Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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Er ver­such­te sich vor­zu­stel­len, wie der Wech­sel der Jah­res­zei­ten dies Bild ver­än­dern wür­de, wie er selbst in die­sem Wech­sel be­ste­hen oder un­si­cher wer­den wür­de und ob die Fri­sche des ers­ten Ein­druckes auch er­hal­ten blei­ben wür­de, wenn er nun aus ei­nem Wan­de­rer zu ei­nem Be­woh­ner und aus ei­nem Be­trach­ten­den zu ei­nem Tä­ti­gen wür­de.

      Doch er­schi­en ihm, auch so an­ge­se­hen, das vor ihm aus­ge­brei­te­te Bild von im­mer glei­cher Kraft und Tröst­lich­keit er­füllt, und als er sich nun gar auf sei­nem Sitz wen­de­te und der Blick durch die Viel­heit der Stäm­me in das In­ne­re des Wal­des ging, wo die Son­ne schma­le Brücken auf Moos und Blau­beer­kraut leg­te, wo rot­be­schie­ne­ne Stäm­me im­mer tiefer zu­rück­wi­chen in eine bläu­li­che Däm­me­rung und nur das Klop­fen des Spech­tes das Schwei­gen nicht zer­brach, son­dern tiefer mach­te: da glaub­te er, auf der Höhe ei­nes viel­ge­prüf­ten Le­bens noch ein­mal Frie­den und Glück der Kind­heit vor sei­nen Hän­den aus­ge­brei­tet zu se­hen, als gel­te es nur, ver­trau­end zu­rück­zu­keh­ren, um mit der Ruhe der Land­schaft auch al­les wie­der­zu­ge­win­nen, was da­mals hei­ter, leicht und un­ver­än­der­lich er­schie­nen war. Und wie­wohl er wuss­te, dass kei­ne Rück­kehr die­ser Art dem Men­schen ver­gönnt sei, dass viel­mehr je­des Al­ter sei­nen ei­ge­nen Frie­den zu ge­win­nen habe, so gab er sich doch wil­lig für eine Wei­le je­ner träu­me­ri­schen Rück­schau hin, wohl wis­send, dass die nächs­ten Tage schon ihm for­dernd ent­ge­gen­kom­men wür­den.

      Noch ein­mal hielt er an die­sem Tage inne, als er von ei­ner der Wald­hö­hen aus zum ers­ten Mal rechts und links der Stra­ße zwei der großen Ge­wäs­ser sich aus­brei­ten sah, auf de­nen an je­nem ver­gan­ge­nen Abend bei der Dre­hung sei­nes Glo­bus sei­ne Bli­cke an­hal­tend ge­ruht hat­ten. An­ders war nun das wirk­li­che Bild, aber noch tiefer als da­mals kam ihm das Ge­fühl zu­rück, hier an der Gren­ze nicht nur des Rei­ches zu ste­hen. Was sich hier in die Wäl­der hin­ein dehn­te, blau, in den Buch­ten noch von grau­em Eise be­deckt, von brau­nen Rohr­flä­chen ge­säumt, vom kla­gen­den Ruf der Hau­ben­tau­cher über­hallt, schi­en ihm nach den bren­nen­den und dann ver­fins­ter­ten Jah­ren wie ein Land, das au­ßer al­lem Ge­sche­hen ge­blie­ben war, als sei es von Eis­ber­gen be­deckt ge­we­sen und nun erst in ma­kel­lo­ser und stren­ger Klar­heit wie­der ans Licht ge­stie­gen. Es er­schi­en ihm un­ähn­lich al­len an­de­ren Län­dern des Rei­ches, nicht wie ein Blatt, auf dem die Hand des Men­schen ge­schrie­ben, ge­stri­chen, ge­löscht und wie­der ge­schrie­ben hat­te, son­dern als ein Un­be­rühr­tes, auf dem ein An­fang ge­sche­hen könn­te, kei­ne Wie­der­ho­lung, Ver­bes­se­rung oder Be­rich­ti­gung, son­dern eben ein An­fang, eine ers­te Fur­che, und die Vö­gel un­ter dem Him­mel wür­den sich über ihr ver­sam­meln und zu­se­hen, was nun hier un­ter der Hand des Men­schen zum ers­ten Male ge­sch­ehe.

      Er dach­te an sein Kind und wie es dort auf­wach­sen muss­te, be­hü­tet, aber in­mit­ten der Bil­der des Ver­falls und des Rau­sches; wie er es für ein paar Jah­re zu­rück­las­sen muss­te, aber wie er hier mit ihm ein­mal ste­hen woll­te, hier oder an ähn­li­cher Stel­le, um ihm zu zei­gen, wo­für man le­ben müss­te, über­all auf der Erde, wo die Men­schen sich noch Mühe ga­ben.

      Um die Däm­me­rung erst kehr­te er ein, in ei­nem Wald­krug, den er an der Stra­ße fand und den auch sei­ne Kar­te an­ge­zeigt hat­te. Kaum in sei­nem Le­ben hat­te er Ar­mut und Ver­fall so nahe ge­se­hen, doch schi­en ihm das ers­te eine gute und nütz­li­che Ein­lei­tung zu die­ser Rei­se zu sein, die ja, wie er hoff­te, nicht nur eine Rei­se blei­ben soll­te. Und da er sein klei­nes Zim­mer sau­ber fand, mit dem frei­en Blick auf abend­li­che Scho­nun­gen, war er es al­les zu­frie­den und bat nur, bis zur Be­rei­tung des Es­sens am Feu­er in der Kü­che sit­zen zu dür­fen, was ihm nach ei­ni­gem Wi­der­stre­ben auch ge­währt wur­de.

      Eine schweig­sa­me Frau schaff­te am Her­de, zwei Kin­der, ein Kna­be und ein Mäd­chen, in Joa­chims Al­ter etwa, sa­hen mit großen Au­gen von der Holz­bank aus ihm zu, in­des der Mann hin­ter dem Tisch ste­hen­blieb, den Rücken ge­gen das Fens­ter ge­wen­det, und erst auf be­son­de­ren Zu­spruch hin sei­ne Ar­beit an ei­nem klei­nen Netz wie­der auf­nahm, durch das er mit ei­ner höl­zer­nen Na­del neue Ma­schen zog. Er war ge­klei­det wie die Men­schen, die Tho­mas un­ter­wegs ge­se­hen hat­te, in hohe Stie­fel und hart­ge­web­tes grau­es Zeug, und auch in der Wär­me des Rau­mes hat­te er sein Hals­tuch nicht ab­ge­nom­men, das in zwei Zip­feln ihm über den Kra­gen hing. Die Ge­sich­ter schie­nen Tho­mas schwer, müde und gleich­sam schon von den großen Ebe­nen mit­ge­formt, die sich hin­ter die­sen Wäl­dern und Seen nach Asi­en hin er­streck­ten.

      Ja, er sei zur See ge­fah­ren, sag­te Tho­mas auf die ers­te un­ge­schick­te Fra­ge hin, sein gan­zes Le­ben lang, als Steu­er­mann auf ei­nem großen Damp­fer. Aber da es nun da­mit zu Ende sei, es ihm auch in den en­gen Städ­ten nicht ge­fie­le, wo der Wind nur Staub und Pa­pier­fet­zen vor sich her­trei­be statt des sal­zi­gen Schau­mes der See, so habe er be­schlos­sen, sich in die­ser Land­schaft um­zu­tun, ob er nicht et­was wie eine Fi­sche­rei­pacht fän­de, von der man bei har­ter Ar­beit doch sein Brot habe und zum min­des­ten sein Es­sen, wenn das be­druck­te Geld schon im­mer schnel­ler in den Rauch­fang stie­ge.

      Das kön­ne wohl mög­lich sein, mein­te der Mann lang­sam, und wenn er auch hier in der Ge­gend nichts wis­se, viel­mehr al­les in fes­ten Hän­den sei, so kön­ne er ihm doch hier und da einen Na­men an den Seen sa­gen, wo er Be­scheid und wohl auch Rat fin­den wer­de. Denn es sei viel Un­ru­he in der Land­schaft, nicht nur we­gen der Angst vor den Po­len, son­dern es sei über­all auch wie bei ih­nen selbst, dass die jun­gen Leu­te den Dienst auf­sag­ten, nicht nur, weil es ih­nen zu ein­sam sei, son­dern auch weil sie mein­ten, die Ar­beit wer­de nun ab­ge­schafft oder min­des­tens de­nen auf­ge­legt, die bis­her nach ih­rer Mei­nung nicht ge­ar­bei­tet hät­ten. So sei­en auch sie al­lein ge­blie­ben, und Knecht und Magd sei­en des We­ges ge­gan­gen, in die Haupt­stadt der Pro­vinz, wo sie nun wahr­schein­lich schon auf ei­nem gol­de­nen Thro­ne sä­ßen.

      Nur ei­nes schei­ne ihm be­denk­lich, dass der Herr bei al­ler schwe­ren Ar­beit auf See doch so zar­te Hän­de be­hal­ten habe und dass es ihm viel­leicht nicht leicht fal­len könn­te, bei al­lem gu­ten Wil­len, an dem er nicht zweifle, dies har­te Hand­werk zu er­grei­fen.

      Dar­über be­ru­hig­te ihn Tho­mas nun, schrieb sich auch die Na­men in sein Ta­schen­buch, die der Mann ihm nann­te, und bat schließ­lich, dass er zu­sam­men mit ih­nen hier in der Kü­che es­sen dürf­te, wo es warm sei, er ih­nen Mühe er­spa­re und er sich schließ­lich auch gleich zu Be­ginn an die Welt ge­wöh­ne, in der er doch nun sich ein­rich­ten wol­le.

      Beim Es­sen, vor dem die Frau ein Ge­bet ge­spro­chen hat­te, er­fuhr er, dass sie ei­ner re­li­gi­ösen Ge­mein­schaft an­ge­hör­ten, die in der Ge­gend weit ver­brei­tet sei, dass sie mit Sor­gen auf den Gang der Zeit blick­ten und ei­ni­ge von ih­nen so­gar der Mei­nung sei­en, dass die Ge­sich­te des hei­li­gen Jo­han­nes sich nun bald er­fül­len wür­den.

      Dem wi­der­sprach nun Tho­mas, mein­te, dass das deut­sche Volk auch aus die­sen Zei­ten der Wirr­nis sich wie­der­auf­rich­ten wer­de, und be­rich­te­te auch von sei­nem Be­such bei dem Pfar­rer, der ihn recht ei­gent­lich auf die­sen Weg ge­bracht habe und

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