord­la­ter­nen leuch­te­ten über Tau­werk und Holz. Mit­un­ter bell­ten die Wach­hun­de, zu­erst ein­zeln und dann den gan­zen Strom ent­lang. Dann war nur wie­der das Was­ser zu hö­ren und der leich­te Wind, der durch das Ge­äst der Bir­ken zog.

      »Was­ser

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